In der Nacht kommt er dann doch, der Regen. Nur zu spät um Theo eine ruhige Nacht zu bescheren - bis drei Uhr schallt die Musik der Nachtschwärmerbar von unten. Ich bin zu müde um mich davon stören zu lassen, und ich habe ja ein Stockwerk mehr und die Dachterrasse dazwischen. Theo hat im Gästebuch einen genervten Beitrag hinterlassen. Nur dass die Vermieter nix für den Krach von unten können.
Das Frühstück kann am Sonntag immerhin später stattfinden. Tagesprogramm? Noch kein Plan.
Um halb elf hat der Regen aufgehört, und ich nutze die Pause für einen Fotospaziergang zum venezianischen Hafen. An der westlichen Paralia sind zwei, drei Cafés geöffnet, und kein einziger der vielen Souvenir- und Plunderläden. Winterpause. Auch die Buchhandlung ist leider zu, und das Seefahrtsmuseum hat sonntags geschlossen, aber morgen wieder offen. Auch gut. Da soll das Wetter nämlich noch schlechter werden. Was ist, ihr Eisvögel, seid ihr abgereist?
Ein Rudel Hunde tobt durch die nassen Gassen.
Der Leuchtturm fällt mir ins Auge. Da wollte ich doch mal hin, und das geht auch mit Schirm. Aber Theo will bestimmt mit. Außerdem ist so ein verregneter Sonntagnachmittag doch bestens geeignet um einen Besuch in Exopolis zu machen. Ich kehre ins Quartier zurück, und telefoniere mit Tom, dem Betreiber des Kretaforums. Er wohnt mit seiner Frau Angelika in Exopolis bei Georgioupoli, wo sie einen Laden mit Café betreiben, das "Sentouki". Natürlich hat die "Schatztruhe" im Januar geschlossen, aber wir bekommen eine Einladung ins Privathaus für vier Uhr am Nachmittag. Passt.
Unsere Wirtsleute Dimitris mit Tochter Tonia kommen um nach dem Rechten zu sehen - alles bestens. Den Raki bitte nachfüllen... nein, das machen sie schon unaufgefordert. Dass uns der Wein nicht so schmeckt, sehen sie selbst - hier bleibt der Nachschub aus. Wir überlassen den beiden die Wohnung und machen uns auf zum Leuchtturm-Spaziergang.
Entlang der Paralia sind die Stühle, die gestern alle noch belegt waren, hochgestellt oder abgedeckt. Nur Katzen bevölkern die Tische. Am Arsenal am Ostende des Hafens werden Jollen auf Trailern zum Ufer geschoben. Von Kindern, elf, zwölf Jahre alt. Offenbar findet hier gleich Unterricht statt. Das schauen wir uns natürlich an, und wir sind nicht die Einzigen: im Chania Sailing Club sitzen viele Leute. Bestimmt die Eltern. Gut, beheizt ist dort nicht, die Jacke lässt man besser an.
Aufpassen, damit man kein Segel an den Kopf kriegt! Wir nehmen Sicherheitsabstand und bummeln weiter auf der Hafenmauer entlang Richtung Leuchtturm. Das Meer ist ganz schön bewegt heute, wird die Jollenschule das sichere Hafenbecken verlassen? Natürlich - nur wenig später fahren sie an uns vorbei. Sechs Segel zähle ich, und der Lehrer kommt im Schlauchboot mit Megafon hinterher. Die Kinder sind schon ziemlich gut, nur eines hat Probleme mit dem Manövrieren und hängt hinterher.
Wir haben uns die verlassene Ruine der Fortezza (da haben Iraklio und Rethymno definitiv mehr zu bieten, aber die Palme hier lebt noch) auf halber Strecke zum Leuchtturm nicht ausführlich angesehen. War hier früher nicht ein Café, zu dem Bequeme mit einem Boot übersetzen konnten?
Der Blick auf die Altstadt von Chania mit den von Wolken verhüllten Berge dahinter - schön, und wirkt irgendwie italienisch. Rauchfahnen ziehen aus Täler - dürfte so bei Therissos sein, wo wir vorgestern waren. Die Lefka Ori glänzend durch Abwesenheit. Berner-Oberland-Wetter*.
Von wegen: gerade habe ich den Schirm aufgespannt um drei Regentropfen abzuhalten, da scheint schon wieder die Sonne. Januarwetter auf Kreta ist wie Deutschland im April.
