Allerlei Farbiges

Natürlich bin ich um halb neun zum Frühstück oben im Kafenio Perros, auch wenn es heute noch nicht ins Kajak geht. Aber schon etwas Paddelluft schnuppern, die anderen kennenlernen. Machen einen netten Eindruck. Ja, es wird tatsächlich nach Vani gehen. 14 Kilometer, über die Bucht von Milos. Viel Spaß, das Wetter ist ja wieder perfekt: kaum Wind, reichlich Sonne.

Ich werde mich heute vor allem an der Nordküste herumtreiben, zusammen mit Lothar, Therese, Hanne und Herbert, die mich um zehn Uhr mit dem Auto abholen. Schnell noch zwei Flaschen Wasser in den Kofferraum, dazu das Badezeug. Wanderschuhe hab ich an, auch wenn keine große Tour auf dem Programm steht.

 

Zuerst fahren wir nach Mandrakia. Und wieder ist es für mich eine Premiere bei strahlendem Sonnenschein. Bisher kannte ich die Fischersiedlung nur bei Regen oder schattig-kühl am späten Nachmittag im Oktober. Im Gegensatz zu Klima sind die Syrmata (Bootshäuser) nicht nebeneinander aufgereiht, sondern um eine kleine Bucht gruppiert, oder teilweise in den weichen Tuffstein der Nordküste gegraben. Sie liegen ungeschützt dem Meer und den Nordwinden ausgesetzt. Wobei die kleine und sehr flache Bucht viele kleine Bötchen beherbergt. Man kann hier auch Ferienwohnungen mieten, und eine offene Taverne gibt es auch. Einen Laden kann ich aber nicht entdecken, und da es keine Busverbindung nach Mandrakia gibt, ist man auch hier besser motorisiert.

Das Wetter gibt heute einen Vorgeschmack auf den Sommer: die Sonne brutzelt ordentlich herab. Da suchen wir schon am Vormittag lieber den Schatten, der aber rar ist.

 

Damit ich auch etwas Milos-Neuland entdecken kann, fahren wir weiter nach Westen, nach Fyropotamos. Das ist eine weitere Bootshaussiedlung, etwas kleiner als Mandrakia und an einer runden Bucht mit einem hübschen Strand gelegen und von allerlei weiß-rotem Milos-Gestein eingerahmt. Nicht wirklich aufregendes, aber hübsch.

Besonders ist aber die Kirche Agios Nikolaos mit ihrer unorthodoxen, jugendstilähnlichen Ausmalung. In Lebensgröße zieren Szenen aus dem Leben des heiligen Nikolaos die Wände. Es würde mich interessieren, wer die Kirche wann so ausgemalt hat.

Von hier fahren wir noch weiter nach Westen, nach Trachilas. Hier im äußersten Nordwesten der Insel gibt es einen zweiten erloschenen Vulkankrater (außer dem von Tsigrado im Süden) und nördlich davon einen Perlitsteinbruch. Die Minengesellschaften haben inzwischen die Auflage, die ausgebeuteten Minen zu renaturieren oder anderweitig nutzbar zu machen. Das ist hier geschehen, auf der weißen Gesteinswüste wurde von der Bergbaugesellschaft Imerys (der französische Konzern hat die milische Bergbaugesellschaft S&B 2015 aufgekauft) ein Weinberg angelegt, dessen Früchte 2016 erstmals einen Wein produziert haben. Das möchte ich mir gerne mal angucken.

 

Es ist eine staubige und öde Ebene, und im Steinbruch wird auf weitern Terrassenstufen immer noch Perlit abgebaut, so dass große LKW hier heraus- und vorbeidonnern. Aber wir können von einem erhöhten Platz aus einen Blick auf das durchaus beachtlich große Rebenfeld werfen. Ob es, wie auf Santorin, durch den Tau bewässert wird? Bestimmt ein guter Tropfen, auf dem mineralreichen Boden.

Dahinter sind die beiden vorgelagerten Akradies-Inseln ganz nahe, die linke Mikri Akradia mit Kapelle und Leuchtturm, rechts die unbehaust aussehende, flachere Megali Akradia. Eine Kapelle gibt es dort natürlich auch, auf der abgewandten Nordseite.

 

Unser nächstes Ziel ist die Bucht von Papafrangas. Nur ein schneller Blick auf den in den Felsen geschnittenen Fjord mit dem kleinen Strand an der Spitze. In den Felsen gehauen eine steile Treppe um ihn zu erreichen. Sieht waghalsig aus, aber es sind Leute dort. Auch ein besonderer Platz.

Der Strandflieder blüht großflächig auf den hellen Felsen und verleiht ihnen einen violetten Schimmer. Östlich schließt sich das Ausgrabungsgeländer von Filakopi (Phylakopi) an. Eingezäunt und verschlossen brät es in der Mittagssonne. Die bronzezeitliche Stadt florierte vor allem danke der Verarbeitung und dem Handel mit dem milischen Obsidian aus den Minen bei Demenegaki und Nychia. Vor Jahren konnte man noch frei über das Gelände gehen und den mit Obsidiansplittern übersäten Boden betrachten (Mitnehmen verboten!). Es brauchte aber einiges an Phantasie, um sich hier einen Ort vorzustellen, zumal ein Teil der damaligen Stadt heute unter dem Meeresspiegel liegt. Heute sieht das Ganze von weitem noch verwilderter aus, und wir sparen uns den Besuch.

