Es ist etwas windig als wir auf dem Balkon frühstücken. Alle Restvorräte müssen weg, Joghurt, Käse, Brot, Honig, wir wollen nichts mitnehmen. Der Kühlschrank aus, der Toiletteneimer geleert, die Koffer gepackt. Gegen 10 Uhr klingelt es an der Tür (ja, es gibt eine Klingel!), es ist unsere Vermieterin Aglaia. Was sie sagt können wir zuerst nicht glauben: die Fähre geht nicht!
Was soll das heißen, die Fähre geht nicht? Nun, sie kommt nicht, folglich geht sie auch nicht. Das Wetter ist zu schlecht, der Wind….
Es erwischt uns kalt. In der windigen Ägäis, oder auf Miniinseln mit Mini-Fährverbindung muss man damit rechnen. Paxos hab ich irgendwie nicht in diese Kategorie gerechnet – touristisch voll erschlossen, zweieinhalbtausend Einwohner, „mildes“ ionisches Klima, optimales Badewetter gestern – und nun das!
Wieso nur fährt eine „richtige“ Fähre im ionischen Meer nicht? Bei diesem lauen Lüftchen, das einer Kykladenfähre von Scopelitis-Größe nur ein müdes Lächeln abgerungen hätte? Was ist das denn für eine Seefahrt hier? Was für ein Meer? Nein, wir wollten kein 15-Meter-Kaiki nehmen, sondern ein richtiges Schiff, die „Pantanassa“.
Vielleicht fährt am Nachmittag der Flying Dolphin nach Korfu? Ein Umweg zwar, aber immerhin… Aglaia will es uns nicht bestätigen, sie verspricht, uns zu informieren.
Wir hängen erst mal durch, leicht schockiert. Weil ich es nicht so recht glauben kann, laufe ich runter zum Ufer, das Meer angucken. Es ist bewegt, aber noch nicht so, dass ich Seefahrt ausschließen würde. Nun, ich bin kein Seemann :-( Vielleicht ist der Dolphin heute früh gefahren, aber „hätte“ und „wäre“ nutzt uns nichts. Wir warten auf gepackten Koffern, trauen uns nicht weg. Und der Himmel trübt sich mehr und mehr ein.
Gegen 14 Uhr klopft es. Es ist der Supermarktbesitzer von unten, der nur ganz kurz ausrichtet, dass der Flying Dolphin nicht fahren wird. Weitere Fragen verbittet er sich, er ist nur der Überbringer der schlechten Nachricht (wir hatten es schon geahnt) und verkrümelt sich schnell.
Inzwischen hat es draußen zu regnen begonnen. Was nun tun mit dem angebrochenen Nachmittag, bei Schietwetter, Ungewissheit und Frust? Der Appetit ist uns komplett vergangen, die Vorräte sowieso verbraucht. Deprimiert ziehen wir ins Café unten an der Uferpromenade – hier saßen wir am Samstag schon, nach der Ankunft, ebenfalls im Regen. Zum Glück hatten wir auch schöne und sonnige Tage dazwischen!
Der Nescafé kommt im Bausatz: heißes Wasser, ein Tütchen Instantkaffee, immerhin die Milch ist echt. So in Einzelteilen finde ich dafür 2,50 Euro doch irgendwie überteuert.
Was machen wir wenn die Fähre morgen nicht geht? Im Vorbeilaufen hab ich in einem Fernseher die Wettervorhersage gesehen – sie prognostiziert ähnliches Wetter wie heute, sehr ermutigend! Einen Flug morgen ab Korfu würden wir nicht erreichen, und die Flüge am Sonntag waren schon vor Wochen weg oder ausgebucht…. Dumm, dass ganz Loggos zwar Hotspot ist, das einzige Internetcafé (wo wir anfangs der Woche noch unseren Elleniko getrunken haben) aber inzwischen geschlossen hat. Wie also Flugalternativen herausbekommen?
Ich schicke eine Hilfe-SMS an meinen Bruder, und keine halbe Stunde später ruft er an. Vor Dienstag bekommen wir keinen Rückflug ab Korfu nach D, und dann auch nur nach München, zum stolzen Preis von knapp 1.000 Euro pro Person! Wahnsinn!
Auf den Schock bestellen wir erst mal einen Ouzo und trinken uns Gelassenheit an. Es ist nicht wirklich dramatisch oder lebensbedrohlich, es kostet nur Geld. Ziemlich viel Geld. Mist!
Rechts in der Taverne von Nasos werden Tischen und Stühle weggeräumt, für die schrumpfende Gästezahl tut es auch weniger Mobiliar. Ich krieg den Nachsaison-Blues.