Der Leuchtturm ist natürlich abgeschlossen, man kann ein paar Stufen hinauf um über die Hafenmauer zu gucken. Die Jollenschule ist draußen mächtig am kreuzen, der Lehrer gibt das Kommando zur Heimkehr. Nicht alle Schüler können dieser Aufforderung aus eigenen Kräften nachkommen, eine der Jollen muss vom Schlauchboot ins Schlepptau genommen und in den Hafen gezogen werden. Und waren es nicht vorhin noch sechs Boote? Jetzt zähle ich nur noch fünf. Na, ein bisschen Schwund ist immer...
Auf dem Rückweg sehen wir vom Anleger der Fortezza aus plötzlich etwas Glänzendes in der Luft. Es ist ein Eisvogel, der sich auf die Hafenmauer setzt. Wie hübsch! Nun haben wir den Beweis: wenn es auf Kreta Eisvögel gibt, dann gibt es auch Eisvogeltage. Kann nur sein, dass die jetzt schon vorbei sind. Bleib noch ein bisschen, Alkyoni! Nein, der Vogel schwirrt übers Wasser davon.
Trotzdem macht er uns für eine Weile glücklich.
Für den kleinen Hunger zwischendurch gibt es an der Gyrosbude an der Ecke der Platia 1866 eine Gyropitta. Für drei Euro wird man hier ohne kulinarische Mätzchen satt.
Noch ein wenig Gebäck für den Kaffee gekauft, dann brechen wir auf Richtung Drapanos-Halbinsel (na, so eine richtige Halbinsel ist das ja nicht). Wir wollen sie uns vor der Einladung noch etwas anschauen und gucken, ob sich dort ein Spaziergang lohnt.
Mit einem kleinen Umweg über Kanderis auf der Akrotiri (die richtige Abzweigung verpasst) fahren wir via Souda und Kalyves Richtung Vamos. Es regnet schon wieder, gleichzeitig scheint die Sonne, was einen leuchtenden Regenbogen verursacht. Fotostopp. Mhh, so ganz ist das nicht unsere Landschaft. So grün, etwas niedlich, andererseits auch ziemlich zersiedelt. "Sieht aus wie im Sauerland" sagt Theo. Da kann ich nicht mitreden: das Sauerland kenne ich nicht. Für uns ist das hier etwas zu üppig. Ich hab es mir gedacht: die karge Südküste ist eher mein Terrain. Von jeder Lieblichkeit weit entfernt, auch wenn es dafür hoch hinaufgeht, und nicht nur hügelt wie hier (ja, ich weiß, der höchste Berg des Drapanos-Halbinsel ist 527 Meter hoch, aber er überragt die Gegend davor hier auch ziemlich).
An einer Kreuzung biegen wir nach Gavalochori ab, Fohrer verspricht hier "besonders viele architektonische Relikte aus venezianischer und türkischer Zeit". Venezianisch finde ich immer gut, ein Volkskundemuseum gibt es dort auch (ich bin nicht so optimistisch zu denken, dass es offen sein könnte, und das ist es natürlich auch nicht) und so geht es über ein Kurvensträßchen dorthin. Wir parken im Zentrum und schlendern durch die Gässchen. Doch, das ist nett und kann im Sommer sicher die Südsehnsucht so manchen Urlaubers erfüllen. Stillleben aus Alpenveilchen, orangenstrotzende Bäume, ausladende, wenn auch nackte Platanen, bunte Kübel, verwinkelte Gassen, die als Sackgassen enden. Ein kleiner Platz mit Kafenio, in dem auch Leute sitzen. Erinnert mich an Chalki auf Naxos. Etwas.
Ein graffitiverziertes Gebäude an der Straße bildet dann das Gegenprogramm. Etwas verloren gehe ich noch oberhalb durch die Gassen, Theo wartet schon wieder am Auto.
Und nun, wo geht es weiter? Der Wegweiser zeigt in alle Richtungen, nur nicht in die, in die wir wollen. Wir gurken dann auf schmalen und manchmal steilen Landsträßchen über Dörfchen, an deren Namen ich mich nicht erinnern kann, südostwärts. Vamos, den größten Ort hier, haben wir umfahren, von Kalamitsi ist es dann nicht mehr weit nach Exopolis, wo wir trotz Toms Wegbeschreibung einen Schlenker durch den Ort drehen, immer auf der Suche nach einer großen Metallziege.
