Gegen viertel nach zehn legt die Fähre „Samaria“ in Sougia nach Agia Roumeli und Chora Sfakion ab, und wir sind an Bord. 12,50 Euro kostet die Passage pro Person. Das Meer ist ruhig, wir können das Gepäck unten lassen (im Gegensatz zu unserer Samaria-Fahrt vor zwei Jahren). Wieder die Küste entlang, aber heute sind nur wenige Mitreisende auf dem Schiff. Ich hab das Fernglas parat, sehe mir die Küste genauer an. Fünfzig Minuten bis Agia Roumeli, wo die meisten Passagiere das Schiff verlassen. Wir bleiben drauf, etwa zwanzig Minuten hält die Fähre hier an ehe es nach Sfakia weitergeht. Roumeli liegt zur Vor-Mittagszeit noch in völliger Ruhe, keine Wanderer, keine Tagesausflügler, ausgestorben wirkt der Ort. Als wir ablegen kommt uns gerade die „Daskalogiannis“ von Sfakia entgegen, mäßig gefüllt. Das Wetter ist etwas trüber geworden.
Den folgenden Küstenabschnitt sind wir schon entlang gewandert, ich gucke mit dem Fernglas in die Eligas-Schlucht, und vor allem nach Agios Pavlos, der wunderschönen gelegenen Kirche nebst Taverne. Die Fähre ist leider sehr weit weg davon. Dann kommt dieser erstaunliche Abschnitt östlich davon, wo die Landschaft wie mit dem Messer eingeschnitten aussieht: links noch grün und Bäume, rechts nur noch kahl und Felsen. Der Weg nach Agios Ioannis geht hier irgendwo hinauf, auch eine verlockende Tour, ist allerdings nicht ohne. Beim Blick zurück nach Roumeli sehen wir, dass die „Daskalogiannis“ schon wieder abgelegt hat und Kurs auf Agios Pavlos nimmt. Fahrplanmäßig ist das nicht, aber die Fähre kann natürlich dort am Strand anlegen. Vermutlich auf Bestellung, um Leute hinzubringen oder abzuholen. Interessant! Zur Belieferung der Taverne eher nicht, das erledigt der Besitzer selbst mit seinem Boot.
Das Wetter wird immer diesiger als wir um das Felsenkap westlich von Marmara biegen. Da ist die Aradena-Schlucht, ein tiefer Riss in der kahlen Berglandschaft, immer wieder ein beeindruckender Anblick! Dahinter thront der Pachnes, der höchste Berg der Lefka Ori. Die Vögel, die ich mit dem Fernglas darüber kreisen sehen kann, müssen Geier sein. Leider sind sie elendiglich weit weg.
Die Kapelle auf dem Kap von Loutro grüßt, den Ort selbst sieht man aus dieser Richtung erst spät zwischen zwei Felseninselchen hindurch.
Ein Schubkarrenrennen findet heute nicht statt – nur einen Karre samt Schieber steht bereit um Gepäck auf das Schiff zu bringen. Die Mittagsfähre ist nicht der Frequenzbringer. Nach Sfakia ist es nur noch ein Katzensprung, vorbei am Glyka-Nera-Strand, der noch sehr belebt aussieht und dessen bunte Sonnenschirme hübsche Farbtupfer abgeben.
Das letzte Blau des Himmels ist einem schwül-drückenden Grau gewichen als die Fähre gegen dreiviertel eins in Sfakia anlegt. Es wird doch nicht wieder regnen zum Empfang? Nein, noch ist es trocken. Wir steuern gleich das Hotel Stavris an, wo wir ein Zimmer für 35 Euro die Nacht bekommen.