Das Meer ist wenigstens ordentlich wild inzwischen und rechtfertigt den Fährenausfall. Das wäre wieder so einen Höllenfahrt geworden! Da steigt links, am Ufer unweit des Ministrandstreifens doch tatsächlich ein Schwimmer ins Wasser und crawlt nach rechts hinüber zum äußeren Anleger („Jetty“) und wieder zurück, und wieder rüber. Wir schauen atemlos zu, wenn er ersäuft können wir nix machen, aber er scheint sich in seinem Trainingspensum von keinen Wellen abbringen zu lassen. Wieder nach rechts, und zurück. Engländer vermutlich, oder wer wäre sonst so exzentrisch? Nach drei Mal hin und her ist der Bedarf gedeckt, oder ist er doch abgesoffen? Wir sehen ihn nicht aus dem Wasser steigen.
Die Brandung schlägt wieder über die Uferpromenade, überschwemmt die Straße vor der Edeltaverne von „Vasillis“. Na, draußen sitzen wird heute eh niemand wollen.
Bis zum Abend haben wir immer noch wenig Appetit. Fährenungewissheit ist gut zum Abnehmen. Bevor wir bei Nasos dann doch Zuccinibällchen und gebackenen Feta essen und uns mit reichlich Wein die nötige Bettschwere holen wollen (vergebens), fragen wir im Reisebüro von Planos Holidays nach möglichen Verbindungen und der Wetterlage morgen. Die nette Engländerin kann uns natürlich auch nichts versprechen (angesichts des Wetter sind Ausflugsboote nach Parga sowieso zu vergessen), auch dass ein Taxiboot fahren kann, hält sie für eher unwahrscheinlich (Was sind schon 300 Euro gegen 2 x 1.000 Euro für neue Rückflüge?). Sie gibt uns aber die Telefonnummer der Hafenpolizei von Gaios, da bekommen wir am ehesten Bescheid ob und wann was fährt. Ein schwacher Trost.
Wir schlafen schlecht in der Nacht, was nicht nur an unserer Anspannung liegt, sondern auch an den Gewitterwellen, die krachend und mit strömendem Regen über uns hinweg ziehen. Gegen Morgen wird es aber tatsächlich ruhiger, Regen und Gewitter hören auf. Es sieht gar nicht so schlecht aus, zumindest draußen. Im zweiten, unbenutzten Schlafzimmer haben wir Land unter – Hochwasser! Ist unter der Balkontüre hereingekommen (es geht doch nix über solide griechische Bauweise und Handwerker ;-) ). Aufwischen ist angesagt. Ansonsten: sogar blauer Himmel!
Hoffnung keimt auf.
Frühstück in der Roxy-Bar, mehr als nen Kaffee krieg ich nicht hinunter, wir kaufen noch eine Kleinigkeit in der Bäckerei nebenan. Wird die dämliche Fähre nun gehen? Kurz vor 10 Uhr ruf ich bei der Hafenpolizei an (ich hasse die griechische Sitte, sich mit „nai“ zu melden). Nein, also, hmm, die „Pantanassa“ geht nicht. Entsetzen!! (Als ich die „Pantanassa“ später auf Bildern sehe, wird mir klar warum: sie ist auch nur so ein größeres Landungsbootteil wie vor der südkretischen Küste die Gavdos-und-Küsten-Fähren - keinen Kiel, keine Power, keine Wellentüchtigkeit).
Der Hafenpolizist ist zum Glück noch nicht fertig: Statt der „Pantanassa“ kommt eine größere Fähre, die „Agia Theodora“. Allerdings erst um 14.30 Uhr! 14.30 Uhr – das wird knapp!! Ich frag den Polizisten noch schnell, wie lange das Schiff nach Igoumenitsa brauchen wird: eineinhalb Stunden ist die Antwort. Gut, gehen wir mal davon aus, das Teil ist pünktlich, braucht aber wegen der Wellen etwas länger, dann sollte es um 16.30 Uhr in Igoumenitsa sein. Mit dem Taxi eineinhalb Stunden nach Preveza, dann sind wir um 18 Uhr dort. Abflug ist um 19.35 Uhr, so groß kann der Flughafen von Preveza nicht sein, dass das nicht reichen müsste. Wenn alles klappt!
Ich hab das Telefonat noch nicht beendet, da klingelt es an der Türe, es ist Aglaia, die uns genau das Gleiche mitteilt. Ich erkläre ihr meine Kalkulation, sie ist erst skeptisch, aber wir haben eh keine Wahl. Um 13.45 Uhr wird sie uns abholen. Eine Nachbarin fährt auch noch mit, wartet wie wir seit gestern auf die Überfahrt.
