Um Kritsá

Bei strahlendem Sonnenschein fällt es uns nicht schwer, am Freitagmorgen halbwegs zeitig aufzustehen. Im Winter muss man die Zeit nutzen, schon um halb sechs geht die Sonne unter.

Die Betten in unserer Ferienwohnung müssen wir noch etwas anwärmen, aber mehrlagig ging es schon - da habe ich im April schon mehr gefroren (auf Amorgos beispielsweise).

 

Um zehn Uhr sind wir unterwegs und halten für einen kurzen Fotostopp vorne am Almyros-Strand. Der sieht wirklich schön und sandig aus, und hat eine Blue Flag, was auf eine entsprechende Infrastruktur in der Saison hinweist. Besonders beeindruckt uns die Bergkette jenseits der Mirabello-Bucht, die auf den Gipfeln schneebedeckt ist obwohl sie nur etwas über tausend Meter hoch sind.

Unser, nein: mein erstes Tagesziel ist Lato, das nur wenige Kilometer im Hinterland von Agios Nikolaos liegt. Man könnte zu Fuß rauf, aber wir wollen ja weiter, und Stufen sind eh nichts für Theo, weshalb er nach entsprechender Warnung unserer Wirtin Barbara auch darauf verzichtet, sich die Ausgrabung von Lato anzusehen.

 

Lató war ursprünglich eine minoische Siedlung, aber die gut erhaltenen Fundamente, die man dort ansehen kann, stammen von den Dorern aus dem 5. Jahrhundert vor Christus.

Tatsächlich ist das Gelände mit einem Zaun samt Tickethäuschen gesichert, es gelten die Öffnungszeiten (8.00-15.00) und ich bezahle einen Euro Eintritt. Dann habe ich Gelegenheit, das sich einen Hang hinaufziehende Gelände alleine zu erkundigen, was bei dem schönen Wetter und den umgebenden schneebedeckten Bergen Spaß macht. Über Treppen geht es, vorbei an Werkstätten mit Becken, Mörsern und ähnlichem steinernem Gerät hinauf zur Agora-Plattform, auf der das Heiligtum der Lato neben einer großen Zisterne liegt.

Von einer breiten Treppe, die sich weiter den Hügel hinaufzieht, hatte man in der Antike einen guten Blick auf die Agora, wo sich das tägliche Leben abspielte. Zwischen den Bergen und der Küste gelegen, jeweils mit ausreichendem Sicherheitsabstand und guter Aussicht, war das hier ein optimaler Siedlungsort.

 

Ganz alleine bin ich doch nicht da: ein paar Schafe fressen das frische Grün zwischen den Ruinen ab und mustern mich erst verwundert ehe sie den geordneten Rückzug antreten.

Dann fliegt ein großer Raubvogel über mich hinweg, ich glaub, es ist ein Geier, aber leider ist er zu schnell weg.

Als ich mich auf den Rückweg zum Auto mache, kommen doch tatsächlich noch zwei Besucher, ein griechisches Paar. Mit ihren dünnen Stoffschläppchen wird die Frau nicht viel Freude auf dem unwegsamen Gelände haben, aber immerhin sind sie da. Es gibt also noch mehr trümmerinteressierte Winterurlauber.

Theo hat solange auf der Straße ein Lauftraining absolviert (gestern sind wir zu viel im Auto gesessen), und auch bei der nächsten Sehenswürdigkeit bliebt er außen vor. Nicht weil er nicht rein dürfte oder könnte, aber Kirchen und Klöster interessieren ihn nicht, da wartet er lieber im Auto.

 

Selbst schuld, den die Kirche Panagia i Kera bei Kritsá ist wirklich ausgesprochen sehenswert. Sie liegt unterhalb von Kritsa, wir parken vor einer Bude, in der ich bei zwei Frauen für einen Euro ein Ticket für die Kirche erstehe. Jetzt im Winter langweilt sich das Personal, aber die Eintrittspreise sind niedriger als im Sommer: fast überall bezahle ich nur einen Euro. Schön, dass man trotz sparsamen Besucherzuspruches geöffnet hat. Das ist nicht selbstverständlich (die Ausgrabung von Petras bei Sitia werde ich geschlossen finden, und mich hinterher, nachdem ich das Gelände bei Google Earth gesehen habe, ärgern, nicht über den Zaun gestiegen zu sein.

 

Die dreischiffe, niedrige Kirche liegt fünfzig Meter abseits der Straße auf einer grünen Wiese, eingerahmt von emporragenden Zypressen.