Später essen wir einen griechischen Salat unten an der Uferpromenade im „Lefka Ori“, und der Weißwein dazu schmeckt gut. Weil wir noch ein bisschen Hunger haben probieren wir mal wieder den „sfakian pie“ (Sfakiani Pita), einen mizithragefüllten Pfannenkuchen mit Honig darüber. Nein, das ist definitiv nicht unser Geschmack, die Wiederholung bestätigt uns endgültig. Wie wir noch überlegen wie wir den Nachmittag verbringen, ruft W. an, und wir treffen uns kurz darauf vor dem „Stavris“ zu einem rakibegleiteten Gedankenaustausch. Die Sfakia-Community ist gerade reichlich anwesend im Ort, Erno, der Betreiber der Sfakia-Website samt Forum, ist auch da, er hat die neue Strand-Webcam installiert und macht einen erledigten Eindruck. Selbst für langjährige Sfakia-Kenner ist es nicht so einfach, hier alle Ansprüche und Wünsche zu berücksichtigen, die manchmal mit sehr kretischen Methoden durchzusetzen versucht wird.
Weil es später wird als gedacht, entfällt unsere Badeausflug zum Ilingas-Strand, und ich hüpfe schnell am Vrissi-Strand ins Meer – schön außerhalb der Reichweite der Webcam, ich bin ja gewarnt. Auf dem Rückweg treffe ich kurz B.. Weil wir denken, dass wir uns in den nächsten Tagen bestimmt noch über den Weg laufen werden, bleibt es bei einem schnellen Austausch über das Wetter. Regen wäre hier sehr erwünscht und sie hält ihn für möglich, ich will ihn aber nicht, denn wir wollen morgen in die Aradena-Schlucht. Oder doch besser am Freitag? Das Taxi nach Aradena müssten wir aber heute schon bestellen. Wetterfrosch müsste man sein.
Den Sonnenuntergang genießen wir in netter Gesellschaft bei U. und W. auf Sfakias schönster Terrasse, mit Blick auf die ankommende Fähre und die ihr entsteigenden Samaria-Wanderer. Siebzehn sich die Serpentinen hinauf schlängelnde Busse zählt die Mutter. Keine Ahnung ob das viel oder wenig ist. Viel zu spät brechen wir ins „Xenia“ auf um noch eine Kleinigkeit zu Abend zu essen – die leckeren Tagesessen sind alle ausverkauft. Da bleibt nur noch Souvlaki, echt schade.
Wir planen das Programm für morgen: entweder Aradena-Schlucht, oder mit dem Auto eine Rundtour nach Kallikratis, Argyroupolis und Frangokastello. Da S., die morgen Abend in Sfakia ankommt, am ersten Tag nicht gleich durch die Aradena möchte, werden wir das morgen und ohne sie machen – wenn das Wetter mitspielt. Bei Regen soll man die Schlucht nämlich meiden: es besteht Steinschlaggefahr, und so lustig ist Wandern im Regen auch nicht.
W. probiert sich an einer Wetterprognose: nein, es würde morgen nicht regen, wegen Wind, Bergen, Jahreszeit etc.. So bestelle ich für 9.30 Uhr am nächsten Tag ein Taxi nach Aradena. 25 Euro kostet es, allerdings wollen voraussichtlich nochmals zwei Leute mit, dann bezahlt jede Gruppe 15 Euro und alle Beteiligten sind zufrieden – wir, weil wir nur 15 Euro zahlen, und der Taxifahrer, weil er statt 25 gleich 30 Euro kriegt.
*
W. muss als Wetterfrosch noch etwas üben – als wir am Morgen aufwachen, ist es draußen nass: es hat geregnet, und tröpfelt immer noch vor sich hin. So ein Mist! Wir frühstücken erst mal auf dem Platz vor dem Hotel und hoffen, dass es aufhört zu regnen. Das tut es auch. Ob wir es riskieren können?
Wir beschließen hinaufzufahren. Sollte es oben wieder regnen, können wir ja auch über Anopolis nach Loutro runter, oder nach Sfakia auf der Straße. Unser Taxi, ein Großraumtaxi, wartet vorne am Zeitschriftenstand, die Mitfahrer werden oberhalb an der Straße nach Anopolis abgeholt. Die Serpentinenstrecke kennen wir inzwischen ja schon, der Taxifahrer fährt zum Glück nicht so schnell, ein paar Steine sind vom Regen auf die Straße gespült worden, und Ziegen sind natürlich auch noch drauf. Dann donnern wir über die Brücke, steigen am Kiosk aus und bezahlen. Der Himmel ist grau und bewölkt, sauber ist das Wetter nicht.
