Das Wetter ist so schön, dass wir auf der Terrasse frühstücken. Klar muss man sich dazu warm anziehen, aber in der Sonne sitzen ist schon schön, und die Kalitsounia schmecken auch gut.
Perfektes Wetter für Spinalonga. Denke ich. Und denke falsch.
Wir fahren nach Norden, unser erstes Ziel ist die Halbinsel Spinalonga, die bei Elounda liegt und vielleicht mal eine Insel war, aber nun durch einen Damm mit der kretischen Mutterinsel verbunden ist. 'Spinalonga' wird auch die nördlich dieser Halbinsel gelegene, kleine Insel mit der venezianischen Festung genannt, die im letzten Jahrhundert als Verbannungsort für Leprakranke genutzt wurde. Der offizielle Name ist seit der Antike Kalydon, aber unter diesem Namen dürfte sie bei den bis zu dreitausend Besuchern täglich für Kopfschütteln des Unverständnisses sorgen. Auch die Einheimischen sagen den venezianischen Namen "Spinalonga" (spina lunga = langer Dorn) und meinen Kalydon. Und die Festung darauf heißt so oder so Spinalonga.
Das nur vorab, denn zunächst widmen wir uns der Halbinsel, und fahren dazu nach Elounda. Elounda besteht aus sieben Ortsteilen, von Kato Elounda, Pano Elounda, Mavrikiano bis Schisma, dem größten Ort. Und Elounda hat sich international einen Namen für edelste Luxushotels gemacht, von denen es hier gleich mehrere gibt. Die Hanglagen der Küste sind entsprechend bebaut, wie wir schon beim Blick herab von der Höhe bei Lenika sehen können. Strandmäßig sieht das aber eher überschaubar aus. Na, dafür hat man Poollandschaften. Wenn man genug Kleingeld mitbringt.
Wir suchen die Abzweigung zum Inseldamm, verpassen diesen zunächst, gurken etwas herum und biegen endlich im spitzen Winkel in das Sträßchen ein, das zur Insel Spinalonga (also der richtigen) führt. Von dem Damm bietet sich ein Panorama auf die Mirabello-Bucht und die Berge, das mich irgendwie mehr an die Alpen erinnert als an Kreta. Gelegenheit auch, mein Badethermometer zur Messung der Meerestemperatur ins Meer zu hängen: 12!°C!! Das ist ja saukalt, und das hier an dieser seichten Stelle! Da hat der Kälteeinbruch der letzten Wochen ganze Arbeit geleistet. Da wird das wohl nichts mit den erwogenen Badeversuchen. Die müssten, mangels mitgebrachter Badekleidung, auch textilfrei stattfinden. Ob sich da irgendwo abseits die Gelegenheit ergeben wird?
Die vielgelobte Taverne "Kanali" bei den drei Windmühlen ist geschlossen und zwar sowas von - als wollte sie nie wieder öffnen. Wir parken aber trotzdem dort und unternehmen einen Spaziergang auf einer Piste entlang der Küste (he, das reimt sich fast). Nicht ohne dass ich vorher im seichten Wasser nach den Überresten der versunkenen antiken Hafens Olous geguckt habe. Na, mit viel Phantasie kann man sich hier so einiges vorstellen.
Wir gehen aber die steinige Westküste Spinalongas entlang und treffen eine Familie - Vater, Mutter und zwei Kinder, mit einem Fahrrad. Bißchen wenig Fahrzeug für vier Personen, aber sie ziehen auf der Piste vor uns davon. Dann bestaunen wir rechts die saisonal verlassene Hotelanlage der "Elounda Island Villa" mit den zahlreichen Dienstbotenparkplätzen. Schließlich enden wir an einem Kap, nicht ohne vorher einen Schafherde samt niedlichem Nachwuchs aufgeschreckt zu haben. So eine winterliche pastorale Idylle hat schon was. Und die Sonne scheint nach Kräften dazu.
Wieder weiter, durch Schisma Elountas mit einem weiteren kurzen Verfahrer nach Pines. Wieder eine schöne Blick, aber nach Plaka müssen wir die Küste entlang. Sind nur ein paar Kilometer, und die beiden Ikonostasia am Straßenrand geben einen guten Vordergrund für die "Insel der Vergessenen" ab.
"Insel der Vergessenen" - das ist der Titel eines mäßigen Romans der Engländerin Victoria Hislop, die darin ihre Phantasie zur Leprainsel austobt, ohne sich mit näheren Kenntnissen zur griechischen Sprache oder den damaligen lokalen Gepflogenheiten (ein Teil des Romans spielt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts) zu belasten. Auch dem offenbar englischen Lektorat sind logische Fehler (wer am Steuer eines Mietwagen - kein Kabrio - von Iraklio nach Agios Nikolaos sitzt, kann von der Sonne keinen Sonnenbrand bekommen, es sei denn, er/sie ist in der britischen Rechtssteuerung verhaftet) ebenso entgangen wie zahlreiche sprachliche Schnitzer (z.B. der Name "Fortini" statt "Fotini"). Das Buch wurde 2010 für vier Millionen Euro (eine der teuersten griechischen Fernsehproduktionen mit 26 Folgen, ächz) unter dem Titel "Το Ννσί/To Nisi/The island" als Serie für das griechische Fernsehen verfilmt. Herz-Schmerz vor Grusel-Kulisse geht immer.
