Die „Dodekanisos Express“ fährt um 11.15 Uhr in Tilos ab, und via Nisyros nach Kos. Dort müssten wir dann laut gtp.gr nach eineinhalb Stunden das Tragflügelboot „Erato“ nach Lipsi nehmen. Ich bezahle das Zimmer (und bekomme fünf Euro Rabatt mangels Wechselgeld). Das schwarze Zimmermädchen kriegt Trinkgeld obwohl es vor vorgestern seinen Frappé-Becher vor meinen Augen „auf Griechisch“ in der Pampa neben der Straße entsorgt hat (ich wollte noch nachgucken ob da schon ein ganzer Berg leerer Becher liegt, hab ich versäumt). Michalis bringt uns samt Gepäck hinab zum Hafen, wo wir uns von Theo verabschieden, der um zehn vor elf Uhr mit dem Bus nach Megalo Chorio fährt.
Die „Dodekanisos Express“ kommt total pünktlich, der Passagierwechsel geht zügig vonstatten. Wir suchen uns einen Platz auf dem Deck, wo es zwar mächtig zieht, man es aber bei Sonne trotzdem gut aushalten kann (wenn man gut eingecremt ist). Die Katamaranfähre legt schon wieder ab. Bye-bye Tilos! So schnell kommen wir nicht wieder….
Entlang der Küste von Tilos geht es zunächst nach Nisyros. Drei rote Dreiräder bilden eine zufällige Parade im Hafen von Mandraki. Heute Abend findet auf der Insel ein Panigiri statt, hatte Theo berichtet, dessen Astypalea-Reisegenossen noch auf Nisyros sind. Kurz juckt es mich von Bord zu gehen. Und wenn ich gewusst hätte was ich ein paar Stunden später wissen sollte, dann wäre das sicher die bessere Alternative gewesen. Aber hinterher ist man ja oft schlauer….
Wir passieren die Bimsinseln Gialí, die zu den noch von mir zu sammelnden Inseln gehört – anscheinend ist sie ja bewohnt. Ein anderes Mal. Ein älterer Mann spricht mich an, erst auf Englisch, das ich (in seinem Fall) überhaupt nicht verstehe, später auf Griechisch. Er will mich unbedingt auf einen Kaffee einladen, ich wehre mich vergebens. Er ist von Chalki, hat etwas auf Kos zu erledigen und fährt morgen via Rhodos nach Chalki zurück. Wir fachsimpeln über Inseln und Fähren (die sind im Griechischen normalerweise sächlich, auch wenn manche Besserwisser anderes behaupten). Da vergeht die Fahrt mit der schnellen „Dodekanissos Express“ entlang des steilen Südküste unterhalb des Dikeos schnell. Irgendwann kommen erst hässliche Bettenburgen und danach Kos-Stadt in Sicht. Es ist kurz vor ein Uhr, das passt prima, denn die Fähre nach Lipsi soll um 14.30 Uhr abfahren. Ich verabschiede mich von dem Herren, der uns gerne weiterhelfen möchte, aber das kriegen wir auch alleine hin.
Im Ticketbüro am Hafen werde ich darauf verwiesen, dass die Tickets für den Flying Dolphin „Erato“ jenseits der Johanniterfestung verkauft würden, und nicht hier. So ziehen wir zum Mandraki-Hafen hinüber. Unterwegs stürzen sich zwei Zimmervermieter auf uns: ein junger Mann und eine ältere Frau mit einem Motorroller. Wir sagen, wir wollten nicht bleiben. Der junge Mann drückt uns ein Prospekt seines Quartiers in die Hand, falls wir mal wiederkämen. Die Frau ist hartnäckiger: wo wir hinwollten? Nach Lipsi. Da würde heute aber kein Schiff mehr hingehen. Never on Tuesday! Ja, klar, ihr ist jedes Mittel recht um ihr Zimmer an die Frau zu bringen. Sie begleitet mich in ein Ticketbüro, wo ich tatsächlich die Auskunft erhalte, dass heute nichts mehr nach Lipsi fährt. :-(
Eine Verschwörung? Oder eine Fahrplanänderung, die mir entgangen ist? Schöner Mist auf alle Fälle! Da müssen wir wohl in Kos-Stadt bleiben für eine Nacht.
