Schon am Abend, bei der Tavernensuche, merken wir, dass die Aufreißer der Restaurants auch im Winter aktiv sind. Da aber deutlich weniger Tavernen geöffnet sind, wird der abendliche Stadtbummel trotzdem nicht zum Spießrutenlauf wie im Sommer. Lokale mit Reinschmeißern disqualifizieren sich für uns sowieso, auch wenn sie ganz akzeptabel aussehen.
Außerdem muss man beim abendlichen Stadtbummel aufpassen auf die fliegenden Pizzaboten auf ihren Mopeds: sie rasen durch die schmalen Gassen, die eigentlich Fußgängern vorbehalten sind, dass uns oft nur ein rettender Schritt zur Seite bleibt. Die Branche boomt offenbar, denn wir sind ständig auf dem Sprung. Und schon am Vormittag um elf Uhr geht es wieder los.
Wir werden an vier Abenden vier Lokale ausprobieren:
Am ersten Abend das "Rakodikeio" gegenüber der Neratzes-Moschee. Die Tische sind klein, man sitzt eng (natürlich drinnen, es ist ja Januar), das Publikum ist jung und der Lärmpegel hoch. Das Gespräch der Deutschen vom Nachbartisch können wir problemlos mitverfolgen. Zum Glück sind sie schon fertig mit Essen und gehen früh. Wir bestellen einen Salat, Seftalies (Hackfleischwürste), Pastourma und Bakaliaros und natürlich Wein, und das Essen ist gut und so reichlich, dass wir übrig lassen müssen. 35 Euro beträgt die Rechnung. Sehr akzeptabel.
Am nächsten Abend fällt unsere Wahl auf das edle "Elaiá" unweit des volkskundlichen Museums. Alles ist ein bißchen geräumiger, leiser, schöner. Und die Preise höher. Für einen großen Salat, ein Risotto mit Meeresfrüchten, einen Gemüseteller und Nudeln mit Apaki samt dem begleitenden Wein werden wir knapp fünfzig Euro los. Das Essen ist gut, die Portionen sind groß, Theo hätte sich allerdings einen größeren Anteil an Meeresfrüchten und weniger Reis gewünscht.
Am Sonntagabend sind wir vom späten Mittagessen noch zu satt um größeres zu vertilgen. Zufällig landen wir in dem Kafenio-Rakadiko "To Parelthon", einem winzigen Lokal mit kaum fünf Tischen, kaum Gästen, aber den Wänden voller Fotos. Nein, es gäbe nur Mezedes, meint die Wirtin auf unsere Frage nach Essbarem. Und bringt keine Karte, aber zum ersten halben Liter Rotwein ein Schälchen Oliven, ein Brotkörbchen, ein Teller mit Tomaten und Gurken (die musste erst jemand in der Nachbarschaft besorgen), und scharfe Käsecreme. Der zweite halbe Liter Wein wird begleitet von Fava, Käse, Keftedes und diversen anderen Leckereien (ich hab es mir nicht alles gemerkt). Alles vorzüglich, und die angenehme Lautstärke der (nichtgriechischen) Musik lässt auch Gespräche zu. Gefällt uns gut, und der Wein schmeckt auch. Beim dritten halben Liter muss ich schon sagen, dass wir satt sind und nichts mehr dazu wollen. Zum Schluss gibt es noch einen halben Liter Wein aufs Haus. Und für diesen geglückten Tagesausgang bezahlen wir gerade mal zwanzig Euro.
Der letzte Abend sieht uns spät in der Oinomageireio "Ta 2 Rou". Theo und ich waren eigentlich nicht mehr hungrig, waren wir doch vorher mit ausgezeichneten Dakos bewirtet worden. Barbara hätte aber schon gerne etwas gegessen, und in der "Weinküche", nicht weit von unserer "Casa", werden lokale Speisen angeboten. Die Wänden hänge auch hier voller Fotografien, deren Schräglage den Ordnungssinn der Cousine herausfordert. Der originelle und freundliche Wirt Grigoris zählt die Tagesessen auf, wir bestellten Fava, Revithia und Fasolia mit Xinochondro . Hülsenfruchttag heute. Das Gebotenen ist ordentlich, der Nachtisch, kleine gerollte Pfannkuchen mit Zucker und Zimt, geht aufs Haus. Nett hier. 25 Euro werden fällig.
