Auf den Gipfel des Eros

Bevor ich am Dienstag früh auf den Profitis Ilias losziehe – das Wetter ist unverändert warm – gehen wir noch schnell einkaufen (Wasser!) und werfen einen Blick in die Hauptkirche von Hydra, Kimisi tis Theotokou. Es ist ein ehemaliges Kloster (erbaut 1774) und ein großer Gebäudekomplex mit Glockenturm, Uhrturm, Innenhof, Arkaden und Büsten griechischer Freiheithelden (Mioaulis, Koundouriotis). Und einem kleinen Museum. Alles mit viel Marmor und Schmuck, und alles sehr prächtig und gepflegt.

 

Am Hafen werden Wasser und Getränke von einem Schiff auf Transportkarren geladen – das geht alles in Handarbeit, Sixpack für Sixpack. Braucht man kein Fitness-Studio mehr.

Für den Aufstieg zum Kloster der Profitis Ilias (das aber laut MM-Reiseführer „Peloponnes“ von Hans-Peter Siebenhaar, Ausgabe 2012, im Jahr 1998 nach Blitzschlag abgebrannt sein soll und von dem nur noch Ruinen stehen sollen – der war offensichtlich länger nicht mehr auf Hydra wie ich noch merken werde) muss man der Miaoulis-Straße nach Süden folgen und bei den Kala Pigadia nach rechts abbiegen. Da geht es dann schon ordentlich aufwärts, innerhalb des sehr schönen und ruhig gelegenen Ortsteiles.

 

Diese (Wanderweg 2 dort) und noch viel mehr Wanderbeschreibungen und jede Menge Informationen über Hydra gibt es auf der tollen Website von Anna Barry, http://hydra-island.mondorotondo.de/ (und leider auch ständige Virenwarnung je nach Scansoftware). Schade, dass das als Buch geplante Projekt nie gedruckt wurde - ich hätte es gerne dabeigehabt (die knappen Computerausdrucke waren nur ein mäßiger Ersatz). Und herzliche Dank an Anna, dass sie sich die Mühe trotzdem gemacht hat! Vielleicht wird es doch noch mal was mit dem gedruckten Buch, bei books on demand zum Beispiel?

Es gibt aber auch hier Wegweiser – für Wanderweg 1 und 3 (was dann nach einem möglichen Ergebnis des abendlichen Champions-League-Halbfinals des BVB gegen Real Madrid aussieht). Weg 3 führt in den Inselosten, wir bleiben auf Weg 1 und erreichen nach einem ersten Anstieg die große Kirche des heiligen Konstantin von Hydra (bzw. dem Hydrioten). Von hier hat man einen tollen Blick über Hydra, und wer nur einen Tagesausflug auf die Insel macht sollte wenigsten hierher kommen und die Aussicht genießen.

Auf einem breiten gepflasterten Weg geht es nun aufwärts, in Serpentinen, und erfreulicher- ebenso wie unerwarteterweise im Schatten von Nadelbäumen. Wir sind überrascht, dass wir ausnahmsweise mal nicht die Einzigen sind, die zu Fuß unterwegs sind: ein junger Mann und ein griechisches Paar mit Migrationshintergrund (was die Wanderlust erklärt) strebt ebenso aufwärts wie eine französische Familie mit vier Kinder, eine älterer Brite, dessen Frau schon voraus ist und uns irgendwann auf der Suche nach ihm entgegenkommt, und eine einzelne Frau.

Weil Theo es langsam angehen lässt überholen sie uns alle. Allerdings kommen nur die Griechen und die einzelne Frau außer uns später oben am Kloster an – die anderen geben scheinbar unterwegs auf. Eile mit Weile. :-)

Dabei gäbe es auch eine andere Möglichkeit des Klostersturms, wie uns ein entgegenkommender Eselszug beweist: man lässt sich hochtragen. Sicher kein preiswertes Vergnügen, denn das Bezwingen der vierhundert Höhenmeter braucht auch auf dem Muli seine Zeit, und ein berittener Begleiter muss natürlich mit.