Und ich hasse Kos-Stadt. Die dämlichen Fahrradfahrer bringen mich jetzt schon aus dem Konzept, und zwar sind wenigstens keine Kreuzfahrer da, aber kurzbehoste, feiste und sonnenverbrannte Tagesausflügler aus der Türkei schwärmen durch die Gassen, von Kos-Urlaubern mal ganz abgesehen. Warm ist es auch. Zum Hotel von Alexis, wo wir letztes Mal abgestiegen sind, ist es uns zu weit. Außerdem hat die Frau mit dem Roller nun natürlich Oberwasser. Sie hätte einen very nice room, nur fünfzehn Euro. Nicht weit, nur fünf Minuten. Mir ist schon alles egal, ich kenne auch keine empfehlenswerten Quartiere in Hafennähe, also gehen wir mit ihr mit. Bloß bin ich noch nicht restlos überzeugt, dass der Dolphin nicht fährt. Das wäre doch total ärgerlich wenn wir hier sitzen würden und das Teil geht doch. Sie schreit in ein Reisebüro hinein ob ein Schiff nach Lipsi gehe, und bekommt die (für sie) wunschgemäße Antwort herausgeschrien – ochi!
So folgen wir ihr samt Roller über die Platia Eleftherias in das Gewirr der Bazargassen voller Touritrödel (sogar ein Fisch-Spa gibt es dort jetzt. Besser in der Umgebung keine Atherínes mehr essen…). Da ist der junge Mann wieder, der Konkurrent von vorhin. Er versucht uns abzuwerben, und binnen Nullkommanichts liefern die Beiden sich ein lautstarkes und sehenswertes Wortduell. Ob wir ein Hotel wollten, oder ein Hostel? Sie hätte nur eine Bruchbude, schreit er, woraufhin sie ihn als irre beschimpft. Und ich hab das blöde Gefühl, das wir mal wieder eine richtig authentische griechische Unterkunft bekommen könnten wie wir sie lange nicht mehr hatten.
Zwei Gassen weiter soll ich recht behalten. Gegenüber einer Souvlakibude stellt unsere Wirtin, die sich inzwischen als Irini vorgestellt hat, ihren Motorroller ab. Das Zimmer sei im ersten Stock, und weiter oben hätte sie noch ein besseres. Ich lasse Mutter samt Gepäck erst mal unten vor dem Haus sitzen, und Irini krabbelt vor mir die hohe steile Marmortreppe hinauf. Sie hat dicke Beine, und Schmerzen darin, jammert sie mir vor. Ich hab heute meinen sozialen Tag und bedauere sie ein bisschen. Das Zimmer im ersten Stock gefällt mir aber trotzdem gar nicht, das Bad ist extra, und das Zimmer einfachst. Da würde ich doch lieber das oben sehen. Leider hat die arme Irini aber unten den falschen Schlüssel eingesteckt weshalb sie nun unter heftigsten Gestöhne wieder hinab ins Erdgeschoss muss um ihn zu holen. Ich warte oben. Das andere Zimmer ist nicht im zweiten, sondern im dritten Stock, und die Treppe ist steil. Irini geht auf allen Vieren. Panagia mou, man hat es nicht leicht als Zimmervermieter in Kos-Stadt!
Das Zimmer ist einfachst eingerichtet – ein Doppelbett, ein Spiegelscherben an der einen Wand, ein weiterer Spiegel an der anderen, ein altersschwaches Nachtischchen, eine landestypische Lampe (= nackte Glühbirne) an der Decke. Immerhin hat es ein eigens Bad, dazu liegen fadenscheinige Handtücher auf dem Bett. Und es hat eine Aussichtsterrasse draußen, über den Dächern von Kos. Dort sitzt eine braunverbrannter blonder Mann, ein Deutscher, Typ ziemlich abgerissen und hager, und hängt seine Wäsche auf. Kosten soll das Ganze plötzlich 35 Euro, mit Frühstück. Das Frühstück hier wäre super, sagt der Blonde. Klar, 15 Euro pro Person plus Frühstück. Hätte ich mir denken können.
Ich haben keine Lust etwas andere zu suchen, und Irini tut mir ein bisschen leid. So ergebe ich mich in unser Schicksal. Irini ist schon wieder unten, „Katerina!“ brüllt sie durch Treppenhaus, aber ich lasse sie erst mal schreien und sehe mir das Bad an. Könnte schlimmer sein. Sauber ist das Ganze immerhin, denn Irini hat ein Zimmermädchen, und das versteht etwas von seinem Handwerk. Unten organisiert Irini zwei junge Männer, die unser Gepäck in den dritten Stock hinauf schleppen.
Wir wollen so wenig wie möglich auspacken, es hat auch kaum Platz für Klamotten. Der Blonde auf der Aussichtsterrasse sieht auf den zweiten Blick noch weniger vertrauenswürdig aus als auf den ersten. Da werden wir unsere Türe gut abschließen müssen. Oder sollen wir doch wieder ausziehen? Ratlos sitzen wir auf dem Bett. Wir wollten nicht nach Kos, was sollen wir überhaupt hier? Und jetzt, am Nachmittag, was sollen wir da anfangen? Und wenn die Fähre doch fährt?