Auch Rethymno gefällt mir. Am Samstagvormittag ist Markt ganz bei uns in der Nähe, auf dem Platz Richtung Busbahnhof. Nichts spektakuläres, aber ich kann hier das Throumpi (θρούμπι, Satureja thymbra, Bergbohnenkraut) kaufen, das meine Griechischlehrerin gerne mitgebracht hätte. Ein Kraut zwischen Oregano und Thymian, das es wohl nur auf Kreta gibt. Und da auch keineswegs überall. Hier aber schon. Ansonsten werden vor allem die Produkte der Felder und Plantagen verkauft: Orangen ab 39 Cent das Kilo, Krautköpfe, Rote Bete, Wildkräuter, Käse, Kiwis, Oliven. Natürlich hat es auch einen Klamottenstand, und allerlei Hausrat. Der Wochenmarkt in Mires wird allerdings mehrmals so groß sein.
Entlang der Küste spazieren wir um die Fortezza. Wir werden sie am Nachmittag besuchen.
Leider sind die Gebäude im Winter nicht zugänglich, aber das frische Grün des alles bedeckenden Grases auf dem weitläufigen Gelände hat was. Und die dattelstrotzenden Palmen, die Aussicht auf Stadt, Meer und Berge, die verschiedenen Gebäude, überragt von großen Pinien, die herumliegenden Steintafeln (vor allem muslimische Grabtafeln aus Rethymnos osmanischer Zeit) und korrodierten Kanonenrohre, die Gewölbe und Lagerkammern. Die imposante Mauer, die aber nicht so unüberwindbar waren wie gewünscht. Und natürlich der Blick auf unser Häuschen, dass sich fast an die Mauer lehnt.
Ein bißchen Sonne wäre noch schön, aber am ersten Tag ist der Himmel bedeckt, droht gelegentlich mit Regen. Morgen soll das Wetter richtig schlecht werden, aber schon am Montag wird Sonne versprochen. Es bestätigt sich wieder: Januar auf Kreta ist wie April in Deutschland.
Aber zunächst geht es in die Altstadt. Die Tavernen entlang des venezianischen Hafens sind alle geschlossen, es herrscht tiefer Winterschlaf. Ich will mir gar nicht vorstellen, was hier im Sommer los ist - da könnte man hier kaum unbehelligt entlanggehen.
Der Leuchtturm ist ein hübsches Fotomotiv, aber mangels Sonne eher von der palmenbestandenen grünen Paralia aus. Auch dort sehen die dicht an dicht liegenden Restaurants tagsüber geschlossen aus, es ist kein Spießrutenlauf nötig. Angenehm.
Eine große Minotauros-Figur weist wohl auf den bevorstehenden Karneval hin, für den Rethymno bekannt ist.
In den Einkaufsstraßen der zweiten Reihe herrscht kretisches Treiben: geöffnet ist vor allem, was Alltagsbedarf anbietet, aber auch Devotionalien aller Art, und kretische Spezialitäten. Die Cousine findet die gewünschten Gürtel und auch noch gleich einen Geldbeutel für sich. Es bleibt noch genug Geld übrig - Kreta ist auch im Januar 2018 ein preiswertes Reiseziel.
Ich bin mit der Option nach Kreta gekommen, mir dieses Jahr vielleicht eine Lyra mitzunehmen. Nicht dass ich sie spielen könnte (ich hab noch nie eine in der Hand gehabt, und einen Lehrer zu finden dürfte im Großraum Stuttgart auch nicht ganz einfach sein), aber ich liebe dieses Instrument. Und wir werden in Zaros ja beim Instrumentenbauer wohnen, da erhoffe ich mir Information vom Fachmann.
In Rethymno werde ich aber gleich die Läden von drei Instrumentenbauern entdecken. Im ersten in der Arkadiou-Straße hängt ein sehr schöne, einfache Lyra in der Türe. Ich traue mich in den Laden, in dem der Himmel voller Lyres hängt. Laoutes, Bouzoukia und Mandolines sind auch dabei, und im Schaufenster baumelt eine ziegenbalgige Askomantoura, ein kretischer Dudelsack.