Nun geht es mit dem Auto wieder einige Meter zurück Richtung Adamas bis bei Pachena links einen Piste abzweigt. "Agia Ekaterini" steht auf dem Wegweiser, und Lothar fährt sechs-, siebenhundert Meter hinein bis der Feldweg schlechter wird. Ab hier geht es zu Fuß weiter, vorbei an einem abgeernteten Getreidefeld, auf dem verstreut Strohballen liegen. Dahinter sind bereits überdimensionierte Terrassenstufen in rötlich, gelblich und weiß zu sehen.

 

Wir nähern uns dem Steinbruch von Aggeria-Agia Irini. Die kleine Kapelle der Agia Ekaterini lassen wir zunächst links liegen und streben - vorsichtig eine breite Piste mit LKW-Verkehr überquerend - zu einem markierten Aussichtspunkt. Und dann liegt er vor uns unter uns: der riesige Bentonitabbau, einer der größten der Welt. Zwei zusammengewachsene Minen, die sich über eine Länge von zweieinhalb Kilometern und eine Breite von siebenhundert Metern erstrecken. Vielleicht vierzig Meter tief ist die Mulde, die da vor uns liegt. Fast bis auf Meereshöhe. Sauber in hell- und dunkelgrauen oder rostroten Stufen die Hänge, und am Boden schillert dunkelgrün wie ein Moor das gesammelte Regenwasser. Die Lastwagen und Bagger, die darin zugange sind, wirken wie Spielzeug, das Piepsen rückwärtsfahrender Baugeräte schallet unablässig herüber. Ab und zu braust ein Lastwagen auf der Piste hinter dem Aussichtspunkt vorbei, oder ein Jeep der Minengesellschaft mit einem roten Fähnchen.

Ich kann kaum meinen Blick von diesem menschengeschaffenen und trotzdem natürlichen Schauspiel abwenden. Hinter dem Loch ist noch ein Hügel sichtbar, die sorgfältig gestufte Hängehöhe dürfte hier neunzig Meter betragen. Rechts eine Kapelle, die namensgebende Agia Irini vielleicht.

 

Wie ein Insekt im Spinnennetz und erst auf den zweiten Blick sehe ich den Bagger, der dort abgestellt ist. Nein, auch er beißt sich jetzt durch das Gestein, während sich im Talboden die Lastwagen wie ferngesteuert in einer Modellanlage bewegen. Die Ränder und die Hügel über den hellen Stufen sind grün bewachsen, es blüht gelb und rot. Und hinter dem westliche Rand kann man in der Ferne den kegelförmigen Kastrohügel und Plaka ausmachen. Sie wirken wie aus einer anderen Welt.

 

Ich doziere über die Eigenschaften von Bentonit, der dank seiner besonderen Eigenschaften mit Wasser vermengt - mal fester, mal flüssiger - beim Tunnelbau, der Abdichtung von Deichen und bei Erdölbohrungen verwendet wird. Und auch ganz schnöde als Katzenstreu. Lothar ist weniger beeindruckt und lästert über Grauolit und Grünolit. Schade, dass die Parea keine Zeit für das Milos Mining Museum haben wird, das die geologischen Gegebenheiten der Insel so eindrucksvoll erklärt.

Ich gehe auf der Piste ein Stück ostwärts um noch bessere Motive vor die Linse zu bekommen. Schwer, meinen Fotorausch in den Griff zu bekommen. Irgendwann, wenn es wenig warm ist, werde ich auch mal dem Miloterranean Walk Nummer 4 machen, ein zwölf Kilometer langer Rundkurs, der in Pollonia beginnt und endet, und an den großen Verladestelle in Voudia vorbei hierher und dann zur Küste führt.

Ich bin noch lange nicht fertig mit Milos, der Westen fehlt mit ja auch noch komplett.

Natürlich besuchen wir dann auch noch das Kirchlein der heiligen Ekaterini, in dem es schön kühl ist. Es ist neueren Datums, aber offen, so dass wir Kerzen anzünden können.

 

Der kurze Rückweg über die schattenlose Ebene zum Auto heizt uns dann gehörig ein. Kein Wanderwetter heute, und ich bin froh, dass es die letzten zwei Wochen kühler und windiger war.

 

Wir flüchten nach Pollonia ins "Gialos". Wieder eine ausgezeichnete Wahl, denn dort sitzt man nicht nur gut, auch das Essen ist ausgezeichnet. Ohne Dakos geht es inzwischen nicht mehr, das hier mit Cocktailtomaten und Mizithra daherkommt. Die Portion Sardines ist überschaubar, aber köstlich, und auch die übrigens Speisen erzeugen im Gesellschaft des Weißweines und der Parea diese lässige nachmittägliche Gelassen- und Faulheit, die die weiteren Aktivitäten auf das Notwendigste beschränken. Sprich: die Fische im nahen Hafenbecken mit Altbrot füttern und der meeraufwühlenden Fischmasse zusehen (was eine neugierige Katze prompt auch tut. Oder hat sie es auf die Fischlein abgesehen?) Und die "Panagia Faneromeni" beim Anlegemanöver beobachten.

