Irgendwie war in der Anreise der Wurm drin. Nachdem es, trotz extrem früher Festlegung auf den Reisetermin, diverse Widerstände arbeits- und vereinstechnischer Natur zu überwinden galt, hatte ich im Oktober endlich meine Flüge von Stuttgart nach Iraklio und zurück gebucht, via Thessaloniki. Aus unerklärlichen Gründen geht das immer noch nicht bei Aegean Airlines direkt, aber beim Reisebüro Europa, fly-gr.de. Zum Spottpreis von knapp 80 Euro ohne Gepäck. Allerdings hatten die meine Buchung irgendwie versemmelt, und aus nicht nachvollziehbaren Gründen über Athen gebucht, was nicht nur eine kürzere Nacht und eine teurere Übernachtung bedeutet hätte, sondern auch einen höheren Flugpreis. Der wurde mir prompt abgebucht. Ein Dutzend Telefonate und schon zwei Wochen später hatte ich dann den gewünschten Flug. Das gleiche Procedere vollzog sich beim späteren Dazubuchen des Gepäcks (20 Euro je Richtung), da wurde die Zeit schon etwas knapp, aber fünf Tage vor Abflug war auch das schon gebongt.
Und dann kam kurz vor dem Abflug der Winter. Nicht in Jermanía (da kam er auch, aber nicht so heftig, nur kalt), sondern in Nordgriechenland. Und auf Kreta, wo es erstmals seit Jahren wieder bis auf Meereshöhe herab schneite. Ich packte noch warme Unterwäsche ein, verzichtete aber auf Skier, und fragte Martin von "The Best Cars", ob unser Mietwagen Winterreifen hätte. Natürlich nicht - in den tiefen Lagen ist der Schnee so schnell weg wie er fällt. Und in höheren Lagen? Man würde sehen.
Nicht aber im nordgriechischen Thessaloniki, wo mir die winterlich-fehlenden Nonstop-Flüge eine Zwischenlandung mit Übernachtung aufzwangen. Die Ankunft der Aegean-Maschine aus Thessaloniki in Stuttgart verzögerte sich. Immerhin war sie unterwegs: am Vortag war die Verbindung ausgefallen, die verhinderten Fluggäste drängten nun zusätzlich in unseren Flug, der mit fast zweistündiger Verspätung endlich abhob. Statt Ankunft um 23 Uhr landeten wir gegen halb ein Uhr im tief verschneiten Thessaloniki, wo die Piste noch nicht mal notdürftig freigeräumt war. Zur Rutschpartie wurde das Herabsteigen auf der mobilen Treppe am Flieger und am Eingang des Flughafengebäudes. Ich gönnte mir ein Taxi ins Hotel "Iris" in Thermi (neun Euro für die in zwanzig Minuten zu bewältigende Fußstrecke - aber nicht im Schnee. Und unverlangt bekomme ich sogar einen Beleg für die Taxifahrt!), wo ich für 45 Euro ein Zimmer reserviert hatte. Die Rezeption ist dort praktischerweise 24 Stunden geöffnet, und so konnte ich auch um ein Uhr nachts hereinschneien.
Die Weiterreise am Morgen nach Iraklio hätte um 8 Uhr 30 erfolgen sollen. Wegen Nebels und der geschlossenen Schneedecke war der Flughafen aber gesperrt bis die Sonne den Nebel besiegt hatte. Dann mussten an den Flugzeugen die Tragflächen enteist werden - ein Procedere, das ich noch nie als Betroffene beobachtet hatte, und von dem ich mir nicht hätte träumen lassen, dass meine Premiere in Griechenland stattfinden würde. Bis wir dann endlich starten konnten, wurde es zehn Uhr.
Aus der Vogelperspektive zeigten sich die Halbinsel Kassandra, Alonissos und das nördliche Evia völlig verschneit, die Kykladen aber (fast) schneefrei, im Gegensatz zu den kretischen Bergen.
Aber als ich dann um 11 Uhr endlich in Iraklio landete, lachte die Sonne vom blauen Himmel. Pünktlich mit meiner Ankunft hatten die Eisvogeltage begonnen.... :-)
Angesichts des Flugchaos hatte ich schon damit gerechnet, dass mein Gepäck nicht auf dem Gepäckband sein würde (es wurde durchgecheckt), aber zum Glück war es da, und auch noch sehr schnell, so dass ich Martin vom Autoverleiher nicht noch länger warten lassen musste. Für zehn Tage hatte ich einen Fiat Punto bestellt, 150 Euro inklusive Vollkasko ohne Eigenbehalt. Ein Upgrade gab es dieses Mal nicht, und der dunkelgraue Punto ist auch nicht so gut motorisiert wie der weiße Bravo vom Vorjahr, aber robust genug für die Straßen und Pisten der nächsten Tage. Und auch nicht so heikel was (vorzugsweise roterdige) Dreckspritzer betrifft.