Über 600 Jahre ist die Kirche Panagia Kera alt, aus dem 13. Jahrhundert, wobei die Seitenschiffe späteren Datums sind. Die seitlichen Abstützungen der Schiffe lassen die Kirche wie ein Hügel aus der Erde gewachsen und von großer Harmonie wirken.

Eine weitere Frau, in einen dicken Wintermantel gehüllt, tut in der eiskalten Kirche ihren Aufsichtsdienst. Fotografieren darf ich, ohne Blitz, und nachdem sie sieht, dass ich nichts Böses im Sinne habe, sitzt sie lieber draußen in die Sonne und ich kann die interessanten Fresken in aller Ruhe und alleine besichtigen.

 

Wegen der Fresken bin ich gekommen. Die Kirche ist innen komplett ausgemalt, und diese Malereien, die aus dem 13. bis 15. Jahrhundert stammen, sind gut erhalten. Ein biblischer Bilderbogen überzieht Wände und Decken, und ich freue mich an den teilweise naiven Darstellungen, versuche sie anhand des kleinem Faltblattes, das ich am Eintritt bekommen habe, zu identifizieren: Hier das Abendmahl, dort der bethlehemische Kindermord, hier die Hölle, dort das Bildnis der Stifterfamilie.

 

Wie schön, das so ungestört und intensiv betrachten zu können!

Es ist wirklich lausig kalt in der Kirche, die nicht mehr für Gottesdienste genutzt wird - diese würden den Wandmalereien nicht gut tun. Natürlich kann man auch keine Kerzen anzünden.

 

Wieder draußen in der Wintersonne, die gut tut. Die Aufseherin hat inzwischen Gesellschaft bekommen, und zu zweit schließen sie die Kirche jetzt zu nachdem sie vorher gefragt haben, ob ich fertig bin. Halb eins - Mittagspause. Oder schon Feierabend?

Uns ist es noch zu früh für eine Mittagessen, denn nun wollen wir zur Katharo-Hochebene hochfahren. Falls das möglich ist - immerhin liegt sie auf über tausend Metern Höhe, und da ist einiges an Schnee zu erwarten. Wir werden mal sehen, wie weit wir kommen.

 

Durch Kritsa geht die Straße, die Katharo-Hochebene ist ausgeschildert. Schon nach ein paar Kurven erreichen wir eine steinige, einsame Gegend, in der sich einige Schafe zwischen abgefressener Frygana tummeln. Rechts liegt ein breiter weißer Bergrücken, das muss der "Tzivi" sein, 1500 bis 1600 Meter hoch. Sieht gut aus.

Und über uns sehe ich plötzlich einen Geier. Vollbremsung.

Da sind noch mehr Geier, die über uns kreisen. Und weiter südlich, in einiger Entfernung, sind noch mehr, insgesamt bestimmt ein Dutzend schwarze Punkte im blauen Himmel. Leider kommen sie nicht näher und entschwinden schließlich in der Bläue, aber wir sind angemessen beeindruckt.

Die nächste Überraschung wartet in der Kurve: ein nagelneues Ikonostasi der KKE!

 

Nein, natürlich ist es nicht Religiöses, sondern ein Denkmal für den Kommunisten, Andarten und Anführer der ELAS Giannis Podias, der am 2. Juli 1947 während des Bürgerkrieges in Nordgriechenland erschossen wurde. Das neue Denkmal ersetzt ein zerstörtes älteres, dessen Scherben man zu Demonstrationszwecken hat liegenlassen.

 

Etwas weiter hat es Schnee auf der Straße. Die Sonne hat ihn aber genug weggeschmolzen, so dass in den Fahrspuren genug Asphalt freiliegt - wir haben ja keine Winterreifen. Der Schnee nimmt aber zu, und in weniger sonnenverwöhnten Mulden hat es auch Eis darunter.

Nur wenige Meter nachdem wir eine Picknick-Station für einen ausgiebigen Fotostopp genutzt haben, ist die Fahrt beendet: an einer schattigen Stelle fährt sich das Auto auf dem Eis fest, die Räder drehen durch, es geht nicht mehr vorwärts. Da Theo als Anschieber ausfällt, bin ich froh, den Wagen im Rückwärtsgang von der vereisten Stelle manövrieren zu können. Telos, hier geht es nicht weiter. Schade, dabei sind wir gerade mal auf 800, maximal 900 Metern Höhe. Aber da ist nix zu wollen.

