Die Sonne arbeitet sich noch an den letzten Wolken ab, aber der blaue Himmel überwiegt schon.
Wir besuchen zunächst den Donnerstagsmarkt am nahen Koskinou-Tor. Es ist nur ein kleiner Markt, aber die Cousine bekommt die gewünschten Throumbi-Kräuter (Satureja thymbra, Bergbohnenkraut) und Souma, den lokalen Raki. Die Einkäufe verstauen wir im Auto und brechen zur heutigen Tour auf. Die Westküste ist unser Ziel.
Wir verfahren uns im Einbahnstraßengewirr der Nordstadt, finden dann aber die richtige Abzweigung auf Rhodos-Stadt heraus und lassen die Hotelstadt Ixia schnell hinter uns. In Ialysós (oder Triánta) biegen wir dann links ab und klettern schnell bergwärts. Der Hügel von Filérimos ist unser Ziel. Hier war einer der drei antiken Stadtstaaten (neben Lindos und Kamiros) in der ersten Hälfte des vorchristlichen Jahrtausendes: Ialysos.
Der Parkplatz ist leer bis auf eine große Schar Pfauen, die die Sonnenstrahlen genießen. Von der Antike ist hier nur noch wenig zu sehen, zumal das Plateau später mehrfach überbaut (Byzantiner, Johanniter, Italiener) und wieder zerstört wurde.
Drei Euro Eintritt werden für mich fällig, dann dürfen wir das Gelände des östlichen Hügels betreten. Ein Weg führt hinauf zum von den Italienern wiederaufgebauten Johanniterkloster mit Kreuzgang und der frühchristlichen Basilika. Rechts und links des Weges hat es antike Fundamente, außerdem die (verschlossene) Höhlenkirche des heiligen Georg. Das Gesamtensemble mit dem interessanten Turm der Ritterkirche macht unter dem blauen Himmel und die sich zum Himmel reckenden Zypressen einen frühlingshaft-heiteren Eindruck, dahinter geht es über eine freie Fläche und durch einen Pinienwald (ja, tatsächlich Pinien und nicht falsch übersetzte Kiefern!) zu den Ruinen der byzantinischen Festung, an der einige Arbeiter zugange sind. Der Blick reicht vom Aussichtspunkt an der Hügelkante über die heftig bebaute Küste bis Rhodos-Stadt.
Schön hier. Kein Wunder ist das hier ein beliebtes Ausflugsziel, vor allem auch für Brautpaare. Aber natürlich nicht im Winter.
Den Blick nach Süden und Westen haben wir, als wir nach Verlassen des Ausgrabungsgeländes dem schnurgeraden und baumbeschatteten Kreuzweg zum von einem riesigen Kreuz überragten Aussichtspunkt an Westende des Plateaus folgen. Hier zeigt sich das Hinterland von Rhodos in waldigem Grün, durchzogen von der Startbahn des ehemaligen Flugplatzes von Rhodos, dem Maritsa-Airport. 1977 wurde er durch den größeren Diagoras-Flugplatz einige Kilometer weiter nordwestlich ersetzt. Diagoras versteckt sich aber hinter einem scharfkantigen Hügel, nur ein Stück der Landebahn blitzt heraus. In westlicher Ferne heben sich die Landmassen von Symi und der türkischen Küste aus dem dunklen Meer heraus.
Wir fahren wieder hinab zur Küste, und ihr entlang nach Südwesten, durch Kremastí, wo wir vor Jahren mal nett übernachtet haben, und am Flughafen vorbei. Warum das lange Dorf daneben Paradísi heißt? Ironie? Die Flugpiste versperrt kilometerlang den direkten Zugang zum Meer, aber für den Tourismus muss eben gelitten werden. Mit dem Ende der Flugbahn wird die Bebauung dünner. Ein paar Keramik-Geschäfte rechts der Straße, und zwei, drei Großhotels bei Theologos, dann geht die Straße beim großen Elektrizitätswerk weg vom Meer, es wird ländlicher in Soroni, Fanes und Kalavarda. Und der Himmel wird wilder, es wird doch nicht noch regnen?
Der zweite antike Stadtstaat ist unser nächstes Ziel: Kamiros. Und so bleiben wir auch in Kalavarda an der Küste bis wenig später eine Stichstraße links zum nahen Ausgrabungsgelände hinaufführt.
