Tilos wiederbesucht

 

Die Sehnsucht nach der Ägäis war enorm gewachsen nachdem wir im Frühjahr auf den Äolischen Inseln fremdgegangen waren. So musste es im September Griechenland sein, und zwar am liebsten etwas Bekanntes. Die Wahl fiel auf Tilos und Lipsi, und noch irgendwas dazu, Pserimos vielleicht. Man würde sehen.

 

Die Flüge waren teuer wie nie zuvor – Alternativen über Athen brachten nicht wirklich eine Preisersparnis, und nach den Erfahrungen vom letzten Jahr (Rückflug ab Athen, mit Zwischenstopp in Zürich – den ganzen Tag unterwegs) wollten wir es gerne bequem, und zahlten zähneknirschend.

 

Der Hinflug erfolgte nach Rhodos (Abflug kurz nach 6 Uhr ab Stuttgart), wo wir den Tag verbummelten, denn die Fähre, die „Diagoras“ von Blue Star, ging erst abends um 20 Uhr nach Tilos. Immerhin noch am gleichen Tag. Der Flughafen in Rhodos war gnadenlos voll, der Bus nach Rhodos-Stadt brauchte ewig weil er überall hielt, auch er wurde knallvoll. Es war heiß.

In Rhodos–Stadt gaben wir unser Gepäck im Hotel „Moschos“ auf (auf Hinweis der Tourismusbüros, 3 Euro pro Gepäckstück). Wir suchen die Taverne „Oasis“ auf einem hübschen schattigen Platz in der Altstadt auf, wo man uns wiedererkannte und für acht murmelgroße Keftedakia ohne Beilage 8 Euro kassierte. Oh Rhodos – du hast dich kaum verändert!

In den Gassen drängten sich die Menschenmassen aus aller Herren Länder und in allen möglichen und unmöglichen Aufzügen, am Anleger lag das Kreuzfahrtschiff „Costa Atlantica“ (2500 Passagiere), und ein paar weitere Schiffe, die daneben recht klein erschienen. Von Krise keine Spur…

Am Seepferdchenplatz tummelt sich inzwischen zur Unterhaltung der Passanten ein gutes Dutzend Papageien – Aras, Kakadus, Amazonen. Was ein Zirkus. Daneben wurden auf dem Grill eines Lokals Fleischstücke geräuchert statt gegrillt. Und Passanten gleich dazu.

Irgendwo ein Frappé für 3 Euro 50….

Was freuten wir uns auf das ruhige Tilos! Unser letzter Besuch auf der Insel war acht Jahre her, Anfang Mai. Ja, sicher, es war einiges gebaut worden dort, aber jetzt im Herbst, in der Krise, nach dem 20. September, würde es schon schön ruhig sein dort. Dachten wir…. Oder hätten wir gewarnt sein müssen als unsere Anfragen nach Quartieren auf Tilos Preise von 45 Euro für das DZ erbrachte? Oder laut Website von Anna’s Studios die Hochsaison im September war (ein Fehler, aber unkorrigiert.)

 

Für fünf Euro brachte uns ein Taxi von der neuen Agora zum Fähranleger (kein Café dort, nichts – alles für Kreuzfahrer, nichts für „normale“ Reisende), wo die „Diagoras“ gerade, von Kastellorizo kommend, anlegte. Wir staunten über die 50, 60 Leute, die von Bord gingen und einen bereitstehenden Bus bestiegen. Solche Menschenmasse in der Nachsaison auf dem kleinen Eiland? Vielleicht Auslandsgriechen mit Wurzeln auf Megisti?

 

Die Sonne war schon lange untergegangen als die Fähre pünktlichst ablegte. Entlang den Lichtern von Rhodos verließen wir die ungeliebte Insel.

Zweieinhalb Stunden Zeit für ein Nickerchen und eine erstaulich gute Mahlzeit im Self-Service des mäßig besetzten Schiffes. Dann im Dunkel der Nacht kein Licht zu sehen, kein Schiff, keine Insel.

