Am nächsten Tag wollen wir schluchteln. In der Imbros-Schlucht. Das Wetter ist passabel, ein paar Wolken, aber trocken. Um 11 Uhr fährt der Bus nach Chania, in Imbros werden wir aussteigen. Es geht die Serpentinen hinauf, und dieses Mal sitze ich auf der rechten Seite, am Abgrund. Der Bus kurvt so nahe an den Abgrund um den Gegenverkehr auszuweichen, dass ich steil in die Schlucht hinuntersehen kann, brr! Straßenabsperrungen sind ab und zu vorhanden, haben aber sowieso nur optische, keine bremsende Wirkung. Mit jeder Kurve wird leider auch das Wetter trüber. An der Baustelle ist wieder Warten angesagt, eine halbe Stunde brauchen wir so für die paar Kilometer nach Imbros.
Der Bus hält an der obersten Haltestelle: „Imbos!“ Noch ein paar Wanderer steigen mit uns aus, ein Schild weist den Weg zum Schluchteingang. Und die ersten Tropfen fallen vom Himmel – der Wettergott ist uns einfach nicht wohlgesonnen in diesem Urlaub! Egal, es wird gewandert! Nach einigen Metern kommt das Kassenhäuschen, 2 Euro pro Person kostet der Eintritt in die Schlucht. Die Frau vor uns bekommt ein Gläschen Rakí, ist das inklusive? Wir gehen leer aus, wandern aber auch lieber nüchtern.
Es tröpfelt sparsam vom Himmel.
Die Schlucht wird schnell tiefer, die Wände rechts und links steiler, höher. Loses Geröll auf dem Boden zwingen die Blicke dennoch nach unten. So richtig fotogen ist diese Schlucht nicht, erst recht nicht bei dem grauen Himmel. Je nach Wander- und Pausentempo überholen wir andere Wanderer oder sie uns – vor allem an den etwas spektakuläreren Engstellen – Fotostopp. Noch ein abschließender kräftiger Regenguss, dann bleibt es trocken. Endlich! Die Schlucht windet sich durch mehrere schmale Stellen, zweieinhalb Meter breit, senkrechte Felsenwände. Oben hört man die Bauarbeiten an der Straße. Wenn denen mal nur nicht ein paar Steine hinunter- stürzen, bei den Erdbewegungen, die wir oben gesehen haben! Schließlich erreichen wir die engste Stelle der Schlucht, dankenswerterweise beschildert: 1,6 Meter breit, ein Foto muss natürlich gemacht werden, wie man beide Wände gleichzeitig berührt. Kurzer Stau deshalb – jeder bitte nur ein Foto.
Danach wird die Schlucht wieder breiter, und es kommt ein Kiosk mit Kartenhäuschen – Ticketkontrolle! Der Kontrolleur behält die Tickets, ich bekomme aber ein altes als Souvenir als ich ihn darum bitte. Einige Ziegen und ein Esel stehen herum, Esel sind rarer auf Kreta als auf anderen Inseln, es wird der einzige bleiben den ich während des Urlaubes sehe. Die griechischen Esel sind am Aussterben, verdrängt vom Pick-Ups, Quads und mit EU-Mitteln ausgebauten Straßen. Wie schade!
Nach der Mautstelle ist der Weg ein Stück weit gepflastert und erinnert uns daran, dass die Schlucht hier früher die einzige Verbindung an die Südküste in diesem Teil Kretas war. Das Tal weitet sich schon wieder, wie gemauert wirkt die Struktur der hellen Felsenwände nun. Beeindruckend ein hohes Felsentor! Nach etwa 2 Stunden Wanderzeit nähern wir uns dem Schluchtausgang bei Komitades. Vor uns schlappt eine Gruppe Wanderer, nur mit leichten Halbschuhen kommen sie völlig fußlahm daher, schwanken vor uns herum, lassen sich kaum überholen. Für uns war die Tour weiß Gott keine Strapaze, aber wir haben auch vernünftige Wanderstiefel an, die selbst spitze Steine kaum spüren lassen. Am Schluchtausgang die ersten Tavernen, anpreiserisch, marktschreierisch. Nichts für uns, wer kommt hier schon wieder? Stattdessen Abfütterung der Massen. Die Busse holen die Wanderer hier wieder ab, oft geht es noch nach Frangokastello.