Die Kartenverkäuferin und die Aufseherin freuen sich, dass mal wieder Besucher kommen. Drei Euro Eintritt sind auch hier obligatorisch, dann können wir uns ungestört das große Ausgrabungsgelände
ansehen, das sich einen nach Norden gerichteten Hang hinaufzieht. Vom 14. vorchristlichen Jahrhundert bis ins 4. Jahrhundert nach Christus war Kamiros besiedelt. Mehrere Erdbeben zerstörten die
Stadt, etwa 226 vor Christus. Danach wurde sie als hellenische Stadt neu errichtet, in der Form, die man sie heute sehen kann. 142 nach Christus machten Erdstöße dann der Stadt endgültig ein
Ende.
Die Italiener (natürlich, wer sonst?) entdeckten in den 1930ern die Reste der Stadt und gruben sie aus, verzichteten aber dankenswerterweise auf eine Rekonstruktion. Es ist auch so noch sehr viel
von der Struktur der Stadt zu sehen, von der nicht nur ein paar Säulen und Tempel erhalten sind. Und wenn der Reiseführer von Reise-Know-How sich darüber auslässt, dass die Mauern nur ein bis
zwei Meter hoch wären und kaum repräsentative Baureste zu sehen seien, so ist das Jammern auf hohem Niveau. Entbehrlich.
Der Eingang ist auf der untersten Ebene. Vorbei am Apollon-Tempel, der Agora und den Bädern steigen wir in einem Bogen am linken Rand sanft aufwärts, genießen dabei den blühenden Rosmarin und die weite Sicht über Küste und Meer. Erfreulicherweise ist die Beschilderung in gutem Zustand und interessant. Auf der höchste Ebene zieht sich der Riegel der Stoa entlang, die wir gut aus der Erinnerung mit der von Lindos gestern vergleichen können. Lindos mag die spektakulärere Lage haben, aber Kamiros ist irgendwie freundlicher, alltagstauglicher. Bei beiden hat jeweils eine Athena-Tempel die Stadt überragt. Von dem hier ist aber weniger übrig.
Von der höchsten Ebene haben wir nun einen guten Blick ins Hinterland. Der höchste Berg von Rhodos, der 1.216 Meter hohe Attavyros, hüllt sich in Wolken, wie auch in den nächsten Tagen. Näher und niedriger ist der Bergkamm des Profitis Ilias weniger Kilometer hinter uns. Mit 800 Metern ist er deutlich niedriger. Ich hatte eigentlich eine Wanderung von Salakos auf den Gipfel geplant, aber angesichts der Tatsache, dass es schon ein Uhr vorbei ist als wir das antike Kamiros schließlich verlassen, nun zunächst Hunger haben, und es schließlich auch eine Straße bist fast hinauf gibt, habe ich diesen Plan schon längst über Bord geworfen. Die Cousine hat außerdem auch keine rechte Wanderlust. Und wenn man doch ein Auto hat ...
Wir haben auf der Herfahrt entlang der Küste zwischen Kamiros und Kalavarda eine Taverne gesehen, in der Leute waren. Dort halten wir nun in der Hoffnung auf ein Mittagsessen. Auf einer verglasten Veranda sitzt ein Dutzend Männer, die Tische voller halbleer gegessener Teller und voller Gläser. Die Stimmung scheint prächtig zu sein, aber es ist eine private Feier, und schon im fortgeschrittenen Stadium, sprich: bei den Getränke. Zu Essen gäbe es nichts (mehr), aber wir könnten gerne ein Glas mittrinken. Angesichts der Tatsache, dass wir hungrig sind und ich außerdem fahren muss, müssen wir diese freundliche Einladung ausschlagen und treten zügig den Rückzug an. Auch das nächste am Straßenrand gelegene Lokal hat trotz der vielen davon geparkten Traktoren (Mittagstisch für Landwirte?) und der offenen Türe geschlossen.
So bleibt Salakos unsere Hoffnung auf einen geöffneten kleinen Landgasthof. Der Ort liegt auf halbem Weg und halber Höhe zum Profitis Ilias und scheint nicht ganz klein zu sein. Und tatsächlich sieht ein Lokal an der Platia geöffnet aus. Wir parken dort, und werden direkt von der Wirtin freundlich ins "To Sintrivani - paradosiako kafenio" gelotst.