So, und nun noch Theo im Hotel "Kronos" abholen, und es konnte losgehen, Kurs Ost.
Theo war schon am Vortag ab Düsseldorf über Athen angereist, und unser bewährtes Gespann würde nun Ostkreta unsicher machen. Theo hat seine Kreta-Eindrücke auf seiner Website beschrieben, und um diversen Missverständnissen vorzubeugen: wir sind weder Vater und Tochter noch Eheleute, und auch keine Lebensgefährten. Allenfalls Lebensabschnittsgefährten, wenn der Abschnitt der Urlaub ist. Kurz und gut: wir reisen zusammen, und das gerne. Ich schätze an Theo nicht nur seinen Humor, und er braucht eine Fahrerin. Dafür nimmt er in Kauf, vor ein paar Klöstern warten zu müssen, und ich, nicht so schnell oder viel zu Fuß
unterwegs zu sein, und ihm mit meinen Reiseberichten dafür immer hinterher zu hängen.
Außerdem ist Urlaub zu zweit einfach netter.
Wegen Theos Knieschaden waren wir mehr mit dem Auto unterwegs und weniger zu Fuß (mhh, wie war das eigentlich letztes Jahr, vor Theos Verletzung?), aber Kretas Größe macht eine Erwanderung eh schwierig, oder mindestens langwierig, zumal im Winter. Ich hatte meinen Ehrgeiz diesbezüglich schon gebremst.
Zwischen den beiden heftigsten kretischen Touristenorten Chersonissos und Malia (auf der Rückfahrt werden wir die winterlich verlassenen Geisterstätte durchfahren - da friert es einen nicht nur wegen der kühlen Temperaturen) zweigt die Straße zur Lassithi-Hochebene ab, der wir folgen. Ich hatte The-Best-Cars-Martin gefragt, ob die Straße frei wäre, und er hatte bejaht. Vor zwei Tagen war das noch anders, und es wurden Temperaturen von fünfzehn Grad von dort vermeldet. Minus allerdings!
Weit kommen wir nicht: nach drei Spitzkehren landen wir in der engen Ortsdurchfahrt des Dorfes Mochós, wo uns die einladend-belebte Platia samt Weihnachtskrippe, -deko und Schneehaufen zum Halt zwingt. Hier bekommt man bestimmt etwas zu essen, es ist schon ein Uhr vorbei und mein hektisches Mini-Hotelfrühstück Stunden her.
Bei "Aristodimos" sitzen die Männer draußen bei Mezedes zum Ratschi, wir ziehen die Wärme der Gaststube vor, die wir in diversen Varianten in den nächsten Tagen erleben werden. Zentrales Element ist der beheizte Ofen, dessen langes Rohr das Lokal in Deckennähe durchquert und mitheizt.
Die aufziehende Erkältung bekämpfe ich mit Bergtee, der zu Keftedes, Kolokithokeftedes und Fava erstaunlich gut passt. Das kalte Bier überlasse ich Theo.
Nun fühle ich mich angekommen, und will auch nicht auf die Zeit drängen. Denn eigentlich hätte ich heute im Vorbeifahren gerne die Zeus-Höhle in Psychro auf der Lassithi-Ebene besucht. Wenn sie wirklich offen hat (im Winter sind Aussagen bezüglich Öffnungszeiten schnell Makulatur), dann nur bis 15 Uhr. Da fehlen mir nun die anderthalb Stunden Flugverspätung. Na, die Höhle läuft nicht weg, und vielleicht ist sie bei der Wetterlage sowieso geschlossen.
Wir klettern nach dem Mittagsessen also mit dem Fiat weiter die Straße hinauf, finden en passant das Kloster Kera Kardiotissa geschlossen, und erreichen bei der festungsähnlichen Reihe Windmühlen den Ambelos-Pass. Da sind wir schon richtig in einer Winterlandschaft. Den Schneepflug, der die Straße freigeräumt hat, haben wir beim Kloster stehen sehen. Es ist ja nicht so, dass es hier oben nicht öfters mal schneien würde - die Lassithi-Hocheben liegt auf 830 Metern über dem Meer. Aber wir finden es trotzdem exotisch.
Leider hängen die über 2000 Meter hohen Gipfel des Dikti-Gebirges jenseits der Lassithi-Ebene in Wolken. Die Hochebene selbst präsentiert sich als weiße Fläche von Schnee und Schmelzwasser, an deren Rand sich eine Schafherde zwischen Schnee und Stroh kuschelt. Wir umrunden die baumgetupfte Ebene gegen den Uhrzeigersinn, finden die Dörfer menschenleer. Auch kein Auto ist auf der freigesalzenen Straße unterwegs. Winterschlaf auf der Lassithi-Ebene.