Die Brücke kommt mir heute unsicherer vor als vor zwei Jahren – werden die Balken eigentlich regelmäßig auf Sicherheit überprüft? Ein Blick von der Brücke hinunter in die Schlucht muss sein, jau, wir wollen hinab! Vorbei an der wunderbaren Taxiarchis-Kirche (natürlich wieder zu) und den Ruinen des Ortes führt der Weg erst nach Osten und dann hinab in die Schlucht. Wo sind eigentlich unsere beiden Mitfahrer hingekommen? Wir haben sie aus den Augen verloren, in Aradena hatten wir sie noch gesehen.
Zwei Ziegen gucken uns an: wollt ihr wirklich da runter? Wir wollen.
Los geht’s, es ist Viertel nach Zehn. Drei Stunden sollte es maximal dauern bis Marmara, fünf Kilometer bescheinigt das Holzschild am Eingang. Die Schlucht präsentiert sich hier oben im herbstlichen Kleid: trockenes, gelbes Gras zwischen vom Regen rötlicher Erde. Wir gehen vorsichtig den schmale Zickzackweg hinab, zum Glück ist der Weg schon abgetrocknet. Unten liegt eine tote Geiß, frisch abgestürzt scheint uns. Upps. Besser auf jeden Schritt achten, wobei es nicht soo tief hinuntergeht (für einen netten Bruch würde es allemal reichen).
Nach zehn Minuten stehen wir am steinigen Schluchtboden, abstürzen ist nun nicht mehr, die Wegführung einfach. Nach einer Talbiegung sehen wir vor und über uns die Brücke, sie krönt die steilen, schattigen Felsenwände, die näher zusammenrücken. Von unten und mit Abstand sieht die schmale Konstruktion sehr interessant aus, so schmal und lang und löchrig. Wir lassen sie hinter uns.
Das Tal weitet sich kurz darauf, der Schluchtausgang scheint gar nicht weit zu sein, und dahinter eine liebliche Landschaft. Aber das täuscht!
Es wird wieder enger. Und der Himmel wird wieder dunkler. Die Felsenwände wirken feindlich. Noch nie habe ich eine so bedrohliche Schlucht erlebt. Mir ist unwohl.
Plötzlich ein lautes Donnern. Voller Panik suche ich die Stelle, an der die Felsenwände herabbrechen, will einen Platz, mich in Sicherheit zu bringen. Sehe aber nichts. Der Mutter drei Schritte hinter mir geht es genauso. Es donnert immer noch.
Es ist die Brücke.
Genauer: ein Auto, das über die losen Holzbohlen der Brücke donnert. Das erste Auto seit einer halben Stunde. Das erste Auto seit wir aus dem Taxi in Aradena gestiegen sind. Seit wir die Brücke hinter uns gelassen haben, haben wir sie auch vergessen. Nun hat sie sich uns nachdrücklich in Erinnerung gebracht. Adrenalin pur. Gott sei Dank keine Steinschlag, und kein Gewitterdonner. Bis wir das Herz wieder in Normalhöhe haben, dauert es etwas.
Wir sind alleine in der Schlucht. Niemand außer uns ist so blöd, bei diesem unsicheren Wetter durch die Aradena-Schlucht zu wandern. Sind wir leichtsinnig?
Drei Minuten später den nächste Schreck – wieder ein Donnern, wieder ein Auto, wieder ein Adrenalinschub. Nicht mehr so heftig, aber dennoch.
Ich will raus!
Nun kommt die Stelle, an der man eine große Felsenstufe auf einem schmalen Weg an der Talflanke entlang umgeht. Die Holzgeländer wären nicht mehr sehr solide, wurde ich vorher gewarnt. Wir halten uns nicht fest daran, aufwärts auf den Stufen ist es problemlos.