So ganz kann ich es noch nicht glauben, dass es klappen könnte…
Die Zeit bis zur Abfahrt zieht sich. Ich schicke eine SMS an M., sie soll uns via Internet die Telefonnummer eines Taxis in Igou besorgen, ich möchte nicht erst bei der Ankunft auf die Suche gehen. Die Nummer kommt postwendend, danke M.!
Wir trödeln wieder unten am Ufer herum. Das Meer ist blau, der Himmel ist blau, nur die Wolkentürme darin sehen etwas bedrohlich aus. Ich werde das Taxi erst nach Igoumenitsa bestellen wenn wir das Ticket und Schiff haben!
Dreiviertel Zwei – pünktlich klingelt Aglaia. Sie wird uns nicht selbst zum Hafen fahren, sondern ihr Mann (vermute ich) Christos. Die Frau aus der Nachbarschaft steigt auch noch ein, sie hat viel Gepäck, auch einige Pflanzen. Sie ist Bulgarin, hat den ganzen Sommer auf Paxos gearbeitet, und fährt nun zurück nach Sofia (Sófia, der Ort wird im Gegensatz zum Frauennamen vorne betont). Es gibt eine direkte Busverbindung von Igoumenitsa nach Thessaloniki, allerdings nicht sehr häufig, weshalb ihr sehr an der Überfahrt heute gelegen ist. Uns auch! Denn 1.000 Euro für einen Flug ab Korfu wollen wir nicht bezahlen. Wenn das Schiff heute nicht geht, werden wir versuchen, bei nächster Gelegenheit mit dem Nachtbus ab Korfu (wo wir aber auch erst mal hinkommen müssen) nach Athen zu fahren, und von dort aus zu fliegen – ab Athen gibt es ja viel mehr Flugverbindungen nach Deutschland (Dabei haben wir leider völlig außer Acht gelassen, dass an diesem Sonntag in Griechenland Parlamentswahlen und die Flüge also voraussichtlich ausgebucht sind - denn es gibt keine Briefwahlmöglichkeit in Griechenland).
Wir erzählen dem Taxifahrer Christos, dass wir gleich weiter nach Preveza müssen – kein Problem, er kennt einen Taxifahrer in Igoumenitsa, er wird ihn anrufen wenn wir am Hafen sind. Inzwischen hat es wieder angefangen zu regnen, und wir erleben Paxos wie vor einen Woche bei unserer Ankunft in Regengrün. In Bogdanatika nimmt Christos noch ein altes Mütterchen samt Gepäck mit, das Taxi ist jetzt voll, definitiv! Zum Hafen ist es nicht mehr weit, und, oh Glück: Das Schiff ist in Sicht, es scheint wirklich zu kommen! Und es ist gut was los am Hafen, ein Tag, und schon stauen sich die Reiselustigen - auch hier wegen der bevorstehenden Wahlen?
Während ich die Fährtickets kaufe (€ 7,30 pro Person), erledigt Christos den Anruf beim Taxikollegen. Er heiße Nikos, würde am Hafen warten, hätte einen weißen Mercedes und das Autokennzeichen würde auf 7702 enden. Er hätte einen „special price“ für uns ausgemacht, 75 Euro, wir sollten darauf bestehen. (Meine Anfrage vor dem Urlaub bei www.taxiigoumenitsa.com hatte einen Preis von 85 Euro und eine Fahrtdauer von 45 bis 60 Minuten für die hundert Kilometer ergeben).
Dann legt die „Agia Theodora“ an. Das obligatorische Chaos findet statt, erschwert durch das eher schmale Tor der Hafenzufahrt, das die Ausfahrt eines Sattelschleppers zu unterbinden versucht, und durch die wartenden, drängenden (es regnet immer noch leicht) und im Weg stehenden Passagiere, Koffer, Fahrzeuge, Taxis. Irgendwann dürfen wir doch an Bord, und wenig später und ziemlich pünktlich legt die Fähre ab. Letzte Blicke zurück, auf die Panagia-Insel, die Agios-Nikolaos-Insel, später entlang der Küste Loggos, schon weit entfernt, aber der Schornstein der Olivenölfabrik ist gut sichtbar.
Wir ziehen uns in den Salon zurück, wo ich sacken lasse und zur Entspannung erst mal einen Metaxa brauche, und auch bekomme (3 Sterne für 2 Euro – kann man nix sagen).
Puh, der Rückflug scheint gesichert!
Die Fähre schaukelt vergleichsweise wenig, wir haben Heftigeres erlebt in den letzten Wochen. Auch der "Flying Dolphin" fährt wieder, er kommt uns entgegen. Große Fähren und Frachter kreuzen den Weg.
