La Canna

Am Samstag soll es nun nochmals ans Meer gehen. Nachdem ich beobachtet habe, wie die "Laurana" mit obligatorische Verspätung, von Neapel kommend, in Filicudi anlegt, gehen wir los.

Über Pecorini wandern wir hinab nach Pecorini a Mare. Es ist schwül-warm heute, und obwohl es fast nur bergab geht, kommen wir schnell ins Schwitzen. Pecorini ist ein größerer Ort (zumindest für Filicudi-Verhältnisse), hat eine richtige Kirche namens San Giuseppe, und einen Friedhof. Auch auf dem Friedhof hier haben die Gräber Zäune aus Metall, sodass man sich eher wie auf einem Schrottplatz fühlt als auf einem Gräberfeld. Zum Glück holen uns die lebensechten und gleichwohl recht kitschigen Grabtafeln der Etagengräber wieder zu den Menschen zurück.

 

Die Kirche San Giuseppe ist geöffnet (endlich mal!) und wirkt großzügig. Komisch eigentlich, dass man auf Filicudi keine Kirchen für den Hauptheiligen der Äolen, für San Bartolo, hat. Der hat es wohl nicht bis Filicudi geschafft. Oder man neigt hier zu Extravaganz. Ein Madonna rechts in der Ecke dominiert die helle Kirche, hübsch ist auch das aufgemalte Engelspaar über dem Chor.

 

Was Pecorini noch zu einem weiteren Inselzentrum macht, ist die Poststelle, die es dort gibt. Sie ist tatsächlich geöffnet, und die beiden Postkarten, die ich dort abgebe, werden den Weg nach Deutschland viel schneller finden als die in den Briefkasten von Porto geworfenen.

Von Pecorini geht es dann steil treppenmäßig abwärts nach Pecorini a Mare. Irgendwo hier sind wir vor vier Jahren herumgewandert, wir können es nicht mehr einordnen. Auch hier hat es einige Ferienhäuser, die sehr schön aussehen. Und wer hat denn hier das Logo das Stadtbibliothek Stuttgart auf sein Tor gemalt. Sag bloß, eine der Kolleginnen hat hier ein Haus?

 

Um halb zwölf erreichen wir die Uferpromenade von Pecorini a Mare. Inzwischen ist uns richtig heiß geworden, wir lechzen nach Abkühlung. Aber vorher registriere ich noch das Schild eines Anbieters von Bootsausflügen. Denn das will ich ja gerne noch: zu La Canna.

Zuerst aber das Meer: entlang der Paralia, ähm, dem Lungomare gehen wir nach Westen. Vorbei an der Bar-Ristorante (und Hotel - allerdings nicht eben preiswert) "La Sirena", die geöffnet ist, aber noch auf Gäste wartet. Davor befindet sich ein schmaler Kieselstrand, den man sich mit einigen Booten teilen muss. Wir wollen aber zum Badeplatz von Lidalina westlich des Ortes. Nicht dass wir Wert auf Sonnenschirme und Strandliegen brauchen - im Gegenteil. Aber der Strand müsste ja gut sein, und dim Ort, direkt vor dem Ristorante, wollen nicht so gerne baden und uns umziehen. Spätestens beim Preis von 26 Euro für zwei Sonnenliegen plus Sonnenschirm vergeht uns aber in Lidalina sowas von die Sonnenliegenlust. Sagte ich schon, dass Italien teuer ist? Immerhin: ein paar Badegäste (unter anderem unsere italienischen Zimmernachbarn) grillieren da munter vor sich hin.

 

Wir gehen also lieber am offiziellen und kostenpflichtigen Badeplatz vorbei und suchen uns zwischen den fußball- bis kürbisgroßen Steinen einen halbwegs bequemen Platz zum Umziehen (ist nicht einfach). Und nun schnell ins Wasser. Aber so schnell geht das nicht. Schon der Weg zum Ufer ist trotz Badeschuhen schwierig wegen der Steingröße, und die Steine am Ufer und im Wasser sind weit hinein glitschig. Irgendwie schaffe ich es ins Tiefe hinein ohne mir den Haxen zu brechen (ich schätze, es gibt eine Krankenstation auf Filicudi, aber für Brüche muss man sicher nach Palermo oder Messina, oder mindestens nach Lipari. Das muss nicht sein nachdem ich den Fossa Felci verletzungsfrei bewältigt habe), aber die Mutter bleibt nach meiner Warnung dann doch lieber im Uferbereich. Jetzt weiß ich auch, warum es beim Badeplatz einen kleinen Steg ins Wasser gibt. Aber wir sind halt Schwaben....

 

Irgendwie ist Filicudi als Badeinsel suboptimal. Am besten badet es sich wohl noch bei Le Punte. Wenn es wenig Wellen hat.

