Am Hafen ist einiges los – die „Aqua Maria“ ist die einzige Direktverbindung nach Psará vom attischen Festland und Athen. Wir werden von einer jungen Frau empfangen, die uns und unser Gepäck in ein Auto lädt und uns zu unserem Quartier im „Kato Gialos“ an der Südwestseite des Ortes und der Insel bringt. Es fühlt sich weiter weg an als es tatsächlich ist – zu Fuß sind es keine fünf Minuten zum Hafen. Wir bekommen eine große Wohnung mit zwei Schlafzimmern. Eine Küche ist auch da, und ein Balkon mit Blick auf das Meer, die vorgelagerte Insel Antipsara und den – nächtens angestrahlten - geschichtsträchtigen Felsen „Mavri Rachi“.
Ein paar Meter entfernt liegt eine geöffnete Taverne namens „Iliovasilema“, in der wir mehrmals einkehren werden. Der Hafen und die Paralia liegen auf der anderen Seite, nach Südosten.
Wir werden mindestens bis Mittwoch bleiben wenn es uns hier gefällt, jetzt da wir durch den „Ausfall“ von Agios Efstratios drei zusätzliche Tage um Chios herum gewonnen haben. War sowieso eine Schnapsidee mit Ai Stratis – die griechische Realität korrigiert Pläne, die am Reißbrett und im Internet gestrickt wurden, gelegentlich auf die ganz eigene Art.
Unser Versuch, noch etwas zum Trinken zu kaufen, scheitert im Gassengewirr – einige Mini-Märkte sind ausgeschildert, aber irgendwie finden wir sie nicht. Kein Wunder – die Eingänge liegen teilweise versteckt und wenig beleuchtet, und der Ort ist viel weitläufiger als wir nach der Ankunft gedacht haben. So kehren wir auf etwas zum Trinken in die andere geöffnete Taverne namens „Delfinia“ an der Paralia ein, freundlich beäugt von den dort versammelten einheimischen Männern und nett und zügig bedient von der Albanierin Jenny. Ausländische Touristen? Sehen wir keine.
Der Fast-Noch-Vollmond leuchtet über dem Hafenbecken, ich kann es kaum erwarten das hier alles bei Tag zu sehen. Aber erst sinken wir todmüde in die Betten – eine lange Etappe hat ihr erstes Ziel gefunden.
Das Geräusch der Meeresbrandung macht uns am Morgen klar wo wir uns befinden. Der Blick auf den „schwarzen“ Felsen ist toll, und da ist auch noch die hübsche Doppelkapelle (Loukas und Katerina) direkt gegenüber an der der Straße. Rechts zieht sich der Kato-Gialos-Strand nach Norden. Eleonorenfalken umkreisen mit ihren waghalsigen Flugkünsten den kahlen Felsrücken, ein riesiger Frachter zieht am Horizont entlang. Keine Insel ist in der Ferne zu sehen.
Ich mache mich auf die Suche nach dem Bäcker, der zwar ausgeschildert aber trotzdem schwer zu finden ist. Man weist mir freundlich den Weg. Psara-Chora (also Stadt geht wirklich nicht) ist ein mäßig malerischer Ort – viele Häuserruinen, viele einfache Häuser. Aber auch viele Blumen, Katzen, Feigenbäume. Man lebt hier für sich und nicht um das Klischee eines properen Inseldorfes zu bestätigen. Beim Bäcker bekomme ich frisches Brot, meine Frage nach Bougatsa wird abschlägig und mit dem Verweis auf Montag beschieden. Den bekannten Honig von Psara (den besten der Ägäis...) bekommt man dort auch. Wenige Meter von der Bäckerei entfernt stolpere ich dann auch über den größten der vier Mini-Märkte und kann unser Frühstück komplettieren. Das nehmen wir auf unserem Balkon ein, wo wir schon vor den intensiven Sonnenstrahlen in den Schatten der Markise fliehen müssen.