Kurz vor halb elf schließlich die Durchsage „Passengers with destination Tilos are kindly requested…“ Vielleicht zwei Dutzend Menschen verließen das Schiff.

Wir wurden erwartet von Michalis von „Annas Studios“. In den geräumigen Studios mit dem schönen Hafenblick und der tollen Aussicht hatten wir schon vor acht Jahren gewohnt, damals allerdings für 25 Euro pro Nacht. Nun fielen 45 Euro an, und meine Feilsch-Versuche im Vorfeld waren kläglich gescheitert: nein, fünf Nächte sind noch nicht lange genug um Rabatt zu bekommen. Erst ab zwei, drei Wochen. Fürs Einzelzimmer wurden übrigens 40 Euro verlangt. Auch wenn man es erst vor Ort buchte.

Wir hatten wegen unserer späten Ankunft dennoch akzeptiert weil ich Zimmer mit Aussicht liebe. Und es schien so als ob tatsächlich alle anderen Zimmer belegt seien.

Leider bekamen wir keines der beiden Zimmer im zweiten Stock mit dem großen Balkon, sondern nur eines im ersten Stock mit recht überschaubarem Balkon. Die Stromleitung direkt davor wird zahlreiche meiner Fotos zieren. Und wir erschraken über das Moskitonetz über dem Bett. Es gäbe aber kaum Schnaken dieses Jahr, versicherte Michalis, der meine Bemühungen, Griechisch zu sprechen, goutierte und unterstützte. Wir würden ihn meist in der Bäckerei im Ort finden falls er nicht unten in seiner Wohnung wäre. Wo ein Hund die halbe Nacht herzerweichend jaulte.

 

Sonst hat uns das Zimmer gut gefallen – es bot reichlich Platz, hatte sogar eine kleine Küche, und war sauber. Lediglich die beiden Bilder an den Wänden waren echt grässlich: kitschige Motive, pseudogealtert mit Sprüngen und Rissen. Wem gefällt denn sowas? Hmm, eigentlich wäre mal ein eigenes Kapitel über die Bilder an den Wänden von Hotels und Pensionen zu schreiben. Ich werde zukünftig Fotomaterial sammeln. ;-)

 

Auf einen Absacker gingen wir hinab in den Ort. Im „Omonia“ saßen noch Leute, aber es wurde abgewunken als wir uns setzen wollte - closed. Dann eben in die nächste Bar an der Platia. Offenen Wein? Nein, den hätte er nicht. Nur kleine Fläschchen, 0,185 Liter, wir orderten zwei mit Rotwein, die eiskalt daher kamen, drei Euro die Flasche. Das Periptero nebenan ist noch geöffnet (wie eigentlich immer wenn wir vorbeikommen – kein Feierabend!), wir holten uns schnell eine Flasche Wasser.

So ging ein langer Tag für uns zu Ende. Mückenfrei verbrachten wir die Nacht, nur der jammernde Hund unten störte etwas, das Haus ist hellhörig.

 

*

 

Frühstück auf dem Balkon mit frischem Brot von unserem Vermieter. Bin schnell zur Bäckerei runtergewetzt und hab im Mini-Markt neben der Bäckerei gleich noch ein Glas Honig mitgenommen. Tilos hat nämlich den besten Honig der Ägäis… ;-) Die Sonne knallt schon wieder, der Schatten des Sonnenschirmes ist um neun Uhr mehr im Zimmer als draußen auf dem Balkon. Na, reicht gerade so. Das Meer liegt ruhig unter uns, der Hund jault wenn er eine Katze sieht. Und es sind einige da, tiliotische Monsterkatzen. Dann rasselt auch seine Kette. Bloß sehen tun wir ihn nicht, er muss auf der zugewachsenen Terrasse unter uns sein.

Danach lassen wir es ruhig angehen: ein Bummel durch den Ort: Busfahrplan erkundigen (es fahren reichlich Busse, viel mehr als auf tilos.gr angegeben war. Der letzte abends von Megalo Chorio nach Livadia um 23.10 Uhr!!!).