Interessant ist hinter dem Strand die steile Felsenwand, mit Basaltsäulen durchsetzt. Filicudi ist ja vulkanischen Ursprunges, auch wenn es hier nicht mehr raucht und stinkt. Davon will ich mehr sehen.

 

Zunächst aber kehren wir auf eine Granita ins "La Sirena" ein. Da ist inzwischen mächtig was los - Segler und Badegäste speisen zum Mittag. Und da kommt noch ein großes Motorboot herangespritzt, ein Samstagnachmittagsausflug von Panarea wenn man die T-Shirt-Aufschrift der Besatzung entsprechend interpretiert. Zum Essen mal eben mit dem Boot nach Filicudi - Kleinigkeit für den Luxusurlauber auf Panarea. Nein, wir sind auch gar nicht neidisch.

Die Pasta auf den Tellern sieht gut aus, da krieg ich glatt Kohldampf. Nein, jetzt nicht. Jetzt will ich eine Bootsfahrt, und da ist es vielleicht besser, man hat nicht so viel im Magen.

 

Vorne am Fähranleger sind zwei Männer mit einem Boot beschäftigt, und ich frage sie, ob die Möglichkeit besteht, eine Tour um die Insel zu machen, und was das kostet. Für zwei Personen fünfzig Euro antwortet der Ältere, und dass wir kurz warten sollten, dann würde der Jüngere uns fahren. Wenn wir das wollten. Doch, das wollen wir - einmal um La Canna ist uns das wert.

Wir krabbeln über die Reling und die weichen Sitzkissen in das kleine Motorboot, das Maurizio, so heißt unser junger Kapitän, steuern wird. Ein netter Bursche, der uns auf der Tour die geologischen Besonderheiten Filicudis erklären wird. Dass er kaum Englisch spricht, und ich von seinem Italienisch noch nicht mal die Hälfte verstehe, macht die Sache nicht leicht. Ungebremst sprudelt ein Loblied auf Filicudi aus ihm heraus, auf die schönste der Inseln, sein freies Leben dort und auf dem umgebenden Wasser. Ja, ich kann ihn verstehen - Filicudi ist echt schön. Nicht so extrem wie Alicudi, sondern zugänglicher.

 

Er wirft den Motor an, und wir fahren entlang der Küste nach Westen. Vorbei am Badeplatz Lidalina, und schnell haben wir nur noch Steilküste neben uns. Voller vulkanischer Strukturen: Basaltsäulen, querverlaufenden Linien, glatter Steinbrocken, und das türkise Meer davor. Dann zwei niedrige Löcher - zwei Meereshöhlen. Oder ein kleiner Kiesstrand, nur von See aus zugänglich. Das Gestein hat mal eine rötlich-braune, mal eine graue Farbe, und überall wächst frisches Grün dazwischen, meist Kakteen.

Beeindruckend!

Nun biegen wir um die Ecke, und vor uns taucht die Säule von La Canna auf. Sie ist noch weit weg, sieht aus wie eine versteinerte menschliche Gestalt. Lots Frau? "Faraglione" = Klippe heißen solche Felsen auf Italienisch, und es gibt noch einige, kleinere neben La Canna, der Klippenkönigin.

 

Die Hauptinsel ist nun nicht mehr so steil, hat aber einen gepflegten 45°-Winkel mit Gesteinsrutschen: La sciara, wie auf Stromboli. Früher glitt hier mal die Lava ins Meer.

Mauzirio steuert jetzt auf eine Felsenwand zu, in der sich eine Höhe befindet. Es ist La Grotta del Bue Marino (= die Höhle des Meeresochsen), in die wir nun hineinfahren. Der Eingang ist höher und breiter als der der vergleichbaren Höhle auf Kastellorizo, so kommt man bequem hinein ohne sich flachlegen zu müssen.

Drinnen ist das Blau des Meeres dafür weniger beeindruckend. Es hat einen schmalen Ufersteifen voller Kiesel, aus denen Leute Steinmännchen gebaut haben. Hier müsse ich jetzt baden, meint Maurizio. Ähm, ich hab den Badeanzug nicht mehr an, und in der schattigen Höhle wirkt das Wasser kalt (was es vermutlich nicht ist). Nein, ich muss hier nicht baden. Die Mutter sowieso nicht, die der ganzen flotten Seefahrt eher misstrauisch gegenüber steht.

Weiter entlang der Küste fahren wir unter einem steinernen Bogen, der Punta del Perciato, hindurch, dann führt unsere Fahrt zunächst zu den niedrigeren faraglioni vor La Canna. Zuerst zu einem flacheren, den wir unbedingt berühren müssen: das würde Glück bringen, sagt Maurizio. 'Fortuna' heißt der Felsen logischerweise, und Maurizo fährt ganz nah heran damit wir uns entsprechend verrenken und den Felsen berühren können.

Ach, ich spüre das Glück schon! Immerhin sind wir nicht gekentert bei dem Manöver.