Wir finden das Haus von Tom und Angelika schließlich und verbringen bei den beiden und der Wärme des Ofens einen angeregten Nachmittag bei Kaffee und Gebäck (die Lichnarakia sind einfach lecker!). Ist doch eigentlich immer nett, wenn man Leute, die man bisher nur virtuell kannte, persönlich kennenlernt. :-)
Danke, Angelika und Tom!
Draußen prasselt immer wieder der Regen an die Scheiben, in den Lefka Ori steigt der Schneepegel. Wobei: so richtig kalt ist es ja noch nicht. Noch.
Es ist längst dunkel als wir nach Chania zurückfahren. Inzwischen bin ich mit Auto und Stadt so vertraut, dass weder Regen noch Dunkelheit ein Problem darstellen. Und wir finden sogar einen recht nahen Parkplatz. Nun wäre ja heute nochmals Live-Musik im "Chalkina", aber da das Essen dort nicht überzeugt hat, gehen wir ins "Colombo kitchen bar", das direkt neben unserem Quartier liegt. Der Service ist nett, aber nicht der schnellste. Mein Essen - eine seltsame Kombination von kretischen Würstchen und Hühnchen mit Reis hat einen leicht indisch angehauchten Touch ("Colombo" - ist das nicht eine Stadt auf Sri Lanka? Nein, damit hat das nichts zu tun - das war der Name des Westtores, und des westlichen Gebietes um den alten Hafen. "Kolombites" nannten sich die Einwohner). Theo erliegt fast an der Größe seiner Portion Spaghetti marinata.
In der Preisklasse liegt das Lokal etwas höher, aber es gibt allerlei gratis aufs Haus: Suppe vorab, und nach dem Essen eine Auswahl von drei alkoholischen Getränken: Erdbeerlikör, Mastixlikör und natürlich Raki. Da sitzt man schon mal etwas länger und weil es nach Mitternacht ist als wir das Lokal verlassen, wird es auch nix mehr mit dem "Chalkina" (wobei, wäre dort vermutlich die beste Zeit). Man kann nicht alles haben.
*
Auch der Montagvormittag verwöhnt uns mit Regen. Dafür hat der Bäcker heute wieder offen und es gibt frisches Brot (die Teile vom Inka-Supermarkt gestern waren echt keine Alternative).
Wir entschließen uns zum Stadtbummel mit Museumsbesuch. Zuerst geht es auf den grünen Hügel der Schiavo-Bastion. Einen schönen Blick über die Stadt hat man hier, aber es geht ein so lausig kalter Wind, dass ich es bereue, Handschuhe und Mütze nicht dabei- und die Strumpfhose nicht anzuhaben. Wir fliehen schnell in weniger ausgesetzte Lagen und zur Markthalle. Die kennen ich noch vom letzten Besuch, und war vom Touristenrummel samt dem angebotenen Souvenirkrempel weniger angetan. Heute ist das aber ganz anders. Natürlich kann man auch jetzt noch allerlei Andenkenkitsch kaufen, aber mangels Touristen konzentriert sich das Angebot im Januar stärker auf die Bedürfnisse der Einheimischen, also auf lokale Lebensmittel. Schade, dass wir eigentlich versorgt sind und uns vor dem Museumsbesuch auch nicht mit Einkäufen belasten wollen, aber bei den Lichnarakia des Bäckers im Zentrum der Halle kann ich nicht widerstehen. Noch warm sind sie einfach köstlich!
Wieder draußen aus der Halle ist doch tatsächlich der Himmel blau. An manchen Stellen zumindest. An anderen hängen drohend die Gewitterwolken.
Entlang der Paralia geht es zum kretischen Marine-Museum an der Firka-Bastion (Montag bis Samstag von 9 bis 15.30 Uhr geöffnet). Der Eintritt kostet zivile drei Euro, und wir treffen dort gefühlt alle Touristen, die sich gerade in Chania aufhalten (sechs). Und eine Schulkasse beim museumspädagogischen Geschichtserlebnis.
Das Museum erzählt die Geschichte der griechischen Seefahrt, beginnend bei den Minoern über die Antike (nett das Modell der Seeschlacht von Salamina) zu den Venezianern. Schwerpunkte liegen danach auf den Freiheitskämpfen und auf der deutschen Besatzungszeit, der das zweite Stockwerk gewidmet ist.