Unser erster Ortsbummel führt uns entlang des eher mäßigen Kato-Gialos-Strandes (grau, Kies, Sand und Steine) zur Kirche Agios Nikolaos, vorbei an zwei Kapellen, eine unverputzt, die zweite mit einem merkwürdig doppelzipfeligen Dach, das an einen Busen erinnert. Wir werden noch mehr dieser für Psara typischen Gotteshäuser sehen.
Die Treppen zur am Westufer gelegenen Nikolaos-Kirche – neben der Hauptkirche Metamorfosis unweit der Paralia die zweite Kirche des Ortes – sind mit Meerfenchel grün bewachsen, die Gebäude davor, die früher wohl mal das Gästehaus waren, stehen leer. Die Kirche ist eingerüstet, der Putz ist ab, was sie aus der Ferne wie eine Burg erscheinen lässt. Im Inneren arbeiten die Handwerker und Restauratoren, wir können einen Blick hineinwerfen. Draußen steht eines der kanonenbewehrten Denkmäler wie wir im Laufe dieses Urlaubes auf Psara und Inousses noch einige sehen werden (hier für den Psarioten und Freiheitskämpfer Konstantinos Nikodimos).
Von der Terrasse vor der Kirche können wir uns eine gute Übersicht über den Ort und einen Teil der Insel verschaffen. Die laut Census 2011 noch von vier Menschen bewohnte Insel Antipara liegt vor uns – ich glaube nicht, dass dort tatsächlich dauerhaft Menschen leben. Zwei Gebäude können wir ausmachen, es handelt sich mit Sicherheit um Kapellen. Nachts ist dort kein Licht zu sehen.
Weiter durch den Ort. Man verirrt sich leicht bis man irgendwann das Gassengewirr verstanden hat und weiß, dass man eigentlich nur immer einem der halbwegs geraden Straßenverläufe folgen muss.
Inzwischen ist die lokale Fähre, die „Psara Glory“, im Hafen eingetroffen. Werktags fährt sie morgens in knapp vier Stunden nach Chios-Stadt und nachmittags zurück, samstags (und heute ist Samstag) und sonntags fährt sie – sogar mehrmals - ins nähere Limenas Mesta, im Fährplan kurz „Mesta“ genannt (obwohl der Ort Mesta fünf Kilometer von der Küste entfernt liegt), an der Westseite von Chios. Da war sie heute wohl schon.
Die Hauptkirche Metamorfosis ist leider geschlossen, und so landen wir, aus dem Gassengewirr kommend, am Nordende der Paralia, wo es auf dem kleinen Felsenkap ein Café in „prerevolutionary buildings“ gibt. Und staunen nicht schlecht, als wir an der Ecke zwei gute Bekannte treffen, die gerade von Chios kommend ein Quartier beziehen. Nein, wir wussten nicht, dass sie sich in der gleichen Ecke der Ägäis herumtreiben würden wie wir (die wir ja eigentlich noch auf Ai Stratis sein wollten). Und nun ausgerechnet auf Psara, wo wir – von wechselnden Seglercrews abgesehen – die einzigen ausländischen Touristen zu sein scheinen. Die Welt der Nissomanen ist klein… :-)
Wir bummeln weiter nach Nordosten und erreichen den Katsouni-Strand – einen flachen Sandstrand, eigentlich noch im Ort liegend. Niemand badet dort, was nicht an der Qualität des Strandes liegen kann – es sind einfach keine Touristen hier, und die Einheimischen haben anderes zu tun.
An den Strand angrenzend befindet sich das archäologische Museum. Das Gebäude sieht neu aus, aber es ist geschlossen, verzeichnet keinerlei Öffnungszeiten, und ein Blick durch die Fenster offenbart einen eher desolaten Zustand im Inneren. Da wenden wir uns doch lieber den merkwürdig wie ein Rohbau aussehenden „Spitalia“ am Ende des Strandes zu: das unverputzte und deshalb graue Gebäude befindet sich auf einem flachen Felsen direkt am Meer. Früher war es die Quarantänestation der Insel, heute soll es im Sommer als Taverne fungieren, ist aber jetzt verlassen. Auf den ersten Blick meint man eine Fünffach-Kapelle vor sich zu haben, wegen der merkwürdigen Kamine. Auf den Felsen davor kristallisiert Meersalz in den natürlichen Mulden, wir ernten etwas Fleur de Sel.