Dann fängt es wieder an zu regnen. Nicht sehr stark, aber sofort beginnt das ganze Tal zu knistern. Steinchen rollen überall. Und der Weg, der abwärts auf den Schluchtboden nur aus losen Steinchen, Erde und Staub besteht, hat es in sich. Jeder Schritt will überlegt sein, allzu leicht kommt man ins Rutschen, macht sich der Boden unter den Schuhen selbständig. Hochkonzentriertes Wandern. Anstrengend. Ich bin total verunsichert, die Mutter ist cooler. Sollen wir zurück? Die Mutter widerspricht.
Wir hören mächtiges Knirschen - von Gestein? Irritierend, bis wir dessen Ursache sehen: ein Wanderer kommt am Schluchtboden um die Ecke – wo kommt der denn her? Er muss die Leitern an der Steinstufe genommen haben, von denen ich gedacht habe, sie wären nicht mehr in Betrieb. Bei dem Wetter vielleicht auch nicht schlimmer als die lose Umgehung. Nach kurzem Gruß wandert er zügig abwärts, wie eine Fata Morgana. Immerhin sind wir doch nicht die einzigen Deppen in der Schlucht.
Als es das nächste Mal donnert, kann es nicht mehr die Brücke sein. Die ist zu weit weg. Es donnert auch nicht so lange. Echter Donner also, mit Blitz dazu. Das fehlt noch! An der nächsten Steinstufe wird der Regen stärker, wir kauern uns unter einen Felsenvorsprung, geschützt von Steinschlag und Regen. Überall an den Hängen bröselt es, kleine Steinchen, vom Regen gelöst. Ein paar Ziegen sorgen ungeniert für Verstärkung. Mistviecher. Es braucht ja keinen Zehn-Kilo-Brocken um ernsthaft verletzt zu werden, ein kleiner Stein auf den Kopf aus größerer Höhe kann auch schon sehr unangenehm sein.
Weiterwandern als der Regen nachlässt. Nirgends stehenbleiben, schon gar nicht unter steilen Felsen. An den Felsenstufen müssen wir uns mit den Händen abstützen, wir trauen den schlüpfrigen Steinen nicht, auf die wir treten. Links ist der Weg nach Livaniana beschildert – sollen wir raus? Die Mutter will nicht, und letztendlich weiß ich auch nicht ob der Weg besser ist. Wenigstens ist das Tal etwas weiter hier. Später eine Abzweigung nach Agios Ioannis. Wir bleiben im Talboden Richtung Marmara, und das ist auch gut so, denn kurz darauf geht an der rechten Felsenwand, wo der Weg nach Agios Ioannis geht, ein veritabler Steinschlag nieder.
Ich will hier raus, bloß raus!
Ich schwöre, in der nächsten offenen Kapelle zwei Kerzen zu entzünden wenn wir unbeschadet aus der Schlucht kommen. Und ich lege einen Zahn zu, die Mutter kommt kaum nach, ruft nach Pause. Nicht hier, unter den Felsen! Sie hat weniger Angst als ich, bloß nicht hineinsteigern…
Vorne wird die Schlucht weiter, die Angst legt sich allmählich. Dafür werden nun die Felsenstufen größer. Steinmännchen und farbige Markierungen zeigen einem meist, wo man die Stufen am besten überwindet. Mit den Händen rechts und links abgestützt rutschen wir auf dem Allerwertesten mehr oder weniger kontrolliert über die nass-glitschigen Felsen. Ein Glück, dass wir nicht hinauf müssen, das wäre schwieriger. Die Mutter wird am nächsten Tag Muskelkater in der Armen und Schultern haben, und auch mir wird alles wehtun. So konzentriertes Gehen ist total anstrengend, von der Muffe mal zu schweigen. Weil man zum Klettern beide Hände braucht, bleibt der Fotoapparat immer öfter in der Tasche. Manches lässt sich sowieso nicht dokumentieren, und Fotowetter ist auch was anderes.
Es soll hier Geier geben, wir halten Ausschau (wenn wir eh nach oben gucken wegen der Steine), sehen aber keine. Auch voll wurscht.
