Von der Insel Gavdos, dem südlichsten Punkt Europas, hatte ich vor 13 oder 14 Jahren zu ersten Mal gehört. Damals, in meinen Inselspring-Anfangszeiten, erzählte eine Kollegin von einem Aufenthalt dort, der sich unfreiwillig auf mehrere Wochen ausgedehnt hatte – mangels Fähre. So schlimm sei das aber alles nicht gewesen, man habe sowieso einfach am Strand campiert und in den Tag gelebt.
Das klang schon interessant.
Dann drang Gavdos wieder in mein Bewusstsein als Ende der 1990er Jahre auf der benachbarten Insel Gavdopoula ein riesiger Containerhafen geplant wurde, was zum Glück verhindert wurde. Einen Artikel aus der Stuttgarter Zeitung von 1998 dazu hab ich immer noch.
Schließlich bekam ich einen Zeitungsartikel von einer Fahrt nach Gavdos im Jahr 1964 in die Hände, geschrieben von einem guten Bekannten für die Stuttgarter Zeitung.
Die Beschreibungen der Insel hörten sich immer ähnlich an: ruhig, abseits, ursprünglich, schwer zu erreichen, noch schwerer zu verlassen. Wenn das keine Herausforderung für eine Inselsammlerin ist! Und dann noch Europas südlichster Punkt!
So gärte in mir den Wunsch, nach Gavdos zu reisen.
Dem Wunsch entgegen stand die Tatsache, dass (fast) alle Wege nach Gavdos über Kreta führen. Kreta, diese viel zu große Insel, von mir ungeliebt, allenfalls als Start oder Ziel zum Inselspringen auf andere Eilande benutzt, vor Jahren nach einer Woche in Pitsidia, Plakias und Rethymnon fluchtartig verlassen, weitere Stippvisiten in Iraklion, Malia und Chersonissos hatten die Aversion vergrößert.
Wäre da nicht die Vorstellung gewesen, dass es auch auf Kreta entlegene Ecken geben würde, nicht vom Tourismus geprägt. Und wäre da nicht die kretische Musik gewesen, die kretischen Tänze, die ich so gerne mag – es wäre wohl nichts aus den Plänen geworden. Und schließlich gab es noch das Kreta-Forum (gibt es in dieser Form nicht mehr), wo man mit Ratschlägen und Tipps zum Reiseziel und -weg gerne behilflich war – auch wenn Einzelne die Existenz der Insel Gavdos (Gavros gar) leugneten. ;-)
Weitere wertvolle Informationen für die Region Sfakia konnte ich Ernos Sfakia-Seiten entnehmen - vielleicht war die Sfakia doch ein lohnenswertes Reiseziel?
So wurde schließlich für Mitte September ein Flug nach Iraklion gebucht und Kurs auf Südwest genommen.
Die Reise fängt schlecht an: Ich krieg keinen Fensterplatz mehr, obwohl wir brav und pünktlich 2 Stunden vor Abflug am Check-in sind. Mitte und Gang, na super! Ein echtes Problem hat allerdings das Paar, das am Nachbarschalter eincheckt: der Personalausweis der Frau rutscht der Angestellten am Schalter zu deren Entsetzen in die Ritze zwischen Schalter und Koffertransportband! Die folgenden, notwendigen Montagearbeiten verfolgen wir nicht, aber gut eineinhalb Stunden später am Gate kommt die Angestellte und bringt den beiden den Ausweis – wie wohl der Schalter jetzt aussieht? Komplett zerlegt? Und ob die arme Angestellte jetzt ein Trauma hat, Personalausweise nur noch mit zitternden Fingern anfasst, arbeitsunfähig wird?
Während des Fluges lässt sich kein Blick aus dem Fenster erhaschen, denn da ist keines – Reihe 23 hat nur ein Fenster auf der Höhe des Rücksitzes des Nachbarn. Und dabei fliegen wir die Route die italienische Küste entlang, ein Jammer! Die aktuelle Tageszeitung ist dummerweise im Trolley eingecheckt, und der Sitz ist sehr eng. Wenigstens das Essen ist in Ordnung, auch wenn es sich mangels Platz als schwer zu essen erweist – vielleicht sollte man Suppe austeilen, und Strohhalme. In Iraklion angekommen erweist sich das Gedrängel am Flughafen als nicht ganz so schlimm wie befürchtet. Und auch im Hotel „Mirabello“ hat man noch ein Zimmer für uns, ohne Kreditkartennummer als Sicherheit, für 60 Euro. Die Zimmer sind mit denen im „Lena“ vergleichbar, das direkt um die Ecke liegt und schon ausgebucht war. Wir wollen auch wieder in unser Lieblingslokal „H Aυλη του Δευκαλιωνα“, hinter dem Historischen Museum und haben schon wieder Pech: alles reserviert oder belegt – es ist Freitag Abend. Im gegenüberliegenden Lokal „Paraskevas“ hat man aber noch Platz für uns, und man isst dort ebenfalls gut. Der Platz mit seine vier oder fünf Tavernen und Cafe-Bars füllt sich in den nächsten Stunden bis auf den letzten Platz und Touristen wie wir sind in der Minderheit, ebenso wie aufdringliche Anpreiser.