Irini schreit schon wieder von unten nach Kateriiiiina! Ich gehe hinab, sie sieht dass ich nicht zufrieden bin. Sie wählt eine Telefonnummer – das sei die Hafenpolizei, ich solle dort nach der Fähre fragen. Das mache ich, und es fährt wirklich keine mehr heute. Ok, das wäre geklärt. Dann sage ich dass das Zimmer poli aplo sei und der Mutter nicht gefalle, und sie lässt sich um fünf Euro herabfeilschen. Wir bekämen ein gutes Frühstück, verspricht sie.
Weil ich aus dem grässlichen Kos-Stadt einfach nur hinaus möchte beschließen wir, mit dem Bus in das „Türkendorf“ Platáni zu fahren. Vorher müssen wir aber erst irgendwie unsere Zimmertüre abschließen – nicht einfach bei der windschiefen Schiebetüre, die unten in einem so breiten Spalt vom Rahmen absteht dass eine Katze hindurch könnte, und sich nur mit viel Mühe und Druck verriegeln lässt. Unser Bargeld nehmen wir lieber mit….
Wenigstens ein Mal heute haben wir Glück, und erwischen gerade den nur stündlich verkehrenden Bus nach Platani an der Akti Koundouriotou. Rückfahrttickets lösen wir am Schalter gleich mit.
Die Fahrt zu dem Ort mit „dem schönsten Dorfplatz von Kos“ (so Klaus Bötig in seinem Reiseführer) dauert kaum fünf Minuten. Wir merken uns wann der Bus zurückfährt, und sehen uns diese Platia an. Die marktschreierischen Schilder der Tavernen gefallen uns weniger, auch wenn man hier anscheinend gute türkisch-griechische Küche bekommen kann. Es ist nicht unser Tag heute – wir suchen den türkischen Friedhof, und erste die letzte der vier Straßen, die von der Platia abzweigen, scheint die richtige dorthin zu sein. Da haben wir aber angesichts des eher öden Dorfes und der Verkehrslage schon die Lust verloren, uns Grabsteine anzusehen. Auch wenn es türkische sind. Dafür haben wir Hunger, und nehmen lieber eine der defensiveren, weniger verkehrsumtosten Tavernen in zweiter Reihe namens „Tzin’s Place“. Wir werden sofort in die Küche gebeten wo man uns frisch gekochte Vorspeisen präsentiert. Wir bekommen einen Teller Best-of mit kleinen Krautwickeln, gefüllten Zucchiniblüten und Spetsofai, dazu ein Viertel Weißwein und Wasser. Das Essen schmeckt hervorragend, und mit den beiden griechischen Kaffees danach (aus dem blauen Wasserhahn – für türkischen wäre es aus dem roten Hahn… ;-) Danke Fred für diese Story!) kommen wir gerade mal auf zwölf Euro Rechnungssumme.
Auf dem Rückweg fährt der Bus einen weiteren Bogen Richtung Osten und hält am östlich der Johanniterburg gelegenen Anleger. Hier wäre unser Flying Dolphin abgefahren, aber tatsächlich, da steht es: nur montags, mittwochs und freitags. An den Tagen verkehrt aber auch der Katamaran der Dodekanissos Seaways – griechische Fahrplanlogik. Immerhin fährt der schon am Vormittag, um 11 Uhr, den werden wir morgen nehmen. Da fällt mir plötzlich ein: morgen ist Mittwoch, der 26. September. Und da soll in ganz Griechenland Generalstreik sein! Womöglich fährt unsere Fähre gar nicht. Das wäre echt besch… wenn wir noch länger auf Kos bleiben müssten. Und am Donnerstag fährt ja wieder kein Schiff nach Lipsi! Am Mandraki-Hafen eile ich in das nächstgelegene Ticketbüro und bestelle zwei Tickets nach Lipsi für morgen. Keine Problem, ich bekomme sie nach Nennung unserer Namen ausgestellt (29 Euro pro Person). Vorsichtig frage ich nach dem Streik. Aber nein, doch nicht hier!
Es ist doch schön in der Provinz zu sein!
Zurück in unserem Quartier in der Kolokotroni-Straße funktioniert im Bad wider Erwarten alles tadellos, es gibt reichlich heißes Wasser. Dafür muss ich – mangels anderer Sitzgelegenheiten sitzen wir auf dem Bett – eines der Bretter des Lattenrostes wieder einbauen: es hat sich auf den Boden verabschiedet, lag nur lose auf dem Rahmen auf. Kleinigkeit.