Dann sind wir ziemlich weit unten, an der Stelle, wo man recht einfach von Livaniana in die Schlucht wandern kann. Von dort kommen Leute, wir treffen uns im Schutz eines großen Baumes, weil es gerade wieder angefangen hat, riesige Tropfen zu regnen. Ich bin nass von außen (Regen) und von innen (Angstschweiß), die Mutter sucht den Schirm, bis sie ihn hat, ist sie auch nass. Die Wanderer (natürlich deutschsprachig) sind irritiert – Schirm beim Wandern auf Kreta? Warum nicht, so lang man nicht beide Hände braucht. Steinschlag hatten sie auch, nun wollen sie ebenfalls schluchtabwärts nach Marmara.
Die letzten Steinstufen sind die höchsten, und man muss schon ziemlich suchen, bis man den optimalen Weg findet, sie zu überwinden. Ein weiteres Wandererpaar kommt von der Seite, sie höchst unsicher, er hilft und stützt und zetert, beschwert sich, sie würde ihn auch gleich zu Fall bringen.
Die Schlucht wird nun voll, von unten kommen uns Leute entgegen, großspurig als wir sie warnen und sie Probleme beim Klettern haben: das wäre alles kein Problem, und sie wollten noch weiter, und überhaupt. Viel Spaß dann noch!
Endlich zeichnet sich das Ende der Schlucht ab – hinter den Felsenwänden keine neue Wände, sondern Himmel (grau) und Meer (leicht grau). Knapp drei Stunden, nachdem wir den Ort Aradena verlassen haben, liegt auch die gleichnamige Schlucht hinter uns. Ich bin erleichtert, renne fast die letzten Meter! In Sicherheit! Lieber wandere ich die Samaria rauf und runter, als dass ich mir das nochmals antue! Von kretischen Schluchten hab ich reichlich die Nase voll, kein Bedarf mehr! Überdosis.
Am Schluchtausgang liegt der kleine Marmara-Strand, und rechts davon, auf einem Felsen, eine Taverne. Von Loutro kann man mit dem Badeboot hierher fahren, was die vielen Leute erklärt, die hier sind. Eine Gruppe ist mit Kajaks gekommen, die bunten Boote geben einen hübschen Farbtupfer im Steingrau.
Hunger haben wir beide keinen, erst muss mal die Anspannung abfallen, die uns auf den Magen geschlagen hat. Dazu hüpfe ich ins Meer, nach Regen und Schweiß muss nun Meerwasser an die Haut. Herrlich, es ist ja auch gar nicht kalt. Wieder hinein in die feuchten Klamotten ist dann aber doch unangenehm. Die Mutter sammelt zum Ausgleich von den schönen Kieselsteinen, die es hier gibt. Mehrgepäck. Ich gucke zurück zum Riss der Aradena-Schlucht: guckt ganz harmlos, und der Himmel darüber hat jetzt sogar ein paar blaue Stellen.
Vielleicht hab ich mich zu sehr ins Bockshorn jagen lassen, ich bin kein risikofreudiger Mensch. Aber wenn was passiert wäre, hätte jede gesagt „wie kann man auch!“
Wir klettern hinauf zur Taverne und trinken dort ein Cola. Unser mitgebrachtes Vesper ist noch unangerührt, wir wollen nix essen, dann wenigstens etwas flüssige Nahrung.
Wir könnten mit dem Badeboot zurückfahren, keine Ahnung wann es geht, so bald wohl nicht. Ach was, die Stunde nach Loutro sollte auch zu schaffen sein.
Der Weg führt direkt die Küste entlang, es ist der Europäische Fernwanderweg E4. Zu finden ist er gut, man muss aber sehr auf den Weg achten, denn rechts geht es direkt zehn bis zwanzig Meter steil hinunter ins türkisene Meer. Mit Rucksack würde ich hier ungern wandern.
Weiter vorne wird es noch heftiger – der Weg führt fast in der Steilwand über ausgeaperte Marmorstufen. Wir sind extrem vorsichtig, stützen uns an der Seite ab wenn möglich, wollen nicht nach überstandener Schlucht nun an der Küste abstürzen. Das ist erkennbar der Weg, wir haben uns nicht verstiegen. Dass es eine harmlosere Umgehung Richtung Livaniana gegeben hätte, erfahren wir erst zuhause – die Abzweigung haben wir vor lauter Fixierung auf den Boden übersehen (und von dort kam uns wohl auch das Paar in Badeschlappen entgegen – hier mit Sicherheit nicht das geeignete Schuhwerk). Problemlos ist der Weg natürlich für Ziegen – eine Gruppe der Hornträger kreuzt unseren Weg.