Paradosiako, also traditionell, sieht es aus in der Gaststube. Natürlich bekommen wir keine Speisekarte, sondern die Wirtin zählt auf, was sie so alles hat, nicht alles ist verständlich. Wir sind hungrig, überfordert und stimmen einfach zu, was sich in der Folge verhängnisvoll auf die servierte Essensmenge auswirken wird: zunächst werden griechischer Salat und Dolmadakia serviert, dann folgen Oliven, Pommes und gebratene Fleischstücke, begleitet von schönem Bauernbrot. Als wir schon an unsere Kapazitätsgrenze kommen, bringt die Wirtin noch einen Teller mit zwei großen frittierten Teilen, Chortopittes, die Zucchini oder Kräuter enthalten und köstlich schmecken. Dazu zwei große Becher Bergtee, und schließlich zur Verdauung zwei Ellinikous glykous. Die Rechnung beläuft sich dann doch auf 44 Euro, aber wir sind satt (oder sogar übersatt) und zufrieden.
Schade, dass es nun an einem Plätzchen und der Zeit für einen Mittagsschlaf fehlt. Wir haben nämlich noch ein Ziel heute, am Profitis Ilias.
Hinter Salakos steigt die Straße steil an und führt dann auf halber Höhe westwärts. Um nach einer 180-Grad-Kurve im dichten Wald bis zum Kloster Profitis Ilias zu führen. Den Wald haben die Italiener erfolgreich wiederaufgeforstet, und dann gleich ihre Jagdleidenschaft (auf das berühmte rhodische Damwild) gefrönt. Zu diesem Zwecke haben sie das Hotel "Elafos" sowie diverse andere Gebäude errichtet, die nun unser Ziel sind. Oder was davon übrig ist.
Wir parken den Wagen neben dem Kloster (steht so in der Landkarte) des Profitis Ilias, dessen Außenanlage so aussieht als wäre sie erst in den 1930ern entstanden. Müsste sich die Kapelle nicht auf dem nochmal zweihundert Meter höheren Gipfel befinden, statt hier auf 600 Metern? Mit 798 Metern ist der Profitis Ilias der dritthöchste Gipfel von Rhodos nach dem Attavyros und dem Akramytis, aber leider auch militärisches Sperrgebiet, womit ein Gipfelsturm eh nicht zur Debatte stand. Gegenüber dem Klosters prangt nun das in alpenländischen Stil erbaut Hotel "Elafos". Es wurde 1929 als "Albergo del Cervo" erbaut und von eher gehobenen italienischen Gästen bewohnt. Später nutzte man es als Unterkunft für italienische Offiziere und als Lazarett. Nach dem 2. Weltkrieg ging die Anlage an den griechischen König Pavlos I., der sie als Sommersitz benutzte. Aber war wohl doch zu abseits, denn bald verfiel alles, und in späteren Reiseführern wird der Ort kaum erwähnt. 2004 kaufte die Gemeinde die Häuser und renovierte das Hotel, auch mit EU-Geldern. 2006 wurde das "Elafos" wiedereröffnet.
Wir haben damit gerechnet, dass das Hotel im Winter geschlossen ist, und sind überrascht, als aus dem Haupteingang ein Mann kommt. Es ist offenbar der Besitzer oder Manager, der nach dem Rechten guckt. Am Wochenende wäre das Hotel auch jetzt geöffnet, und am Sonntagnachmittag wäre das Café voller Besucher, erzählt er. Und wir dürften gerne einen Blick hinein werfen, solange er außen noch zu tun hätte. Und das machen wir dann auch, bewundern die Lobby und den Salon in der originalen Einrichtung im plüschig-klassischen Stil. Das Doppelzimmer für 80 Euro mit Frühstück, sagt booking - wäre direkt erschwinglich. Wahrscheinlich residiert es sich im Winter aber recht kühl hier, wenn man nicht auch noch in den Wolken hängt. Was im Sommer wiederum ein Vorteil wäre. Ob wir am Sonntag zum Café herfahren sollen?
Wir sind aber erst in zweiter Linie wegen des Hotels gekommen, hinter dem sich noch ein ähnlich großes, aber desolat-unrenoviertes Nachbarhotel namens "Elafina" (Hirschkuh) versteckt, und ein (natürlich winterlich geschlossenes) Restaurant "Elafaki" (Hirschkalb) benachbart.