Der auch in der Nacht über Iraklion lärmende Flugverkehr stört unseren Schlaf kaum, ausgeruht brechen wir – nach einem mäßigen Frühstück am Morosini-Brunnen und einem schnellen Bummel durch die Marktgasse – zum Busbahnhof am Hafen auf. Irgendwie stand da was im Internet, dass man den richtigen Busbahnhof nehmen muss – wir sehen aber nur einen, kaufen problemlos Tickets nach Vrisses (€ 9,30) und setzen uns in den entsprechenden Bus nach Chania, aus dem kurz darauf die meisten Passagiere wieder herausgescheucht werden – nach Rethymnon in den anderen Bus. Nein, nach Vrisses sind wir hier richtig, wird uns bedeutet. Hoffentlich!
Während der Fahrt gen Westen wird der Himmel grauer, bewölkter. Für die nächsten Tage ist Regen vorhergesagt, meinte unser Hotelwirt in Iraklion. Schön für Kreta, weniger schön für uns. Wir halten in Rethymnon nur außerhalb, und es fängt an zu regnen. Die Strände von Georgioupolis sehen bei Regen nur deprimierend aus. Grau, öde, fad. War vielleicht doch ein Fehler mit der Kreta-Reise? Wie es jetzt auf den Kykladen ist?
Plötzlich, unter einer Brücke, hält der Bus. „Vrisses!“ Was, hier? Wo ist der Ort? Sch..., doch der falsche Bus!! 2,5 km Fußmarsch verspricht die Internetseite der KTEL, das kann ja heiter werden! Außer uns steigt noch ein Paar und eine Schweizer Familie aus, weinend und sich weigernd die Tochter. Der Busfahrer hätte versprochen, nach Vrisses hinein zu fahren, da kann er sich nun nicht mehr dran erinnern. Zum Glück kennen die Schweizer einen Abkürzung über einen Wall an der Schnellstraße und einen Sportplatz, so sind wir schirmbewehrt in 10 Minuten in Vrisses, immer die Straße entlang. Erfragen den nächsten Bus nach Chora Sfakion – erst in eineinhalb Stunden. Es regnet stärker, schnell in eine Taverne, an der Brücke, mit falscher Miniaturwindmühle. Vrisses gefällt uns, mit den vielen Platanen fühlen wir uns wie in Südfrankreich. So hab ich mir Kreta nicht vorgestellt. Wenn nicht der Süden locken würde, die Insel....
Und das Wetter schöner wäre. Der Kellner versucht, uns zu bescheißen. Diskussion. Abgang rüber zur Bushaltestelle. Die Tickets gibt es in der Taverne gegenüber (€ 3,20). Der Bus hätte Verspätung, eine Stunde noch bis er kommt, wir sollen uns setzen. Bestellen einen griechische Kaffee, bekommen (und bezahlen) einen doppelten – auch eine Methode!
Der Bus hat noch mehr Verspätung, kommt schließlich gegen 15 Uhr. Die getönten Schreiben verstärken den grauen Himmel noch, die trübe Stimmung. Es geht berg- und südwärts. Ich bin beeindruckt von der Landschaft, der sich schlängelnden Straße. Wir erreichen die hochgelegene Askifou-Ebene, links der Hinweis zum „War Museum“. Dann kommt Imbros. Mehrere Schilder weisen auf mehrere Schluchteinstiege hin, gut zu wissen, wir wollen die Imbros-Schlucht ja auch durchwandern. Weit kann es nun nicht mehr sein. Dann die Baustelle. Stau, Pause. Ein Bagger muss erst die Straße vor uns räumen, Gegenverkehr kommt auch noch. Drei kurze Tunnels wurden in den Fels gebohrt, sie Straße geht aber noch auf den alten Wegführung, die neue ist noch nicht fertig. Links fällt die Wand ab in die Imbros-Schlucht, wenn da Steine bei den Bauarbeiten hinunterfallen, haben die Schluchtwanderer ein Problem. Zum Glück sitzen wir auf der Bergseite des Busses, die Talseite ist nichts für schwache Nerven... Schließlich die Serpentinen hinunter nach Sfakia, die Wegeführung macht manchem Alpenpass Konkurrenz. Nach etwa einer Stunde Fahrtzeit kommen wir an. Es regnet leicht.
Wir machen uns auf Quartiersuche, die Straße am Ufer entlang. Werden gleich von einem Kellner angequatscht. Lehnen ab weil wir eigentlich ins „Stavris“ wollen und diese offensive Art der Werbung nicht so schätzen. Der Kellner wird uns deshalb auch in den nächsten Tagen beim Vorbeilaufen ignorieren, was gar nicht so schlecht ist, aufdringliche Kellner hat es aber leider trotzdem genug.