 

Ein Elleniko bringt uns dann immerhin so weit auf die Touren, dass wir es schaffen, uns die zweihundert Meter zum Sandstrand zu verfügen und dort zu baden. Mitte Mai ist noch wenig Betrieb und die Tamarisken bieten den gewünschten Schatten. Mein Badethermometer zeigt eine Wassertemperatur von 23 Grad an, der Spitzenwert dieses Urlaubes in der geschützten und flachen Bucht. Ein sympathischer Flecken, dieses Pollonia, und optimal wenn man Badeurlaub ohne Remmidemmi machen möchte und trotzdem kurze Wege zu Restaurants und Pensionen schätzt. Schade, dass die Busverbindungen im Mai noch so schlecht sind und sich auf zwei Verbindungen am Tag belaufen. Irgendeinen Nachteil muss die Vorsaison ja auch haben, sonst kämen alle jetzt schon.

Für den Abend sind wir dann in Klima verabredet.

Das Restaurant "Astakas" dort feiert heute Saisoneröffnung. Und Therese und Lothar haben auch etwas zu feiern, aber noch rücken sie nicht heraus, was.

 

Ich wandere schon um sieben in Triovasalos los nach Tripiti und von dort am antiken Theater vorbei hinab nach Klima. Ich liebe die Aussichten auf die Bucht von Milos, auf den großen und den kleinen Profitis Ilias im späten Tageslicht. Nach den Erfahrungen vom Vorjahr hab ich dieses Mal die Wanderschuhe angezogen: ist definitiv besser auf dem Fußweg, und auch unten auf dem schmalen, gelegentlich schlüpfrigen Uferstreifen vor Klima.

Die bunten Fischerhäuser ziehen mich sofort wieder in ihren Bann. Bei Paddeln werde ich die Amerikanerin Savannah treffen, die sich hier für einige Tage einquartiert hat. Kein preiswertes Vergnügen: die Nacht kostet 150 Euro. Allerdings hätte das Häuschen Platz für vier bis fünf Personen, und es gibt auch kleinere. Werde ich mir mal leisten, irgendwann.

 

Die Abendstimmung ist einfach wunderschön hier. Kaikia, Kap Vani und Antimilos produzieren Schattenspiele.

Zwei Angler sitzen am langen, vorne zerbröselnden Anleger. Ich nehme lieber eine der Bänke östlich am kurzen Anleger, wo an der knorrigen Tamariske ein Fischerpaar seine Netze flickt. Nein, es ist noch nicht alles Disneyland hier. Und erstaunlicherweise sind kaum Touristen da.

 

Ein Telefonat zu Lothar, sie sollen doch kommen, es wäre so schön hier. Wenig später sehen ich sie aus der Gasse vom "Panorama" her kommen, aber sie biegen direkt Richtung Restaurant nach Norden ab. Hallo, hier drüben bin ich! Ich will hier nicht herumschreien und schaffe es endlich, Lothar per SMS zu erreichen. Der Fotograf in ihm siegt über den Appetit, und er kommt, um in meiner Gesellschaft zuzusehen, wie die Sonne hinter Antimilos verschwindet, während die anderen hungrig im Restaurant warten. Den Sonnenuntergang sieht man dort auch, aber nicht mit so einem schönen Vordergrund.

 

Ich bin vier Tage früher dran als letzten Mai, wo die Sonne die linke Kante von Antimilos "herabrollte" ehe sie verschwand. Aber auch heute ist es wieder wunderschön hier. Und manches Fotomotiv wiederholt sich.

Bevor es ganz dunkel wird, folge ich der Parea dann ins Restaurant. Man sitzt schön auf der freien Terrasse, eine Strickjacke hilft gegen den frischen Wind. Das "Astakas" bewegt sich in einer gehobenen Preisklasse, es gibt keinen offenen Wein, nur aus der Flasche. Da trifft es sich gut, dass Therese und Lothar die Verlobung ihrer Tochter zu vermelden und zu feiern haben. Να ζήσουν!

 

Zum Essen - Kalamares, Hühnchen, Rind, Kartoffelsalat, das unvermeidliche Dakos - leeren wir zwei Flaschen eines guten trockenen Weißweines und genießen dieses herrliche Ambiente, das köstliche Essen, die netten Gesellschaft.

 

Liebe Hanne, Herbert, Therese, Lothar - es war mir ein großes Vergnügen, diese zwei Milos-Tage mit euch verbracht zu haben!

Morgen Vormittag habt ihr hoffentlich noch etwas Zeit für die Katakomben und die Ausgrabungen, ehe es auf die Fähre nach Syros geht. Ich werde da wohl schon im Kajak sitzen und euch zuwinken.

Wenn ich eine Hand frei habe.