Es gibt eine Vielzahl von historischen Exponaten, dazu zahlreiche erklärende Tafeln, Fotos und Karten, die Beschriftung ist zweisprachig Griechisch und Englisch. Selbst wenn man nicht sehr tief in die Materie eindringen will (was ohne ein entsprechendes Hintergrundwissen zeitintensiv werden dürfte), ist das Museum interessant und lohnenswert.
Ich beschließe, dass ich mich doch detaillierter mit der Besatzungszeit auf Kreta befassen möchte. Ob das Buch "„Operation Merkur: Die Eroberung der Insel Kreta im Mai 1941" von Heinz Richter dazu geeignet ist? Immerhin stand der deutsche Historiker deshalb gerade in Rethymnon vor Gericht (wurde aber schließlich freigesprochen).
Durch die nasse westliche Altstadt, die sich auch am Montag nicht wesentlich belebter darstellt als am Wochenende, und an der Synagoge vorbei (ich werfe einen Blick hinein und denke an Annette W.) gehen wir wieder zurück ins Quartier. Was uns in der winterruhigen Stadt auffällt, das sind die zahlreichen Boutique-Hotels in historischen Gebäuden, die tatsächlich auch geöffnet zu haben scheinen. Die Frühstücksräume und Empfangsbereiche, die von außen einzusehen sind, sehen sehr edel aus. Und teuer. Nein, eigentlich sind wir mit unserem "Aphrodite House" ganz zufrieden. An die Treppen haben wir uns gewöhnt, und der Lärm von unten war in der letzten Nacht sehr verhalten - das Ende des Wochenendes und das schlechte Wetter sorgten dafür. :-)
Was nun tun mit dem angebrochenen Mittag? Die Sonne kämpft mit den Wolken, Spaziergänge oder gar Wanderungen könnten feucht werden. Wobei die Wetterprognose den Nachmittag regenfrei verspricht. Theo ist es schließlich, der vorschlägt, nach Máleme zu fahren. Was mich überrascht, denn als ich im Vorfeld unserer Reise den Wunsch geäußert hatte, den dortigen Soldatenfriedhof aufzusuchen, zeigte er sich erstaunt ob meiner Nekrophilie. Dabei schreibt er doch ganze Seiten über historische Friedhöfe, und auch noch in Italien. Ok, die sind ein bisschen anderes als Maleme.
Ich hatte geplant, Maleme auf dem Weg nach Elafonisi "mitzunehmen", aber eine Extrafahrt dorthin ist sicher besser, und so haben wir auch mehr Zeit (an beiden Orten). Unser Fiat Bravo bekommt also auch heute keine Pause. Ich ziehe mir warme Klamotten an (Friedhöfe und Gedenkstätten sind sowieso immer so kalt), packen Regencape und Schirm ein, und wir verlassen die Stadt auf der Nationalstraße westwärts.
Keine halbe Stunde brauchen wir bis zum gut ausgeschilderten Soldatenfriedhof bei Maleme. Auf dem leicht ansteigenden Gelände oberhalb des Flugfeldes Maleme ruhen die Gebeine von 4.465 vorwiegend deutschen Soldaten. Die meisten von ihnen (3.352) kamen beim "Unternehmen Merkur", dem deutschen Angriff auf Kreta zwischen dem 20. Mai und dem 1. Juni 1941 ums Leben.
Der Friedhof wurde aber erst 1974 eingeweiht und war und ist bei den Kretern keineswegs unumstritten. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. barg 1960 die Gebeine aus zahlreichen provisorischen Gräbern auf Kreta und brachte sie ins Kloster Gonia bei Kolymbari, wo sie mehrere Jahre blieben ehe sie hier wirklich zu letzten Ruhe gebettet werden konnten.
Der Friedhof soll ein Mahnmal für den Frieden sein. Und so befindet sich am Eingang ein kleiner Raum mit einer kurzen Dokumentation der Operation Merkur und der Geschichte des Friedhofes. Auch Einzelschicksale werden erzählt. So gehörte der Boxer Max Schmeling zu den Soldaten, die am 21. Mai 1941 mit dem Fallschirm über Kreta absprangen. Beim NS-Regime war er durch seine Niederlage gegen den schwarzen Boxer Joe Louis in Ungnade gefallen und von der Wehrmacht eingezogen worden. Er hatte Glück im Unglück und verletzte sich bei Landung so schwer, dass er für weitere Einsätze ausfiel. Die wenigstens seiner Mitkämpfer waren so glücklich - reihenweise wurden sie von den verteidigenden alliierten Truppen und den Kretern getötet während sie noch an Fallschirmen hängend und wehrlos eine gute Zielscheibe abgaben. Was ein Wahnsinn!