Zweihundert Euro würde die Lyra meiner Begierde kosten, sicher ein fairer Preis. Aber ich bin unentschlossen, ist mein Lyra-Traum doch nur eine Spinnerei und ich vermutlich völlig unbegabt im Musizieren. Ich werde es lassen, und später wird es mir leid tun, aber noch genieße ich einfach diesen Laden (Lyranthos?).
Zwei weiteren Werkstätten beziehungsweise Läden (Papalexakis, wo der Sohn Nikos am Arbeiten ist, und Klapsinakis?) werde ich später in der Dimakopoulou-Straße entdecken. Schön, dass kretische Musik jenseits von touristischer Folklore so eine Wertschätzung genießt!
Wir werden das auch noch am Abend merken, als Barbara und ich nach dem Essen noch ins "Mikro Kafe" gehen, um drei jungen Musikern - Haris Panagiotakis, Lyra, Stelios Mylonakis und Giorgos Choustoulakis, beide Laouto - zu lauschen. Unverstärkt und damit erholsam für die Ohren, unter zunehmend mehr Kretern, die ihren Spaß haben und gelegentlich mitsingen. Schade, dass wir vorher schon gegessen haben und die Mezedes zum bestellten Karavaki Raki nicht mehr schaffen. Zwanzig Euro bezahlen wir für den lyrischen Abend.
Natürlich sehen wir uns tagsüber auch den Rimondi-Brunnen und die Neratzes-Moschee an (von außen), und die große Platia Mikrasiaton - benannt nach der kleinasiatischen Katastrophe und den Migranten, die nach 1922 von dort kamen - dahinter, auf der ein Weihnachtsbaum vom vergangene Fest zeugt. Große Graffitis an den Wänden eines Hauses (die Rückseite des Folklore-Museums?) bestimmen den hinteren Teil des Platzes, in einer Nische des Platzes drängen sich einige Obdachlose um ein rauchendes Feuer in einem Grillkasten.
Am Platz bei der neuen Kirche Tessaron Martyron gönnen wir uns den ersten Frappé des Jahres. Sogar die Sonne lässt sich jetzt etwas blicken, dabei hat in der Nacht noch ein heftiges Gewitter unseren Schlaf gestört.
Richtig schön wird Rethymno aber, nach einem Regensonntag, den wir mit einem Ausflug in die Umgebung verbringen, am sonnigen Montagvormittag. Der weiße Gipfel des Psiloritis leuchtet mit den Lefka Ori um die Wette.
Ich bin mit Barbara noch auf der Suche nach einem Buchladen und entdecke dabei ein paar östliche Ecken der Stadt, beispielsweise die kleine Kara-Mousa-Pascha-Moschee. Sehr hübsch, und ich merke, dass ich für Rethymno viel zu wenig Zeit eingeplant habe. Das eine oder andere Museum könnte noch locken (falls im Winter geöffnet), und natürlich die vielen Läden. Na, da muss ich wohl wiederkommen.
Einfach perfekt ist der zweite Frappé des Jahres im einzigen geöffneten Café am venezianischen Hafen. Die Sonnenplätze sind gut belegt, und dass der Frappé-Preis im "Nuvel" mit drei Euro eher im oberen Bereich liegt, ist uns so egal wie den Einheimischen. Da weiß man wieder, warum man im Januar nach Kreta kommt.
Das ist wohl der Moment, in dem die Cousine sich von unserem nachmittäglichen Trip nach Kalyves ausklinkt. Ich kann sie verstehen, freue mich aber auf den Besuch dort. Und außerdem muss Barbara noch zehn Postkarten schreiben.
Ein Spaziergang zum nahen Leuchtturm muss dann natürlich auch noch sein.
Die Weißen Berge gucken hinter der Häuserreihe des venezianischen Hafens hervor wenn man hoch genug auf die Hafenmauer steigt. Fehlt nur noch der Eisvogel, wie vor zwei Jahren
in Chania. Sind ja schließlich wieder Eisvogeltage.
Doch, Rethymno ist gar nicht schlecht. Vielleicht nicht ganz so schön wie Chania, aber fast.