 

Nachdem wir eine knappe Stunde unterwegs sind steht rechts am Weg ein Schild: es verheißt eine weitere Wanderzeit von einer halben Stunde, und man möge doch bitte „properly dressed“ sein. Bisschen später für das Schild – ich hab keinen Rock dabei weil ich das Kloster ja in Ruinen wähne. Und ich werde ab dort noch ganze Stunde unterwegs sein bis zum Propheten. Ok, ab und zu habe ich Aussicht genossen oder auf den Wanderpartner gewartet (der meine Zeit um eine weitere halbe Stunde überschreiten wird). Trotzdem ist die halbe Stunde zu optimistisch. Vermutlich will man die Wanderer nicht entmutigen – ein netter Zug. :-)

Ich warte ein letztes Mal auf Theo als ich an einer Art Tor ankomme. Von hier hat man zwei Wegmöglichkeiten: entweder weiter in sonnigen gepflasterten Serpentinen, oder auf der Direttissima, einer steilen Treppe, an deren oberem Ende das Kloster verheißungsvoll herabblitzt. Ich nehme die stairway to heaven (Theo die Serpentinen) und stehe zehn Minuten später vor dem Klosterportal.

 

Wow, was ein Anblick! Ein breites, weißes Gebäude mit einem mosaikgeschmückten (verschlossenen) Portal. Keine Spur von einem Brand.

Und was ein Ausblick! Auf die Nordküste, auf Hydra-Stadt, auf die Argolis, auf die kreisenden Raubvögel. Herrlich! Es gibt kaum ein befriedigenderes Gefühl. Im Schatten des Quadrigaportals setze ich mich hin und warte auf Theo. Das griechische Paar erreicht das Kloster, sie sind auch auf den Serpentinen gegangen. Und sie klopfen am Tor. Aber niemand öffnet – Mittagspause. Später lese ich bei Anna Barry, dass nur noch ein Mönch im Kloster wohnt und sich über Besuch freut. Aber zwischen 12 und 16 Uhr ist Mittagspause. Jetzt ist es dreiviertel eins.

 

Im Kloster Profitis Ilias war 1825 vier Monate lang der Freiheitskämpfer Kolokotronis (der „Alte von Morea“) inhaftiert – nicht von den Türken übrigens, sondern von seinen Landsleuten. Bis man einsah dass man ihn doch braucht im Kampf gegen die Türken. Intrigen wo man hinguckt…

 

Theo lässt auf sich warten. Die Griechen fragen besorgt wo denn mein Vater wäre. Er würde hoffentlich kommen, antworte ich. Sie wollen beim Abstieg die Augen nach ihm offen halten. Es kommt aber zunächst nur die alleinwandernde Frau. Ich fange gerade an mir Sorgen zu machen als Theo von Kloster der heiligen Evpraxia her auftaucht. Dorthin kann man vom Serpentinenweg her abbiegen. Aber auch er hatte Pech: auch in diesem Kloster war niemand. Kein Wunder, denn beim Propheten-Kloster öffnet sich die Pforte, und heraus tritt eine Nonne in Begleitung eines Mannes und einer Frau. Da hat sie wohl einen Besuch im Nachbarkloster gemacht.

Nach einer Verschnaufpause strebt Theo zu höheren Zielen: zum Gipfel des Eros könne es doch eigentlich nicht mehr so weit sein. Er hat recht: vielleicht noch hundert Höhenmeter. Fünfzig Minuten laut Anna Barry. Pack mer‘s!

 

Zuerst geht es aber bergab in eine grüne Senke zwischen dem Propheten-Gipfel und dem Eros-Gipfel (der seinen Namen von einem unglücklich Verliebten haben soll, der sich dort in die Tiefe gestürzt habe). Hier ist der Weg noch gut. Das ändert sich aber am Ende der Senke: „follow the red marks“ steht auf einem Schild, und ohne diese roten Markierungen wäre der „Weg“ nicht zu finden. Er schlängelt sich über Felsen und hohe Stufen (fast schon äolisch), und ich bin skeptisch ob Theos Fuß diesem Gelände auch auf dem Rückweg gewachsen ist. Theo meint ja, und so geht es weiter. Ich hänge ihn schnell ab, den Gipfel im Visier, ist ja nicht mehr weit.