Der Friedhof von Maleme war in der Vergangenheit leider auch immer wieder Treffpunkt für faschistische Ewiggestrige und Ehemalige der Gebirgsjäger, die glaubten, hier den Jahrestag der Invasion feiern zu müssen. Also ob es angesichts des völlig sinnlosen Verlustes so vieler, noch dazu so junger Menschenleben irgendetwas zu feiern gäbe....
Theo und ich gehen getrennt entlang des unteren von zwei Gräberfeldern. Die von einer niedrigen Steinmauer eingezäunte Anlage ist sehr gepflegt, die Granitplatten, die die Namen, Geburts- und Sterbedaten und die Berufe/den Dienstgrad der jeweils zwei Soldaten tragen, reihen sich großflächig aneinander. Andere Steine tragen die Zahl der unbekannten Bestatteten. Mittagsblumen sind dazwischen angepflanzt, ein paar wenige Bäume beleben die Fläche, und einige in Dreiergruppen angeordnete Steinkreuze. Trotzdem fröstelt mich, und das liegt nicht nur an dem eiskalten Wind, der vom Meer her kommt (gut, dass ich Mütze und Handschuhe dabei habe).
Wir hängen unseren Gedanken nach. Wieso liegen hier eigentlich auch die sterblichen Überreste von Bruno Bräuer, dem Kommandanten der "Festung Kreta" 1943/44, der 1947 (zusammen mit dem "Schlächter von Kreta, Friedrich Wilhelm Müller) in Athen wegen Kriegsverbrechen verurteilt und hingerichtet wurde?
Aber es gibt hier keine Kommandanten mehr, und normale Soldaten, keinen Schuldigen und Unschuldigen. Nur noch Tote. Trauriges Zeugnis militaristischen und menschlichen Größenwahns.
An der oberen Mauer steht dann noch eine Gedenktafel für die 42 Angehörigen der Bundeswehr, die am 9. Februar 1975 beim Absturz eines Transall-Militärflugzeuges im Schneetreiben in den Lefka Ori ihr Leben verloren (hier ein Spiegel-Artikel vom 17.02.1975 über die Ursachen).
Wir verlassen das Gräberfeld wieder, und blättern uns im Informationsraum noch durch die Liste mit den Namen der Gefallenen (wir finden unsere beiden Nachnamen wieder) und das Gästebuch.
Nein, auch wenn das inzwischen alles lange her ist - man darf es nicht vergessen! Dass es sich nie wiederholt. Und uns Demut lehrt für die guten Zeiten, in denen wir in Deutschland leben dürfen.
Wohin nun? Theo schlägt eine kleine Rundfahrt Richtung Rodopou-Halbinsel vor, jetzt wo wir schon fast da sind. Für Fortbewegungen zu Fuß ist das Wetter zu ungastlich, und so passt das schon.
Über Kolymbari fahre wir nach Aspra Nera und biegen dort Richtung Afrata ab. Eigentlich wäre ein heißer Kaffee und eine Kleinigkeit zu essen jetzt schön, aber die Dörfer wirken zwar nicht verlassen, aber verschlossen. Dafür bevölkern unglaublich viele Schafe mit ihrem ganz frischen Nachwuchs die Landschaft, und auch die Straße. Die Zahl der wolligen Vierbeiner dürfte sich gerade locker verdoppelt haben. Eine drastische Reduktion wird dann vor Ostern stattfinden, das 2016 erst am 1. Mai ist. Da kann das Osterlamm dieses Jahr auch mal etwas größer ausfallen....
Die Straße ist schmal und schmutzig, eine tiefe Rinne zieht sich entlang des linken Straßenrandes. Die Ursache dafür sehen wir nach der nächsten Biegung, als ein Sattelschlepper mit Kabeltrommel den Weg versperrt. Nicht uns, wir sind schmal genug, aber der LKW vor uns muss sich millimetergenau vorbeimanövrieren, was unter dem Augen des Schlepperfahrers und der Straßenarbeiter und unter Mitleidenschaft der Straßenböschung geschieht.
Auch in Afrata sieht kein Café geöffnet aus (warum auch, am hellen Montagnachmittag in einem Dorf mit 137 Einwohnern), und so fahren wir zur Küste hinab. Das große Kloster, das am Ortseingang steht, muss Kloster Gonia sein (offiziell Moni Odigitrias Kyrias Gonias). Und gegenüber die orthodoxe Akademie. Sieht alles sehr verschlossen aus, und wir brauchen auch jetzt eher keine geistige Nahrung, sondern ganz handfeste körperliche.