Tavernen angucken: „Sofia“ war damals ganz gut, dass es das „Omonia“ noch gibt hatten wir ja schon gesehen, weiter draußen am Strand hatten wir im „Armenon“ auch gut gegessen. Dazu noch „Michalis“, „Irina“, „Nautilos“, „Gorgona“, „Eleni“ – nein, hungern würde wir nicht müssen. Einige der Tavernen sind ganz schön groß…. und haben auch Speisekarten in Russisch! Hoppla, bisher hatte ich vor allem Briten für Tilos-Liebhaber gehalten, da hat sich wohl etwas geändert.

 

Ja, das hat sich wirklich, wobei es nicht Russen sind, die den Großteil der Gäste ausmachen (die kommen lieber per Segelyacht), sondern Skandinavier, und schon noch Briten. Kein unangenehmes Publikum: eher mittelalt, distinguiert, freundlich, leise, auch wanderfreudig, sonnenhungrig. Viele davon Stammgäste. Und im Alltag nicht in Euro zahlend und nicht eben von niedrigen Preisen verwöhnt. Das heißt: hier dank günstiger Wechselkurse nicht auf den Euro guckend. Da kann man schon mal etwas mehr verlangen in den Tavernen, bei den Bootsausflügen, beim Taxifahren. Aber das merken wir erst später.

 

Jetzt merken wir, dass der Strand etwas badefreudiger aufbereitet wurde (kein Luxus, denn der Kieselstrand ist nicht wirklich bequem) und von zahlreichen Sonnenliegen bedeckt ist. Die später auch in größerer Zahl belegt sind. Dass die Zahl der Quartiere entlang des Strandes zugenommen hat – der Ort scheint in der Richtung ordentlich gewachsen. Und auch am anderen Ende, nördlich des Hafens, wo die Anlage des „Ilidi Rock“ nun aus mehreren Komplexen besteht, die sich den Hang hinaufziehen, und eine eigene Badebucht beansprucht. Irgendwie hatte ich befürchtet, dass Tilos nicht mehr so nett verschlafen sein könnte wie im Mai 2004 - schon bei der letzten Passage vor zwei Jahren war Livadia gewachsen gewesen. Aber jetzt, wo allerorts von der Krise in Griechenland gesprochen wird, und auch die Krise im Tourismus gemeint ist (das Frühjahr und der Frühsommer 2012 sollen katastrophal gewesen sein), sind wir etwas überwältigt von der Zahl der Touristen, die sich hier tummeln. Und dabei ist noch gar nicht Abend….

Die Uferpromenade gab es beim letzten Aufenthalt noch nicht, und auch das Natur-Informationszentrum bei der Hauptkirche Agios Nikolaos. Es ist geöffnet, zwei Personen sitzen an Schreibtischen und vertreiben sich die Zeit womit auch immer. Ein Prospekt informiert über Naturschutz auf Tilos: über die besonders geschützten Habichtsadler, Eleonorenfalken und Krähenscharben (nein, nicht –schaben!). Das Jagdverbot wurde gerade erst wieder erneuert, weshalb der Vogel, der einem auf der Insel am penetrantesten begegnet, die ganz ordinäre Nebelkrähe ist. Möwen haben da kaum eine Chance dagegen.

Die Straßenlaternen an der Promenade werden jetzt, Mitte September, neu gestrichen – absurde Zeiten. Ob sie im Frühjahr nochmals eine neue Farbschicht bekommen werden?

 

Auf einem Aufsteller werden Bootsausflüge mit „Captain Stelios“ angeboten: samstags nach Nisyros für 30 Euro, montags und freitags zur Bucht Agios Sergios auf der anderen Inselseite. Mit BBQ für schlappe 40 Euro – „lunch & drinks included“. Mann, Mann, Nikos O. aus D. auf K. – was hast du da noch preislichen Spielraum für deine Bootsfahrten mit göttlichen Biftekia!