Den Sonnenuntergangs-Ouzo genießen wir im „Aigli“ an der Platia Eleftherias unter den Arkaden gegenüber der Defterdar-Moschee. Da sitzt auch wieder – wie schon vor zweieinhalb Jahren – der Doppelgänger von Mikis Theodorakis. Zum Ouzo gibt es leckere Meze – und völlig kostenlos das bunte Treiben auf der Platia: einheimische Familien, Touristengruppen, Jugendliche, Kinder, fliegende Händler, Gaukler. Wir bleiben einfach noch länger sitzen, und weil wir nicht so hungrig sind bestellen wir nur noch eine kleine Pikilía, die für sieben Euro sehr üppig daherkommt – mit leckerem einheimischem Weinkäse, Oktopus, Keftedakia. So allmählich fangen wir an, Kos-Stadt doch auch etwas Positives abzugewinnen.
*
Mit Irini haben wir vereinbart dass wir um neun Uhr frühstücken wollen. So finden wir uns pünktlich im Erdgeschoss ein, wo sie uns in den „Multifunktionsraum“ - ihr Wohnzimmer – bittet. Das unterste Stockwerk eines solchen typischen Stadthauses älteren Datums hat eine sehr hohe Decke, dreieinhalb bis vier Meter hoch. Es gibt Nescafé, Brot, Butter, Honig und Marmelade, ein hartes Ei. Und ein Gespräch mit Irini über das Leben in Krisenzeiten auf Kos. Hier auf Kos ist es nicht so schlimm: das Klima ist auch im Winter mild, es regnet kaum, die Touristen bringen genug Geld mit, man kommt so über die Runden. Aber Irinis Töchter, die auf dem Festland leben, haben es nicht leicht.
Wir verabschieden uns wenig später von Irini. Das Zimmermädchen hilft uns das Gepäck herabzutragen. Das Quartier war zwar recht rustikal, aber schon in Ordnung wenn man keine hohen Ansprüche hat. Weit zum Hafen haben wir es auch nicht.
Auf dem Weg begegnet uns wieder der junge Mann von gestern, Irini Konkurrent. Er fragt wie es uns bei Irini gefallen hätte. Ich lache nur. Er hatte schon recht, es war ein Hostel, kein Hotel. Muss man nicht weiterempfehlen.
Am Hafen kommen gerade die zahlreichen Ausflugsboote aus der Türkei an. Diese sommerlich entblößten Figuren… es wird Zeit, dass wir auf eine ruhigere Insel kommen!
Die „Dodekanissos Pride“ legt pünktlich am Hafen an. Neben dem Hauptfähranleger liegt wieder die „Hasabi II“, der eingelaufenen Dampfer. Leider nicht in Sicht ist das nette Dreirad mit Kreuz und Fähnchen, das irgendwie zum Hafen von Kos gehören soll. Wieder kein eigenes Foto, schade!
Als wir auf dem Katamaran sind und uns einen der Plätze auf dem Deck gesichert haben, sehe ich es aber doch noch: da steht es, neben der Landeklappe. Na, da können wir Kos-Stadt ja beruhigt verlassen. Auf die Insel werden wir in diesem Urlaub aber wieder zurückkehren.
Vorbei an Pserimos (eines unserer weiteren Urlaubsziele) geht die Fahrt zunächst nach Póthia/Kalymnos. Wie immer gucke ich mir diese ausufernde Stadt mit gemischten Gefühlen an: wenn wir nach Pserimos wollen müssen wir hier wohl ein oder sogar zwei Mal übernachten. Und die Villa von Antonis ist dafür etwas zu weit weg. In Hafennähe ist es aber recht laut. Mal sehen wie wir das am geschicktesten machen. Der Stopp dauert länger, die Fähre muss tanken.
Entlang der Ostküste von Kalymnos geht die Fahrt dann weiter nach Norden. Nächster Halt ist in Agia Marina auf Leros. Es gehen überraschend viele Leute an Bord, und ein Sarg! Er wird nach Patmos gebracht, wo die Bestattung stattfindet. Auch auf Lipsi werden schwarzgekleidete Leute einsteigen.
Wir werden etwas nachdenklich. Wer wird in dem Sarg liegen? Wo hat er oder sie gelebt? Jung oder alt? Wird der Tod hier weniger verdrängt als bei uns zuhause?
Die Fahrt geht weiter.
Und wir nähern uns endlich, endlich Lipsi…