Um 16.10 Uhr kommen wir in Igoumenitsa an, es regnet Bindfäden. Das bestellte Taxi steht rechts direkt neben der Ladeklappe, wir verständigen uns kurz: „Niko?“ – „Nai, ja Preveza?“ – „Endaxi!“, laden ein, und los geht es. Kaum mehr Gelegenheit, einen Blick zurück zu werfen, so grau und im Regen nicht wirklich prickelnd, die Stadt.
Wir haben unserem Taxifahrer wohlweislich nicht gesagt, dass wir es eilig haben - sowas kann in Griechenland lebensgefährlich sein. Er fährt trotzdem als wäre er bei Schumi in die Lehre gegangen – warum gibt es eigentlich keine international erfolgreichen griechischen Rennfahrer? Wahrscheinlich, weil sie sich in jungen Jahren alle tot fahren.
Die Straße ist breit, und das ist gut, so kann er trotz Gegenverkehr überholen. Mir wird etwas mulmig zumute, es schüttet immer noch, Aquaplaning hat es hier bestimmt. Er ist aber überzeugt von seinem fahrerischen Können und der Qualität seines Autos. Ok, dann guck ich mir lieber die wirklich imposante Landschaft an als auf die Straße. Grün ist es, unheimlich grün (logisch, wenn es hier immer schüttet). Aus dem Radio kommt verschämt ipirotische Musik, mit Klarinette, melancholisch. Ich sag dem Fahrer, dass mir das gefällt, er darf ruhig lauter machen. Vielleicht bremst in das etwas. Nein, nicht wirklich. Man muss die Fahrt einfach als Gesamtes genießen, das hilft gegen Ängste.
Nun überqueren wir auch noch den Acheron, den Eingang zur Unterwelt. Bitte nicht für uns, wir finden es überirdisch schöner! Zumindest mit vier Rädern auf dem Boden. Das Tal des Acheron sieht aber toll aus. Vielleicht sollten wir mal den Inseln untreu werden? Etwas weiter südlich kommen wir wieder an die Küste, versuchen, einen Blick hinüber nach Paxi zu erhaschen. Leider nichts zu sehen, alles grau in grau.
Ab Kanali wird das Wetter besser, der Regen hört allmählich auf. Die Straße führt seit Loutsa immer die Küste entlang. Eine knappe Stunde sind wir unterwegs, 80 Kilometer, das Taxameter zeigt 70 Euro an. Wohin in Preveza wir wollten? Zum Hafen? Nein, zum Flughafen! Nikos ist nicht begeistert. Da muss er nämlich durch den Tunnel unter dem ambrakischen Golf durch, und der Tunnel ist kostenpflichtig. Und da er wieder zurück muss, muss er natürlich nochmals zahlen. Hilft nix, der Kunde ist König (manchmal).
Nach 75 Minuten Fahrt sind wir am Flughafen von Preveza, genauer: Aktio (da gab es 31 vor Christus eine Schlacht, Marc Antonius und Kleopatra gegen Octavian, später Augustus. Octavian gewann). 95 Euro will der Fahrer haben – 20 Euro mehr als vereinbart. Das heißt, wir haben nichts vereinbart, uns nur auf Christos verlassen - war ein Fehler, aber es ist uns egal: Hauptsache, wir sind nun heil und rechtzeitig da!
Griechische Taxifahrer haben einen Instinkt für solche Situationen und nutzen sie gnadenlos aus.
Der Flughafen ist überschaubar (links eine Imbissbude mit Getränken zu überhöhten Preisen, rechts fünf Schalter zum Einchecken, dazwischen ein paar Bänke, zwei Handvoll Reisenden), und gerade als wir das Gebäude betreten, gegen halb sechs Uhr, wird der Check-In-Schalter für unseren Flug nach Stuttgart geöffnet. Dass die Schalterangestellte einen Mundschutz trägt liegt wohl an der Schweinegrippe. Bei der Sicherheitskontrolle entgeht den Durchleuchtern mein Fläschchen mit Sonnenmilch, aber meine Mutter muss wieder mal demonstrieren, dass ihre Trinkflasche leer ist - und vergisst ihre Jacke darob, sie wird ihr aber netterweise nachgetragen.
Von übersichtlicher Größe auch der Travel-Value-Shop, immerhin haben sie Ouzo Pilavas im Angebot, was will man mehr?
Allmählich kommen wir runter, gefühlsmäßig. Unsere Körper gehen pünktlich in die Luft, mit dem AirBerlin-Flieger.
Zwei Wochen ionische Inseln liegen hinter uns.
The Ionian Experience – es hinterlässt uns etwas ratlos.
Das Meer hier mag uns irgendwie nicht.
Nächstes Jahr nehmen wir wieder „richtiges“ Griechenland – und die Ägäis!