Inzwischen schüttet es aus Kübeln, ich ziehe alleine los, bekomme ein Doppelzimmer bei „Stavris“ (€ 33,-, zunächst für eine Nacht), treffe, welch Zufall, U. vor der Bäckerei! Wie nett! Gemeinsames Unterstehen und Schwätzen. Der Regen überspült die Straße, der Schirm nutzt zwar für oben, aber die Hose ist trotzdem nass, von den Schuhen ganz zu schweigen. Was ein Glück, dass ich mir vor drei Tagen erst eine richtige Regenjacke gekauft habe! Dass ich die so schnell brauchen kann, hätte ich nicht gedacht! In einer Regenpause schließlich die Mutter abholen, und fix rauf ins Hotel, die Trolleys nass. Wir haben ein Zimmer im Erdgeschoss, Blick und Balkon nach Westen, gen Loutro. Klein, aber renoviert, sauber und gut ausgestattet. Gefällt. Weiter oben wäre noch besser, aber ist nur für eine Nacht. Hoffen wir.
Wenig später regnet es nur noch leicht, wir ziehen los um uns Sfakia anzusehen. Schirme haben wir dabei (Das war in der Vergangenheit nicht immer so, aber seit Milos 2007...).Ein netter, überschaubarer Ort, der mich bei dem Wetter irgendwie an Grindelwald erinert: Es regnet, und alle haben Wanderstiefel an.
Eine Straße am Ufer (und Strand) entlang, mit überdimensionierten Tavernen. Eine Straße nach oben mit Bäckerei und Mini-Markt, zum Hotel Stavris und weiter vorne dem Vrisi-Strand. Und die Hauptstraße, die oberhalb vorbeiführt und nach Anopolis weitergeht. Gässchen, Querverbindungen, Stufen dazwischen.
Zuerst hinauf zur Höhenkapelle Agios Antonios – die befindet sich über dem Ort in einer weiten Höhle, hingekauert an den Felsen. Eine schöne Ikonostase hat die Kapelle, wir zünden eine Kerze an (Theo, ein Abbrennen der Kapelle ist hier nicht zu befürchten). Schön auch der Blick über den Ort, nur bei dem trüben Wetter nicht wirklich erheiternd. Grau und aufgewühlt das Meer. Ich sehe schwarz für Gavdos morgen.
Auf der Straße umrunden wir Sfakia. Vor dem Kastro-Hügel befindet sich ein Mahnmal zur Erinnerung an die Hinrichtung von 25 Einwohnern der Sfakia durch deutsche Truppen im September 1941. Mehr dazu hier. Hinter einer Glasscheibe befinden sich Gebeine und Schädel – ein englischsprachiges Schild – von neuseeländischen Kriegsveteranen - erklärt kurz den Kontext. Nicht unsere letzte Begegnung mit den Greueltaten der Deutschen auf Kreta. Wer mehr dazu wissen möchte, sollte unbedingt in die Kreta-Wiki hineinsehen.
Vom Kastro-Hügel aus sehen wir von Westen, von Loutro und Agia Roumeli, eine Fähre kommen. Da hat unsere Schweizer Familie vielleicht doch noch Glück, sie wollen nach Loutro, aber die vorherige Fähre ist ausgefallen. Wir eilen zum Anleger hinab: Das wollen wir uns ansehen! Die Fähre unternimmt einen halbherzigen Anlegeversuch, dann dreht sie ab! Hektik kommt auf an Land. Die Passagiere werden schnell in geländegängige Autos und Pick-Ups verladen, denn die Fähre wird am geschützteren, etwa einen Kilometer westlich gelegenen Ilingas-Strand anlegen! Leider zu weit weg um mal eben geschwind hinzulaufen, wir treffen die Schweizer Familie später wieder, sie erzählen uns von der wilden Fahrt zu Land im zum Glück geschlossenen Auto, nicht auf der Ladefläche eines Pick-Ups, von dem chaotischen Be- und Entladen, bei dem nasse Füße das mindeste waren und manche nicht mehr mitkamen! Autos konnten nicht auf- und abgeladen werden.
Am Fahrtkartenhäuschen frage ich die Verkäuferin, wie die Aussichten für Gavdos morgen sind, laut Plan soll die „Samaria“ um 11.30 Uhr nach Gavdos gehen. Nicht gut, aber man würde sehen, „avrio“. Bei einem vergleichbaren Zustieg wie heute verzichten wir sowieso freiwillig, wollen kein Himmelfahrtskommando.
Später regnet es wieder. So sehr, dass wir während der hundert Meter in die Taverne „Xenia“ klatschnass werden. Trotz Schirm. Das „Xenia“ hat den Vorteil (neben der guten Küche und dem netten Personal), dass es ein wasserdichtes Dach hat – nicht selbstverständlich in diesen Breiten.
Am nächsten Tag geht die Fähre nach Gavdos natürlich nicht.