Nein, es ist nicht wegen dieses Buches, dass ich Spinalonga, ähm, sorry: Kalydon, gerne besuchen möchte. Diese Lepra-Story interessiert mich weniger und ist ja nur ein eher kurzer Teil der Festungsgeschichte. Ich würde mir einfach die Insel gerne ansehen, durch die alten Mauern schlendern, und zwar nicht in Gesellschaft von ein paar hundert oder gar tausend anderen Besucher. Ja, ich weiß, ich bin auch Tourist, aber Menschenaufläufe vertragen sich nicht meiner Urlaubsvorstellung. Auch deshalb bin ich im Winter da, und nicht in der Saison, wenn manches einfacher wäre.
Zum Beispiel nach Kalydon zu kommen. Wir parken am Ortsende in Plaka, und die zahlreichen Hinweisschilder sprechen eine deutliche Sprache was das sommerliche Touristenaufkommen betrifft. Am Hafen ist allerdings nix los, die Ticketbude steht einsam da, die Ausflugsboote sind an Land aufgebockt. Zwei kleine Fischerbötchen würden am Anleger dümpeln wenn es einen Hauch Wind hätte. Hat er aber nicht, und so leisten sie reglos den gelben Fischernetzen und ein paar maroden Stühlen Gesellschaft. Nicht mal eine Katze will hier was. Aus einem Haus kommt Baulärm, aber die fremdsprachigen Bauarbeiter brauche ich nicht nach einer Überfahrtmöglichkeit fragen, die haben andere Sorgen.
Vorher hatten wir in der Taverne "Spinalonga" (ja, so heißt die, und nicht "Kalydon") nette Auskunft erhalten. Eine vierköpfige Parea, die bei Metaxa und Feta um einen runden Tisch saß, meinte polyglott in Englisch, Deutsch und Griechisch (je nachdem wer von uns beiden in welcher Sprache fragte), dass bei dem schönen Wetter und auch noch am Samstag alle Fischer auf dem Meer unterwegs seine, und wir kein Glück mit einer Überfahrt haben würden. Wir könnten aber in Elounda fragen, vielleicht hätte da jemand Zeit, Lust und Boot. Oder bei Tsitsanis im Norden hinter den sieben Orten, der hätte ein Schnellboot. Und eine Fischtaverne. Schnellboot und Entfernung klingt deutlich über der Preisklasse, die ich für einen Spinalonga-, nein: Kalydon-Ausflug ausgeben wollte, und die Vorstellung der Überfahrt mit einem kleinen Boot ab Elounda stößt bei Theo nicht auf Gegenliebe, den dafür die Vorstellung von der Fischtaverne lockt. Mir hätte es ja hier im "Spinalonga" auch gefallen, die freundliche Wirtin versichert uns, den ganzen Tag geöffnet zu haben.
Wir entscheiden uns gegen Kalydon-Spinalonga, sowohl Insel als auch Taverne, und fahren dafür nach Norden zu Tsitsanis. Die Ausflugsfahrt hatte ich sowieso vor wenn die Zeit es erlaubt, was sie nun deutlich tut. Über einen niedrigen Pass mit Windmühlen und die Dörfer Loumas und Seles geht es kurvenreich wieder hinab an die Küste. Da, auf dem Meer, ein bekanntes Schiff: die "Prevelis" auf dem Weg nach Sitia und weiter nach Kassos, Karpathos, Rhodos. Morgen kommt sie wieder, ein Nachtausflug nach Kassos wäre möglich. Nissomanie setzt ein. Aber so schnell schaffen wir es jetzt nicht nach Sitia. Schade eigentlich. Kreta ist schon schön, aber als Insel so elendiglich groß.
Der Küstenstreifen ist hier felsig und von Wind und Wellen leergefegt. Dass es hier eine Taverne geben soll, können wir fast nicht glauben. Aber in Vlichadia, das man nur mit sehr viel Wohlwollen als Ort bezeichnen kann, finden wir das flache Tavernengebäude mit weitläufigem Parkplatz. Bestimmt kann man hier hervorragend laute Familienfeste feiern ohne dass sich ein Nachbar stört. Und wenn man bei der Abreise die Kurven kriegt. Aber es hat auch Ikonostasia....
Die Taverne mit dem Schnellschlauchboot davor - das wird heute nix mehr mit Spinalonga, ähm, Kalydon - ist offen, der Sohn des Wirtes langweilt sich vor dem Fernseher. Samstagsmittag ist so öde. Sonst ist niemand da. Immerhin ruft er nach dem Vater und irgendwann erscheint der höchstbärtige Herr des Hauses, der die Köchin aber erst herbeitelefonieren muss. Dauert. Kein Problem, wir sind im Urlaub und nicht auf der Flucht.