Und jetzt hält das Boot schnurstracks auf den Höhepunkt zu. Der tatsächlich einer ist: La Canna.

 

Der 71 Meter hohe Vulkanschlot steht einen guten Kilometer von Filicudis Küste entfernt, und je näher wir kommen, desto beeindruckender erhebt sich die schwarzbraune Gestalt in die Höhe. Obenauf steht eine Madonnenstatue, die von unten aus winzig wirkt.

Mit dem Boot umrunden wir die Felsensäule, deren Basis fünfzehn, zwanzig Meter breit ist.

Die Gestalt verändert sich, vom Hasen zum König, und schließlich zu einem stehenden Krokodil. Oder ist es ein Maulwurf?

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Das harte Magmagestein, das sich einst im Inneren des Vulkanes befand, hat die Jahrtausende überlebt, die weicheres Gestein weggespült haben. Nun nisten Eleonorenfalken dort (mal wieder - gute alte Bekannte aus Griechenland), endemische Äolische Mauereidechsen und (menschliche) Freikletterer sollen sich auch an den vertikalen Wänden ausprobieren. Jetzt sind aber keine (Menschen) da, wir haben den Felsen für uns alleine. Nein, man kann dort nicht landen.

 

Ich gerate in einen mittleren Fotorausch, und auch Maurizio schwärmt. Schade, dass ich seine geologischen Aufführungen größtenteils nicht verstehe.

 

Unweit von La Canna ist noch der niedrigere Felsen Monte Nassari, vierzehn Meter hoch. Er trägt ein Leuchtfeuer auf der Spitze. Ob es noch unterirdische Felsen gibt, auf denen man Schiffbruch erleiden kann? Bestimmt....

Nach einer Runde um den "Stock" nimmt Maurizo Kurs Ost. Da ist noch ein Felsen, der aussieht wie ein riesiges, halbaufgetauchtes U-Boot. 'Giafante' heißt er, sizilianisch für Elefant. Mhh, sind die Elefanten hier eckig? Kommt natürlich, wie so oft, auf die Perspektive an.

 

Ein letzter Blick auf La Canna und Monte Nassari, hinter denen Alicudi hochsteigt, dann geht es um die Kurve.

An Filicudis Nordwestseite wechseln sich steile Wände und grüne Terrassen ab. Ein paar Häuser - der Weiler Seccagni. Darüber ragen einige Klippen hoch - auch an Land gibt es faraglioni.

Nun wieder Steilwände, farbig-weiß geschichtet, gelegentlich von Höhlen unterbuddelt. Eine augenähnliche Druse voller Farben. Das Meer ist im Nachmittagslicht milchig-türkis. Was ein Farbenspiel!

 

Inzwischen sind wir vom vielen Gucken schon leicht erschöpft, und ich hab resigniert, Maurizios Erklärungen zu verstehen. Nicke nur noch, und murmle si, si.

Filicudi durchfurchen nun wieder tiefe, grüne Erosionstäler, von schrägen Sonnenstrahlen beschienen. Filicudi ist unheimlich vielfältig.

Vor uns sehen wir nun Capo Graziano, und rechts davon, auf der hohen Felsenstufe über Porto, Rocca di Ciauli. Rechts an der Kieselküste liegt ein Natursteinhaus - "Brigantini" heißt der Landstrich.

 

Wir nähern uns Porto, das schon ziemlich im Schatten liegt, wo wir unsere Tour beenden werden. Achtzig Minuten waren wir im schnellen Motorboot unterwegs.

Wirklich sehr zu empfehlen!

Maurizio setzt uns am Hafen an Land und bekommt seine Honorar.

Ich habe noch Badelust - der Steinkugelstrand vor dem Capo Graziano liegt in der Sonne. Aber die Steinbälle sind so unbequem, dass schon das Gehen darüber halsbrecherisch ist. Ich verzichte, und wir gönnen uns dafür ein Glas Weißwein bei "Da Nino Sul Mare" (je vier Euro) und beobachten den Fährverkehr, ehe wir uns von Franca mit dem Taxi für sieben Euro in unsere Pension hinauffahren lassen.

Unser Filicudi-Aufenthalt geht dem Ende entgegen. Heute Abend essen wir nochmals in der "Villa La Rosa", genießen unsere Terrasse.

Morgen, am Sonntag, bringt uns eine der beiden Wirtinnen am Vormittag mit dem Auto hinab zum Hafen. Ein diesiger, regendrohender Tag ist es, aber er bleibt wider Erwarten doch trocken.

 

Mit dem Aliscafo fahren wir um halb elf nach Lipari, wo wir dreieinhalb Stunden Aufenthalt haben ehe es nach Stromboli weitergeht.

Filicudi hat uns gefallen. Eine gute äolische Mischung. Zwischen Alicudi und Salina.