Nein, wir sind eigentlich wegen "Mussolinis Jagdhütte" gekommen. 1936 erbaut der italienische Gouverneur Graf Cesare de Vecchi die etwas oberhalb gelegenen "Villa de Vecchi" für Gäste und Feste. Im Volksmund wurde sie dann schnell "Mussolinis Jagdhütte" genannt wurde, obwohl der Duce niemals hier war (im Gegensatz zu italienischen König). Nach dem 2. Weltkrieg verfiel das von den Rhodiern wenig geschätzte Gebäude - warum sollte man das italienische Erbe pflegen?
Ein Waldweg führt in fünf Minuten hinauf zur Ruine. Der Hotelwirt hat noch eine abfällige Bemerkung gemacht als er uns den Weg gezeigt hat: das wäre eine Ruine, und es gäbe nichts zu sehen. Und dass wir vorsichtig sein sollen. Aber ich mag nun mal solche Lost Places, auch wenn diese Ruine zu bekannt ist, um wirklich lost zu sein.
Wir haben den Weg von Osten her genommen, wo uns zunächst ein eingeschossiger breiter Riegel mit leeren Türen und Fenstern empfängt. Dienstbotenzimmer? Es gibt keinen Plan, der uns die überraschend große Anlage erklärt, die sich entlang des Hanges zieht und von großen Bäumen überwachsen ist. Die Fenster und Türen sind längst glaslos, das Interieur somit dem Wetter ausgesetzt. Die Böden sind marode, die Balkone und Treppen teilabgestürzt. Graffiti zieren manche Wände. Am winterlichen Spätnachmittag mit wenig Sonne sieht das Ganze sehr düster aus, auch wenn die zierlichen Holzfenster und die gefliesten Böden mal hübsch waren. Hier ist nichts mehr zu retten, und wir sind vorsichtig, ehe wir die womöglich morschen Bodendielen betreten (oder auch nicht). Aber neugierig stecken wir unsere Nasen natürlich überall hinein, bewundern Bögen, Öfen und Kamine. Wäre doch mal die perfekte Kulisse für einen Rhodos-Krimi....
Westlich der Villa ergänzt ein mäßig geschmackvolle Kapelle für Agios Georgios das Ensemble.
Wieder unten beim Auto sehen wir uns noch die Klosterkapelle an, die unverschlossen ist. Beim Kerzenanzünden vergesse ich meinen Rucksack dort, was mir etwas später beim Bemerken des Verlustes einen mächtigen Schreck versetzt. Zum Glück kann ich schnell nachvollziehen, wo die Tasche geblieben ist, und es war ja auch fast niemand da, der sie hätte mitnehmen können. Noch ein älteres griechisches Paar hatte sich eingefunden, aber da sie schlecht zu Fuß sind, sind sie beim Hotel geblieben.
Den Heimweg treten wir auf der Straße gen Osten an, und halten an der hübschen Kapelle Agios Nikolaos Foundoukli, die aus dem 15 Jahrhundert ist und direkt am Straßenrand steht. Zu unserer Überraschung sind die Türen unverschlossen. Das Vierkonchen-Kirchlein ist komplett mit Fresken ausgemalt, aber mangels Beleuchtung ist vor Ort kaum etwas zu erkennen. Photoshop macht es später am PC besser möglich.
Einen letzte Halt legen wir an in Eleousa ein. Auch hier wären noch ein paar ruinöse italienische Hinterlassenschaften zu bewundern, die einst als Musterdorf fungierten, aber die Zeit ist fortgeschritten. Und so halten wir nur noch kurz am runden Becken der Koskinisti-Quelle, in dem sich zwischen Kois und Goldfischen zahlreiche schwarze, maximal fingerlange Ghizani-Fische tummeln. Diese auf Rhodos endemische Süßwasserfischart ist vom Aussterben bedroht, da viele Süßwassergewässer im Sommer austrocknen. Hier und in Psinthos versucht man, die Population in Biotopen und Aquarien zu vermehren und so zu retten. Beim Blick ins Becken scheint das gelungen.
Gegen 18 Uhr sind wir wieder zurück in Rhodos-Stadt, und haben 128 Kilometer zurückgelegt. Es läppert sich doch ganz schön.
Noch immer satt vom Nachmittag, gehen wir zum Essen am Abend nicht mehr aus.