Der Inselfriedhof liegt auch unweit, ein gepflegter Totenacker mit viel Marmor. Wir wundern uns über drei frische Gräber, anonym und mit provisorisch wirkenden stoffüberzogenen Holzkreuzen. Normale Grabkultur auf Psara, oder Gräber ertrunkener Flüchtlinge? Wir sind hier nicht so weit von der türkischen Grenze entfernt, und Flüchtlingsdramen spielen sich leider auch in der Ostägäis ab, stiller als auf Lampedusa…
Zum Mittagessen kehren wir auf einen Salat und Skordalia im „Delfinia“ ein. Die Portionen machen satt, die Preise sind günstig.
Nach einem Mittagsschläfchen (wir haben immer noch ein Schlafdefizit von der Anreise) machen wir einen Ausflug zum nördlich gelegenen Lakka-Strand. Dazu nehmen wir nicht die Uferstraße, sondern den Weg durch den Ort, der östlich des Windmühlenhügels über den Sattel führt, und von dem aus man einen schönen Blick auf den Ort (samt versteckter Kaserne) hat. Vom Sattel abwärts sieht man dann nach Osten auf eine – für Psara – recht fruchtbare und grüne Ebene (genannt Achladokampos) mit Feigenbäumen und Bienenstöcken inmitten des endlosen Goldgraubraun der Phrygana. Von Norden her winkt an der Straße eine Handvoll Windräder, die mit ihrem schwirrenden Geräusch für Unruhe sorgen. Der Weg zum Lakka-Strand führt von den Windrädern hinab.
Der Lakka-Strand ist ungefähr einen Kilometer lang, schattenlos, und besteht aus Sand und bunten kleinen Kieseln, die die Mutter sofort wortbrüchig werden lassen was ihr Vorhaben betrifft, keine Steine mehr mitzunehmen. Die Wellen kommt ungebremst von Nordwesten, die Brandung ist für den wenigen Wind recht stark, im Wasser muss man aufpassen: im mittleren und nördlichen Bereich hat es Felsenplatten unter dem Sand im Meer.
Vorgelagert liegt die kleine Insel Agios Nikolaos mit der gleichnamigen Kapelle. Das Meer hat noch herrliche 23 Grad Celsius, und wir sind die einzigen Badegäste.
Gegen 18 Uhr machen wir uns auf den halbstündigen Rückweg. Weiter nach Norden sieht man die Straße, die nach Xerokambos und zum Kloster Kimisi tis Theotokou führt, und auch der Gipfel des Profitis Ilias (531 Meter über Meer) sieht ganz nah aus. Neun Kilometer sollen es laut Landkarte auf der Straße bis zum Kloster sein, das auf einer Höhe von etwa 350 Metern dahinter an dessen Nordflanke liegt. Bisschen weit für hin und zurück, mal sehen ob wir eine Fahrmöglichkeit organisieren können. Wir sind ja noch ein paar Tage da.
Den Sonnenuntergang genießen wir von unserem Balkon. In der Ferne meine ich die Silhouette einer Insel ausmachen zu können – vielleicht Andros? Oder ein Gipfel Evias? Zahlreiche Flugzeuge zeichnen ihre weißen Striche in den Abendhimmel.
Das Abendessen nehmen wir dann in der Taverne „Iliovasilema“ ein: die Mutter nimmt Zicklein und hat Glück – sie bekommt wenig Knochen und Fett, und viel Fleisch. Meine Portion Kalamaria fällt riesig und mit zwölf Euro eher teuer aus, aber das Essen ist heiß und schmeckt gut. Wir kommen wieder.
Morgen wollen wir dann auf den "Schwarzen Rücken".