Natürlich braucht man länger, wenn man so vorsichtig ist. Eine halber Stunde bis zum Strand bei Lykos, wo der Weg in einer letzten Kletterei am Ufer mündet und uns Strandschafe keines Blickes würdigen. Steinmännchen grüßen immerhin. Wir haben Zeit genug, irgendwie zieht es uns aber schnell nach Loutro.
Die Tavernen in Lykos Beach können uns heute nicht locken, sie sind gut gefüllt, fröhlich-laute Gruppen. Darüber auf dem schafstinkenden Weg in der steinernen Ödnis staut sich die Hitze. War schon vor zwei Jahren so.
Der Weg zieht sich, wir stolpern dahin, und merken dann: wir sind platt, haben keine Kraft mehr. Die Körner sind alle. Total. Oberhalb von Finix setzen wir uns auf einen Stein in den Schatten eines Baumes für eine kurze Rast, die Kalorientanks auffüllen.
Wieder kein Abstecher hinunter nach Finix, wo eine Gruppe Jugendlicher abschreckend lärmt. Nach Livaniana sowieso nicht. Bei der Burg vorbei, eine gelbäugige Ziege sieht mich irritiert an. Sehe ich so übel aus? Auf dem Weg von Anopolis kommt eine große Wanderergruppe. Kreta, das Wandererparadies. Mein Bedarf ist gedeckt wie selten. Schluchten und Wege – können mir alle den Buckel hinunterrutschen!
Gegen die Aradena-Schlucht bei Regen ist die Samaria-Schlucht ein Spaziergang – und der Muskelkater danach schon ein ausgewachsener Tiger. Wirklich eine wilde Schlucht!
Gegen 16 Uhr trudeln wir in Loutro ein, sinken in die Sessel des erstbesten Cafés für ein Radler, rühren uns die nächste Stunde nicht, trocknen nur ab, denn wir waren schon wieder klatschnass geschwitzt. Hängen durch und ab.
Bis zur Abfahrt der Fähre haben wir gut zwei Stunden Zeit, und es gibt wenig zu tun hier. Irgendwann können wir uns auch wieder aus unseren Sesseln erheben und ein wenig durch Loutro bummeln. Faszinierend immer wieder die enormen Essensauslagen in den Schaufenstern – müssen ja noch reichlich Leute da sein wenn das alles weg soll. Auch die Grillspieße sind bestückt, warten auf hungrige Touristen. Auf die gesättigten warten die reichlich vorhandenen Katzen. Die Strandlieger ziehen ab, die Liegenvermieter räumen auf - die Sonne ist schon weg. Gemächliches Leben in Loutro. Hundert Prozent Tourismus - trotzdem zig Mal besser als Chersonissos!
Pünktlich tuckert die „Daskalogiannis“ um die Ecke und bringt uns zurück nach Chora Sfakion. Vor dem „Stavris“ sitzt S., gestern in Chania eingetroffen (dort haben wir uns vor zwei Jahren auch getroffen, wir am Ende, sie zu Beginn ihres Urlaubes – wie heute) und heute mit dem Bus gekommen will sie ihre erste Urlaubswoche in Sfakia verbringen. Nur kurz bedauert sie, dass wir die Aradena-Schlucht ohne sie erwandert haben – bis wir von unserem Abenteuer erzählt haben.
Nach einer Dusche geht es uns besser, und später essen wir zu fünft - mit U. und W. – im „Livikon“. An die kulinarische Qualität von Sougia kommt Sfakia nicht ran – restlos überzeugt ist die Mutter nicht vom Spaghetti-Nest, mein gefülltes Hähnchen konveniert schon mehr.
Aber die nette Gesellschaft reißt es raus, und wir sitzen noch ganz schön lang.
Morgen werden wir zu fünft ein wenig mit dem Mietauto herumfahren.