Wir haben aber ein anderes Ziel, wollen in der Taverne von Giorgos und Anette eine Kleinigkeit essen, die, von uns aus gesehen, nun am Ortsende Richtung Chora Sfakion liegt. Schluchtenwanderer verirren sich selten hier her scheint uns, zu groß ist die Tavernenkonkurrenz. Aber der Ausblick von der Taverne über die Olivenhaine und Richtung Küste ist sehr schön, und Saganaki und Dakos schmecken lecker! Ein ausgiebiges Schwätzchen mit Anette und Giorgos, süße Trauben vom eigenen Weinberg und Raki – man könnte den ganzen Nachmittag hier sitzen!
Reißen uns dann doch los und wandern auf der Straße die drei bis vier Kilometer zurück nach Chora Sfakion. Vorbei an der Müllkippe und dem FKK-Hotel Vritomartis. Erreichen Chora Sfakion und werfen von oben einen Blick auf den neuen Hafen. An der Küste ist nun kein Wölkchen am Himmel zu sehen, strahlender Sonnenschein!
So teste ich kurz danach noch den Ortsstrand von Chora Sfakion, Vrissi, der vor einigen Jahren in den Felsen gesprengt wurde um überhaupt einen nennenswerten Strand zu haben. Groß ist er nicht, vielleicht 25 Meter breit, zwei bis drei Meter tief, und grobkiesig. Gut belegt. Vom Wind ungeschützt brechen sich ordentlich die Wellen, kalt-türkisgrün sieht das Wasser aus, hat aber noch 22°C. Erfrischend!
Unsere Tavernenauswahl fällt am Abend auf „Nikos’ Taverne“ – solides Essen zu vernünftigen Preisen. Eine große Speisekarte, von der aber nur ein Bruchteil zu haben ist – was für die Frische der Zubereitung spricht. Es wird Wert auf lokale und Bio-Produkte gelegt, so etwas muss man unterstützen. Die Vorspeise müssen wir streichen – zu üppig war das nachmittägliche Mahl in Komitades!
Aufwachen am Morgen - endlich entspricht das Wetter unseren Erwartungen! Wir werden um 10.30 Uhr nach Loutro fahren, und die Wanderung nach Livaniana in Angriff nehmen, eventuell durch die Aradena-Schlucht zur Marmara-Bucht. Die „Daskalogiannis“ fährt mit Verspätung weg, denn sie muss noch auf zwei Beton-LKWs warten, und ein Auto der Müllabfuhr. Müllabfuhr? Wo will die denn hin?
Die Antwort bekommen wir eine Viertelstunde später, als die Fähre nicht Kurs auf den Anleger in Loutro nimmt, sondern weiter rechts vor dem Ort anlegt: der Müllplatz von Loutro, zu erreichen nur per Boot. Ein Berg schwarzer Müllsäcke liegt dort, das Müllauto geht von Bord, hat gerade Platz zum Wenden. Zwei Männer werden die Müllsäcke auf das Auto laden und sich von der Fähre bei der Rückfahrt wieder abholen lassen. Endstation der Loutroer Mülls ist die Müllkippe zwischen Chora Sfakion und Komitades.
In Loutro wartet ein Schubkarrenrennen schon auf die Fährankunft – so sieht es zumindest aus. Mangels Autos und Straßen transportiert man das Gepäck per Schubkarre auf die Fähre.
Wir halten uns nicht lange in Loutro auf, sondern wandern hinauf auf den Bergrücken, zu der Ruine der venezianischen Burg, die wir uns näher ansehen. Einige Ziegen lassen sich nicht von uns stören. Gefällt uns hier!
Dann weiter auf dem Weg Richtung Finix. Die Skizze im Wanderführer ist leider etwas ungenau, aber der Weg nach Livaniana soll mit blauen Markierungen rechts abzweigen. So folgen wir einer blauen Markierung rechts den Berg hinauf, bis der Weg immer undeutlicher wird und sich schließlich in Wohlgefallen auflöst. Die blauen Zeichen locken uns aber weiter den Berg hinauf – in die Irre, wie wir wenig später feststellen! Es sieht wieder alles aus wie ein Weg, und nichts – das altbekannte Problem. Die endlich scheinende Sonne und der steile Hang haben uns schon etliche Schweißtropfen abgenötigt als wir einsehen müssen, dass es hier nicht weitergeht.
Zum Glück sehen wir weiter vorne zwei Wanderer auf einem Weg heraufkommen – was aber bedeutet, dass wir wieder hinunter müssen und die mühsam gewonnen Höhenmeter verlieren. Wir landen auf einer Piste, und dort zweigt nun tatsächlich der richtige Wege nach Livaniana ab – blau markiert.