Wenn man zurück schaut hat man einen tollen Blick auf die beiden Klöster. Wie groß das Ilias-Kloster ist! Es erinnert wirklich an das zentrale Gebäude in Molos – war es vielleicht doch mal ein Kloster?

 

Irgendwie habe ich den roten Punkt verloren, und ein Weg ist nun nicht erkennbar. Aber ein Steinklotz auf dem Gipfel zeigt wo es hingeht, und so gehe ich eben direkt, was leidlich möglich ist weil das Gelände flacher wird. Vierzig Minuten nachdem wir am Kloster weg sind stehe ich auf dem Gipfel des Eros (588 m).

Hier geht es nicht mehr weiter: nach Süden hin fällt die Küste steil ab. Höchstens nach Westen, nach Episkopi oder zur Kapelle des Agios Mamas führt ein Weg. Mich erinnert die Landschaft hier an Amorgos, und ich kenne keine Insel, die in ihrer Topografie schöner ist. Ganz im Westen hat es tatsächlich etwas Wald, den Inselosten können wir aber nicht einsehen weil ein höherer Gipfel (Obori, 519 m) die Sicht versperrt. Die Linien – sind das Wege oder Mauern?

Frage ich Theo, der ein paar Minuten später auch den Gipfel erreicht.

Das stehen wir einfach da und schwelgen im Gipfelglück. Im Westen sehen wir Spetses liegen, und Ausläufer von Lakonien dahinter schwach im Dunst. Im Süden hebt sich eine schwache Silhouette ab, da gibt es zwei unbewohnte Inselchen, deren Name ich (noch) nicht eruieren konnte. Antimilos kann es nicht sein, das wären neunzig Kilometer.

Irgendwann reißen wir uns von dem Panorama los und steigen ab. Da wir im oberen Teil nicht den Markierungen gefolgt sind ist es schwer, den Weg wiederzufinden. Aber wir haben Glück und schnell leuchtet uns eine rote Markierung entgegen, zusätzlich helfen auch Steinmännchen.

Für Theo ist der Weg abwärts die Hölle, jeder Schritt will überlegt sein damit der Fuß nicht übel nimmt. Tut der aber trotzdem, und so warte ich ab und an auf ihn (Theo, samt Fuß).

 

Am Kloster der heiligen Evpraxia ist immer noch Siesta, und ab hier ist der Weg ja wieder bequem gepflastert. Dafür knallt die Sonne ordentlich drauf. Theo will nicht, dass ich warte, und angesichts der Wahl zwischen Treppen- und Serpentinenweg entscheide ich mich erneut für den direkten Weg, und Theo für die Kurven. Den Vorsprung kann er nicht aufholen, und so warte ich nicht mehr auf ihn. Ich springe von Stufe zu Stufe, renne fast, so viel Hangabtriebskräfte sind im Spiel. Ich begegne niemandem.

Meine neuen Wanderschuhe, genauer: der linke, nehmen das stramme Bergabgehen übel und sorgen für Druckstellen. Ich probiere feste Schnürung, und lockere Schnürung, aber es hilft nicht viel – es tut weh. Na, da geben wir ja morgen ein schönes fußlahmes Trio ab, Theo, meine Mutter und ich! Mal sehen ob sich mit einer Einlegesohle was machen lässt, oder ob die Wanderschuhe als (nicht gerade preiswerter) Fehlkauf eingestuft werden müssen.

 

Auch heute staune ich beim Abstieg wie lange der ist – kam mir am Vormittag hinauf gar nicht so ewig vor.