Weiter vorne hat es das Grün an manchen Stellen schon wieder aus dem Schnee geschafft, die Sonne scheint ja auch prächtigst herab.
In Psychro die Abzweigung zur Zeus-Höhle. Es ist halb vier, zu spät so oder so, wenn wir um halb fünf in unserem Quartier in Almyros bei Agios Nikolaos sein wollen, wie wir den Gastgebern kurzfristig vor einer Stunde angekündigt haben (Theo hatte vergessen, vorher via booking Kontakt aufzunehmen).
Keine Zeit auch für Spaziergänge (mangels Schneeschuhen und Gamaschen im nassen Schnee eh nicht empfehlenswert) oder Museumsbesuche (in Agios Georgios soll es ein volkskundliches Museum geben. Aber das hat sicher Winterschließung).
Wir verlassen die Lassithi-Runde am östlichen Ende in Nikiforidon, hupen uns durch eine beharrliche Schafherde (die Schafe hier tragen deutlich längeres Fell als ihre Kollegen unten an der Küste) und kurven ostwärts durch Dörfer und Weiler namens Exo Potami, Zenia oder Drasi.
Theo navigiert mich nicht über Vrises, sondern über Agios Konstantinos und durch die Lakonia-Dörfer. Eine schöne Strecke, die den Umweg wert ist.
Nach Agios Nikolaos müssen wir nicht hinein, sondern biegen südwestlich davon auf die Küstenstraße nach Ammoudara ab. In der Kurve hinter dem Biotop des Almyros-Strandes weist uns praktischerweise ein Schild den rechts steil abzweigenden, etwas labyrinthischen Weg zum "Bay View", unserem Quartier für die nächsten drei, vier Nächte.
Barbara und ihr Mann Nikos empfangen uns. Sie ist Deutsche, lebt seit über zwanzig Jahren hier und betreibt in Agios Nikolaos einen Bioladen.
Unser Apartment mit zwei Schlafzimmern liegt im Erdgeschoss mit einer schönen Terrasse (auf der wir sogar einmal frühstücken können), ist angenehm reduziert eingerichtet (ein paar Haken im Bad und als Gaerderobe wären trotzdem schön) und geräumig. Für die im Winter notwendige Wärme sorgen zwei elektrische Heizlüfter und ein mit einer Gasflasche betriebener Heizofen. Theo schätzt vor allem die ebenerdige treppenfreie Lage und die Ruhe. Zu Fuß nach Agios Nikolaos ist es allerdings ein ziemliches Stück - wir werden keinen Gelegenheit haben, die Länge auszuprobieren und nehmen bequem immer das Auto.
Zum ersten Mal gleich am Abend zum Einkaufen im Supermarkt und anschließendem Tavernensuchen. Da ist es in Agios Nikolaos natürlich längst dunkel, ich hab nur eine ungefähre Ahnung vom Stadtplan, und die zahlreichen Einbahnstraßen und die steilen, schmalen und zugeparkten Sträßchen bringen mich ins Schwitzen. Im Vorbeifahren können wir außer einer Grillbude keine Taverne lokalisieren. Und als wir endlich einen Parkplatz haben - wie letzten Januar lerne ich da gerade wieder, mit Verbotsschildern kretischer umzugehen - suchen wir zunächst vergeblich nach einer geöffneten Lokalität. Sind wir in der falschen Ecke unterwegs, oder ist donnerstags alles zu? Irgendwie hatte ich mir Agios Nikolaos größer vorgestellt, städtischer.
Schließlich finden wir das "Ble Katsarolakia" am Meeresufer östlich des Voulismeni-"Sees", im Obergeschoß gelegen (mit Aufzug, zu Theos Freude) und mit ambitionierter Fusionsküche in nettem Ambiente. So sehr hungrig sind wir gar nicht, aber die knusprigen Spießchen und der Salat mit Huhn und Nüssen sind gut, und auch der offenen Weißwein. 21 Euro sind ein fairer Preis, und natürlich gibt es neben einem Karafatschi Ratschí auch noch ein paar süße Häppchen neben Apfel- und Mandarinenschnitzen aufs Haus. (Die Mandarinen als Zugaben werden wir in den nächsten Tagen noch über kriegen.)
Und morgen Abend gibt es hier Live-Musik, mit kretischer Lyra. Da ist hier sicher mehr los als heute, wo gerade mal ein Tisch außer unserem besetzt ist.
Heute zieht es mich aber zeitig ins Bett. Die letzte Nacht war kurz.
Und morgen wollen wir uns die Gegend westlich der Stadt ansehen. Und in die Berge. Wenn die Schneelage es erlaubt.