Einfach am Vortag eintragen auf einer ausliegenden Liste – scheint demnach gut zu laufen. Und wer es individuell mag: Sonntag und Dienstag kann man das Kaiki privat chartern. Preis Verhandlungssache, aber so wie ich die tiliotischen Preise inzwischen einschätze ist es kein preiswertes Vergnügen. Und ob es einen Beleg für die Steuer gibt? In diesem Urlaub werde ich beleglos wie selten nach Hause reisen. Dabei sammle ich die Belege nicht für die Steuer, nur als Souvenir.

Tilos im Krisenjahr 2012.

Nachdem wir die Preise für Mietwagen eruiert haben (es gibt drei Vermieter, für einen Kleinwagen werden 28 bis 30 Euro pro Tag verlangt) lassen wir uns für eine Kleinigkeit im „Omonia“ nieder. Die schattige Taverne ist umwimmelt von Katzen und Kätzchen in allen Größen, ganz kleine schlafen zusammengekuschelt im Baumrondell, später werden sie von einem der Männer bespielt, die anscheinend dem freundlichen Wirtsehepaar aushelfen.

Schön hier zu sitzen. Die Zucchinikeftedakia sind leider etwas dunkel und hart, da hatten wir schon bessere. Die Skordalia ist lecker, und auch am Tomatensalat kann man nichts aussetzen. Griechischen Kaffee hinterher – ein Euro das Stück – fairer Preis! Es gibt einen ordnungsgemäßen Beleg wie ich ihn schöner selten gesehen habe. Ok, ich nehme die Bemerkung von oben zurück. Für den Moment.

 

Später, nach fünf Uhr, gehe ich zum Baden an den Strand, ganz am Rande jenseits der nun weitgehend leeren Liegebestuhlung, bei der kleinen unverputzten Kapelle. Das Meer ist schön und noch 26°C warm. Im Wasser hat es feineren Kies, dennoch können Badeschuhe nicht schaden am unbequemen Ufer.

Es ist schon 20 Uhr als wir am Abend zum Essen gehen. Viele Leute sind nun am Hafen und auf der Promenade unterwegs. Eine frische Brise sorgt für Abkühlung. Wir entscheiden uns für „Sofia“, wo allerdings zahlreiche der kleinen Zweiertische reserviert sind. Reserviert? In Griechenland? Ehrlich, ich hab das noch vorher nie erlebt. Schon gar nicht Mitte September. Einen Tisch am Rande bekommen wir aber noch, und jenseits der Uferpromenade wären auch noch welche frei. Dort zieht es aber ziemlich. Tagesessen ist Fisch aus dem Backofen für knapp unter zehn Euro pro Portion, und frische Fasolakia. Wir bestellen beides. Und es schmeckt ausgezeichnet. Kein Wunder sind die Tische hier schnell belegt, und weil wir nicht reservieren werden wir es nicht schaffen hier nochmals zu essen – immer alles belegt.

Wir staunen über die vielen Leute, die die Paralia entlang promenieren. Die „Tilos Sea Star“, die inseleigene Katamaranfähre, ist gerade angekommen und hat reichlich Leute mitgebracht. Fast den ganzen Sommer lag sie mit Defekt im Hafen von Tilos, seit knapp zwei Wochen fährt sie wieder, diese wichtigste Verbindung für die Insel. Ansonsten kommen jetzt nur zwei Mal die Woche die „Dodekanisos Express“ und die „Blue Star Diagoras“ auf Hin- und Rückweg vorbei - nicht üppig für eine Insel, die derart vom Tourismus lebt.

 

Auf der Runde, die wir zur Verdauung noch entlang der Paralia und dem Hafen drehen - die meisten Lokale sind gut gefüllt, und bei denen, die es nicht sind, sollte man wohl misstrauisch sein – treffen wir A. und C. im „Omonia“ – gute Bekannte aus Böblingen, auch seit gestern auf der Insel. Sie waren heute in Eristos am Strand, was erklärt, dass wir uns noch nicht über den Weg gelaufen sind.

Eristos kenne ich noch gar nicht, da haben wir es vor Jahren nicht hingeschafft. Aber morgen wollen wir uns ein Mietauto nehmen und ein wenig auf der Insel herumfahren.

 

 

 


Für Helmut, der Tilos so gerne mochte.

Februar 2013