Der hohe Sonnenstand und der Frust lassen uns unsere Pläne ändern: wir wollen nun baden, nicht mehr wandern, wenden uns daher nach links zum Lykos-Strand. Vorbei an uralten Olivenbäumen, einer Schafherde und einigen Unterkünften und Tavernen ziehen wir die Küste entlang – leider ist das Ufer zwar flach, aber mit scharfkantigen Felsen durchzogen. Ganz vorne, wo der Fernwanderweg E4 wieder zur Steilküste hinaufklettert, finden wir ein Plätzchen zum Baden, nicht zum Schwimmen, da zu flach. Wir setzen uns in die Felsenwannen und genießen das lauwarme Bad. Wandern? Ein anderes Mal – Kreta ist auch so schön.
Plötzlich bekommen wir Gesellschaft: Eine Herde Schafe sucht – nein, nicht unsere Gesellschaft, sondern den Schatten der Felsen und kuschelt sich unter die vorspringenden Felsen. Ein Tier hat ein besonders beeindruckendes Gehörn, ob das hier so praktisch ist, damit bleibt es doch leicht irgendwo hängen?
Vorhin, auf dem Weg zum Strand, mussten wir quer über die Terrasse einer Taverne – vorbei an der umfangreichen Wirtsfamilie, die in einer Ecke saß und einladend winkte, uns dann aber den richtigen Weg wies. Das wäre jetzt doch ein hervorragender Platz für einen griechischen Salat und ein kühles Getränk.
So begeben wir uns unter die schattige Veranda von „Niko’s Small Paradise“. Eine Horde junger Katzen tummelt sich hier, entern – zum Missfallen der Begleiterin - Schoß und Tisch, fallen vom Verandadach beinahe in die Teller, zerren und spielen an den Riemen unserer Taschen. Eine friedliche Ecke ist das hier, ein wahres Paradies! Ein Mädchen – die Tochter der Wirte vermutlich – kommt mit Schultasche. Wo sie wohl zur Schule geht? Und vor allem: Wie sie dort hin kommt? Zu Fuß oder per Auto auf der Piste nach Anopolis oder mit dem Boot nach Chora Sfakion? Bin mal wieder zu schüchtern zu fragen.
Draußen auf dem Meer befinden sich einige Kanufahrer, ist nicht die schlechteste Art, sich die Küste näher anzuschauen. Wir sehen sie später in Loutro wieder, in ihren farbenfrohen Booten ein schöner Kontrast zum blaugrünen Meer.
Über den Felsrücken wandern wir endlich zurück nach Loutro, könnten noch die vorletzte Fähre erreichen, beschließen aber, bis zur letzten zu bleiben und uns jeder einen der verlockenden Kuchen einzuverleiben. Auch hier kommt der griechische Kaffee unbestellt als doppelter daher. Die Kuchenstücke sind mächtig, der Schokoladenkuchen wurde heiß gemacht, darauf hätten wir lieber verzichtet. Zum Glück bekommt man ein großes Glas Wasser dazu (ein Raki hätte auch nicht geschadet)!
Wie wir so sitzen und das Treiben beobachten – die Schweizer Familie spielt Tavli am Nebentisch – kommt Bewegung in unser Sichtfeld: zwei Männer entern die am Ufer liegenden Boote, fahren die einen weiter hinaus, vertäuen andere mit mehr Abstand. Was los ist, fragen wir, und befürchten schon wieder schlechtes Wetter. Nein, man wolle nur unseren ungestörten Nachtschlaf garantieren und verankere die Boote deshalb neu, es ist etwas Wind angesagt für die Nacht. Wir schlafen zwar nicht hier, aber es soll uns recht sein.
Die Fähre soll um 18.30 Uhr abfahren, hat allerdings Verspätung als sie, von Agia Roumeli kommend, ums Eck biegt. Die Zahl der Wanderer hat deutlich zugenommen, die Deck sind gut belegt. Bei der Ankunft in Sfakia wird es schon dunkel, trotzdem sehe ich mir noch mal das Kränzchen an, das ein Schotte in voller Tracht und mit Dudelsack vor zwei Tagen am Mahnmal am Hafen niedergelegt hat – „Lest we forget“
Nach den üppigen Mahlzeiten des Tages fällt das Abendessen aus – wir trinken nur etwas Wein unten an der Uferpromenade bei „Despina“ – leicht gestört von gelegentlichen Abwasser-Duftschwaden, die vom Kiesstrand unterhalb heraufziehen. Gibt es hier eine Kläranlage? Wohl kaum....
Auf Anraten von W. bestellen wir uns nebenan bei Pantelis’ Mini-Market ein Taxi für morgen Vormittag nach Anopolis – woanders bekommt man nämlich keines, und vorherige Bestellung empfiehlt sich.
Eine weitere Schlucht steht dann auf dem Programm.