An der Kirche des heiligen Konstantin sitze ich noch eine Weile und genieße den Ausblick und die Ruhe. Ist Hydra schön! Bei den Kala Pigadia zapft eine Frau Wasser. Und weil ich keines mehr habe, das Wasser dort aber – wie der Name „gute Brunnen“ sagt, sehr gut sein soll, mache ich es ihr nach und fülle meine inzwischen leere Trinkflasche. Das Leitungswasser auf Hydra kann man normalerweise nicht trinken, es kommt mit dem Wasserschiff „Dimitra“ und schmeckt brackig und widerlich.

Gegen viertel sechs treffe ich wieder im „Erofili“ ein – da waren wir doch deutlich länger unterwegs als gedacht. Mit Pausen habe ich knapp zwei Stunden für den Abstieg gebraucht. Theo wird eine Dreiviertelstunde später bei uns eintreffen (da bin ich schon frisch geduscht) und sein Überleben verkünden ehe er wieder zu seinem Hotel aufsteigt.

 

Meine Mutter und ich gönnen uns einen Ouzo im „Isalos“. Es ist genial, hier zu sitzen und den Leuten zuzusehen. Morgen ist der erste Mai, und anscheinend wird hier irgendwo mit Motto-Parties hineingefeiert: erst gehen Gruppen als Cowboy und Indianer verkleidete Leute vorbei (da ist so manche echte „Rothaut“ dabei – von der Sonne), dann spukt ein Sea-Taxi eine ganze Gruppe vom Typ „Alien“ aus: im silbernen (nicht bei allen vorteilhaften) Einteiler. Ein Hingucker für Touristen und Einheimische! Es sind Russen, die hier feiern und eine Art Schnitzeljagd veranstalten – sie rennen im Ort auf uns ab. Wir genießen lieber unseren Ouzo, ganz gemütlich im Sitzen. Es liegen wieder ein paar große Yachten hier.

Um halb neun kommt Theo. Wo sollen wir heute hingehen zum Essen? Wieder ist es uns zu weit nach Kamini, und wir entscheiden uns für das in einer verstecken Seitengasse liegende „Kryfo Limani“ (sic!). In dem schönen, schattigen und pflanzenumrankten Innenhof sind wir die einzigen Gäste, die Küchencrew wirkt aufgeschreckt, als ob sie nicht mit Gästen gerechnet hätten. Komisch irgendwie.

Bedient werden wir aber trotzdem, der Service ist sehr freundlich, die Speisenauswahl gut. Wir bestellen Fava, Mavromatika, Kotopoulo lemonato (Brust oder Keule werden wir gefragt, was ich ihn Griechenland noch nie erlebt habe!) und Pilafi me oktapodia. Die Küche wird angeworfen, es dauert etwas, aber die Speisen sind ausgezeichnet und reichlich! Mit vierzig Euro kommen wir zu dritt auch noch preiswert davon.

Inzwischen haben sich auch noch ein paar weitere Gäste (Griechen) eingefunden – ein Geheimtipp? Mein Tipp für Hydra ist der „Kryfo Limani“ auf alle Fälle.

 

Wir müssen uns irgendwann losreißen wollen wir nicht das ganze Champions-League-Halbfinale zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund verpassen. Am Hafen gibt es an zahlreichen Cafés und Kneipen Großbildschirme und Leinwände, die guten Plätze sind belegt. Es steht nach der ersten Halbzeit null zu null, das ist schon mal gut.

Wir kriegen noch ein Plätzchen bei Ouzo und Tzikouda (je drei Euro) mit passablem Blick in einem Café an dessen Name ich mich nicht erinnere. Und erleben die Führung von Real Madrid, dann das Zwei zu Null, und dann wird es richtig spannend. Die letzten Minuten durchleiden wir, aber es wird alles gut, Dortmund ist weiter mit einer Zwei-zu-Null-Niederlage. Finale! Für morgen wünschen wir uns, dass Barcelona gewinnt.

 

Vorher wollen wir aber eine letzte Wanderung auf Hydra unternehmen, die längste.

Es soll allerdings noch wärmer werden.

Und wie Theo den Tag erlebt hat liest man hier.