Also hinein nach Kolymbari, das kleiner ist als erwartet. Die Schaufenster und Ladenzeilen sind ebenso unbeleuchtet wie die Tavernen, aber da an der Ecke, im Café Plaza, brennt Licht und ein Tisch ist belegt. Die Tischbelegschaft entpuppt sich bei näherem Hinsehen als die Familie des Wirtes, seine beiden Buben machen Hausaufgaben, die Mutter hilft dabei. Aber wir bekommen wunschgemäß einen doppelten Elleniko, der schon fast dreifach daherkommt, und einen süß gefüllten Crêpe mit Schokosauce - das einzige was an Essen vorhanden ist.
Ich blättere im Reiseführer. Demnach müsste das Kloster Gonia bis 17 Uhr geöffnet und eines Besuches wert sein. Das reicht gerade noch nach dem Kaffee.
Theo hat keinen weiteren Klosterbedarf und bleibt im Auto. Das Außentor ist geöffnet, der Hof menschenleer. Nichts zu sehen vom Ikonenmuseum oder dem Verkauf lokaler Produkte. Die Türe zur Kirche ist unverschlossen, ich trete ein. Von den seitlichen Nischen des Querschiffes kommt Sprechgesang. Ich nähere mich langsam und sehe zwei Mönche, einer rechts, einer links, die sich gegenseitig zusingen. Als ich ins Querschiff trete um mir die Ikonostase näher anzusehen, kommt einer der Mönche aus seiner Nische und drängt mich mit einem Absperrungsseil wortlos, aber mit sprechendem Blick zurück ins Mittelschiff.
Hoppla, was hab ich jetzt falsch gemacht? Eigentlich bin ich mir keiner Schuld bewusst, außer der, eine nicht orthodoxe Frau zu sein. Ich sehe mir noch die Seitenkapelle an, dann trolle ich mich wieder auf den Innenhof. Und da kommen schon die beiden Mönche aus der Kirche, die wort-, aber nicht lautlos die Kirchentüre verschließen. Besucher(innen?) sind unerwünscht, das ist mir jetzt schon auch klar. Wie verträgt sich das mit der benachbarten orthodoxen Akademie, die der weltoffene Erzbischof Irenäus gegründet hatte und die den Geist des Dialogs zwischen der Orthodoxie und den anderen Konfessionen und Religionen fördern möchte? Die Klostermauern sind wohl höher als sie aussehen...
Auf der Küstenstraße, die hinter den großen Hotels von Kolymbari über Gerani, Platanias und Agia Marina verläuft, fahren wir nach Chania zurück. Die touristisch überdimensionierte, aber winterleere Infrastruktur ist hier nicht geeignet, unsere Urlaubssehnsüchte zu wecken.
Kaum zuhause, geht draußen ein Gewitter mit Hagel nieder, der auf der Markise vor unserer Wohnung lange liegen bleibt. Das Januarwetter auf Kreta ist wirklich für jede Überraschung gut, aber morgen soll es halbwegs ordentlich werden.
Wir wählen zum Abendessen wieder das "Tamam" aus, bestellen Meze-Portionen vom Lamm mit Auberginenpüree (lecker!), Bohnen mit Knoblauchsauce (lecker!), Fenchelküchlein, Kalitsounia und schließlich die kretische Spezialität Staka. Alles schmeckt ausgezeichnet, das Staka trifft aber weniger unsere Geschmacksrichtung (ein zäher Brei mit einem Hauch saurer Milch, na ja.)
Was sind wir froh, dass wir in einer Stadt Quartier bezogen haben, in der man auch am Montagsabend ein kultiviertes Essen in einer Taverne bekommt. Oder sogar in mehreren Tavernen.
Wenn das Wetter mitmacht (und es muss!), dann steht morgen endlich ein Strandbesuch auf dem Programm.
* Zur Erklärung: ich liebe das Berner Oberland. Urlaubstechnisch wurde ich dort sozialisiert. Und zwar in Beatenberg mit Blick auf die Berner Alpen Eiger, Mönch und Jungfrau. Nur waren leider oft nicht zu sehen, weil sie sich in Wolken hüllten.
So wie die Lefka Ori bei Regenwetter :-)