Also halten wir nochmal an dem Picknickplatz und genießen die wunderbare Aussicht bis hinab nach Agios Nikolaos. Und auf die knorrigen Buschfiguren. Sind das Kretische Zelkoven (Zelkova abelicea), eine endemische Baumart, auf die mit einer Tafel hingewiesen wird? Auf alle Fälle erinnern mich die Gestrüppe an Skyros, die Ari-Hochebene. Und das wird mir in Ostkreta noch öfters passieren.

Schade, dass wir kein Vesper dabeihaben. Allmählich kriegen wir nämlich Hunger. Aber in Kritsa sollte doch eine Taverne offen sein. Also wieder hinab und nach Kritsa hinein, wo wir das Auto am unteren Ortsrand bei einer Snackbar parken. Die sieht sogar geöffnet aus, aber eigentlich stehen uns die Sinne nach anderem als gegrilltem Fastfood.

 

Aufwärts gehen wir durch den Ort, der wegen seiner hübschen Ortsbildes gerne als Filmkulisse verwendet wird, biegen an der Bushaltestelle und gegenüber dem einzigen geöffneten Laden mit lokalen Produkten (hier bekomme ich einen gute Malotira gegen meine Erkältung, die sich leider ausgewachsen hat) nach rechts in die Hauptgasse ab. Ein offenes Kafenio haben wir gesehen, bei der Kirche, aber mit einer offenen Taverne sieht es schlecht aus.

An der Platia im Ort erschrecken uns die Figuren einer lebensgroßen Weihnachtskrippe, das Lokal dahinter ist auch zu, wie die ganze, im Sommer wohl sehr heftige touristische Infrastruktur. Blöd.

 

Bei der Taverne "Agadiko" steht dann tatsächlich ein Schild, dass um 15 Uhr geöffnet würde. Das wäre in einer Viertelstunde. Kann man dem trauen, oder wurde es letzten Herbst vergessen? Wir haben keine Alternative, und so warten wir eben. Und tatsächlich wird das Lokal geöffnet, wir sitzen auf der umglaste Terrasse und bestellen Chortopittakia, Keftedes und Tsatsiki. Schmeckt gut. Am Nachbartisch sitzen drei ältere Kreter und diskutieren über Politik, weitere Gäste kommen später. Natürlich läuft der Fernseher in der Ecke, unbeachtet. Schön, wie entspannt Kreta im Winter ist.

Weil es noch nicht so spät ist, fahren wir dann noch nach Agios Nikolaos. Damit wir die Stadt mal nicht im Dunkeln erleben. Wir parken bei der Marina, wo das Mastenmeer der Segelboote interessant gegen das Abendrot der Berge hinter der Mirabello-Bucht kontrastiert. Wir bummeln durch die Stadt zum Heldendenkmal im Rondell, und dann durch die Fußgängerzone zum Voulismeni-See hinab. Die Fußgängerzone strahlt jetzt, am späten Nachmittag, die gleiche Verlassenheit und Ödnis aus wie in den späteren Abendstunden. Nein, Agios Nikolaos wird es nicht in unser Herz schaffen

 

Am See dümpeln kleine Boote, auch hier ist kaum jemand unterwegs. Allerdings sieht die Taverne "Blue Lagoon" so aus, als hätte sie offen während auf der anderen Seeseite Markisen und Sonnendächer leere Plätze bedachen. Geht man in Agios Nikolaos nicht aus?

 

Auf dem Rückweg finde ich entlang der Merarchias-Straße immerhin in paar geöffnete Bäckerläden und kann Lichnarakia fürs Frühstück morgen kaufen. Immerhin etwas.

Die Einbahnstraßenregelung zwingt uns dann noch zu einer kleinen Stadtrundfahrt. Gelegenheit, nach dem archäologischen Museum zu suchen, von dem wir nicht wissen, ob es nach jahrelanger Renovierung wieder geöffnet ist. Wir finden es nicht (muss sehr unscheinbar zu sein), was zu verschmerzen ist, denn es scheint so, dass es dort nur eine temporäre Ausstellung über die Stadtgeschichte zu besichtigen gibt. Und da die Stadt uns jetzt nicht wirklich in ihren Bann geschlagen hat, interessiert uns das wenig.

Natürlich sind wir zwei Stunden später wieder da, als wir das späte Mittagessen verdaut haben und auf Tavernensuche sind. Wir parken halblegal an der

 

Video von Weihachten