Schließlich da, offeriert sie uns frische Barbounia, miso kilo, dazu patates und choriatiki. Da wir nicht nach dem Fischpreis gefragt haben, erschrecken wir kurz bei der Rechnung, die sich auf 38 Euro beläuft. Anfängerfehler. Da sind aber auch noch zwei doppelte Elleniko dabei, die wir jetzt brauchen damit wir bei der Weiterfahrt via Valtos nicht einschlafen.
Kloster Areti (auch Aretiou) soll laut "Kreta-Bibel" zwischen 13.30 und 17 Uhr geschlossen haben. Die Uhr zeigt 16 Uhr, als wir das Auto dort abstellen. Nur mal gucken.
Letzte Schneereste trotzen in schattigen Kuhlen der Auflösung. Das Kloster duckt sich hinter einer breiten steingrauen Mauer und sieht unscheinbar aus. Zypressen ragen weiter daraus empor. Das frische Grün im Umland schmerzt fast in den Augen.
Das äußere Tor ist wider Erwarten offen, und auch das zweite Tor, das zum eigentlichen Klosterhof führt. Darin die Hauptkapelle Agia Triada und direkt rechts die kleine Kapelle des heiligen Lazaros. Die ist offen, im Gegensatz zur Agia Triada. Irgendwo aus einem der Nebengebäude sind Frauenstimmen zu hören, aber zu sehen ist niemand. Wer rechnet hier im Januar auch mit Besuchern am Nachmittag? Das Kloster soll aber noch bewirtschaftet sein. Nonnen oder Mönche? Keine Ahnung.
Das Kloster ist aus dem 16. Jahrhundert, die Kirche wurde 1618 erbaut. 1821 zerstörten die Osmanen das Kloster, und auch die deutschen Besatzer hinterließen Spuren. In den letzten Jahren wurden die Gebäude renoviert und zeigen sich nun schon fast zu sehr herausgeputzt.
Eine friedliche Stimmung ist das hier, und hübsch sind die weißgestrichenen Zitrusbäume, zwischen denen drei Glocken und ein Semantron hängen. Da ist sogar Theo, der Klosterverächter, nachgekommen.
Beeindruckend die große Zisterne vor dem Kloster, heute eher ein Müllsammelplatz, in dem jemand einen Autoreifen entsorgt hat.
Über Fourni und Kastelli, die in einer grünen, wasserdurchsetzten und von den Bergen eingerahmten Ebene liegen, fahren wir zurück Agios Nikolaos und genießen den Abend in unserem Quartier. Die nächsten Tage soll das Wetter durchwachsener werden, aber bisher können wir uns nicht beschweren.
Samstagabend, da sollte in der Stadt mal was los sein. Die rembetikospielende Live-Band im "Blue Lagoon" wollen wir uns nicht geben, aber ich habe gestern noch das "Karnagio" auf der anderen Seeseite gesehen, und dass es knallvoll war. Können so viele Griechen irren?
Bunte Stühle auf der mit durchsichtigen Jalousien geschützte Terrasse, wir bekommen noch einen Platz unterm Heizstrahler, sonst ist es ziemlich voll und laut. Deutsche Töne vom Nachbartisch, überraschend.
Die emsigen Kellner lassen uns nicht viel Zeit zum Studium der Speisekarte, schon steht ein Gruß aus der Küche vor uns. Ich entscheide mich für einen Evthimia-Salat, Theo für Apaki (geräuchertes Fleisch, ähnlich unserem Kassler) und Florini. Wir staunen, wie hier das Essen zelebriert wird: große Fleischspieße werden samt bombastischem Gestell geliefert, der Schein ist wichtig. Leider wichtiger als das Sein: mein Blattsalat (wo ist eigentlich der aufgelistete Rucola?) ist dick mit sour cream zugekleistert, gerade mal die knusprigen Hähnchenteile kann ich daraus retten. Theo hat sich Florini und Apaki auch anders vorgestellt.
Da trifft es sich gut, dass wir die Rechnung samt Nachtisch aufs Haus schon hingestellt bekommen bevor wir sie verlangt haben. Klar, hier wird kein Platz kalt, draußen warten die nächsten Gäste, an einem Samstagabend können zahlreiche Schichten gefahren werden. Und vor allem kretische Familien scheinen sich den Spaß zu gönnen. Für uns war das nix, morgen brauchen wir wieder etwas Ruhigeres, Bodenständigeres.
Ein schneller, nicht zu naher Blick ins "Blue Lagoon": nein, dort tanzt niemand auf den Tischen und von knallvoll und Stimmung ist man auch weit entfernt.
Schein und Sein in Agios Nikolaos, dem "kretischen Saint-Tropez" (wie die Fernsehsendung "Wunderschön!" behauptet). Solche Vergleich hinken immer, aber hier gleich auf allen Beinen: an der Côte d'Azur sollte man eine Unterlassungsklage anstrengen.
Wir werden es morgen nochmals mit einer Ausfahrt in die Höhe probieren, wenn das Wetter mitmacht. Katharo, der
zweiter Versuch. Das Saas Almagell von Kreta. Oder so.