Nochmal Kimolos

Die Nacht war deutlich weniger windig als die vorherige, und damit das Meer ruhiger. Aber in meinem Anemoessa-Zimmer geht immer ein frisches Lüftchen. Angenehm.

 

Um halb elf begebe ich mich zum Fähranleger. Kurz vor elf nähert sich die Fähre "Osia Methodia", erwartet wird sie von zahlreichen Fußgängern und einigen PKW, die sich am einspurigen Nadelöhr des Anleger drängen. Die Zufahrt ist nur über die Restaurantmeile möglich, was nicht ganz optimal ist. Auf einem Segelboot, das längsseits der Kaimauer liegt, demonstriert man unbefangen Alltag.

 

Der Passagierwechsel geht sehr schnell vonstatten und schon zwei Minuten nach elf Uhr hebt sich die Klappe der Fähre. Ein Stau am Ticketschalter im oberen Deck löst sich auch schnell auf. An Bord herrscht Maskenpflicht, sie wird mehr oder weniger eingehalten. Weniger von Apostolis, unserem früheren Wirt vom "Kali Kardia" in Chorio, der unter den Passagieren ist, und den ich maskiert vielleicht nicht wiedererkannt hätte.

Ich steige noch weiter hinauf aufs Sonnendeck, wo man es auch mit Maske aushalten kann. Für diese kurze Überfahrt sind weder Tests noch Formulare nötig. Schnell hat die Fähre den Kimolos-Kanal überquert. Von rechts prescht der "Superjet" ins Bild, auf dem Weg nach Folegandros und Santorin. Margarete und Konrad müssten darauf sein, ich winke symbolisch hinüber.

 

Vor der Küste von Kimolos entdecke ich einige Kajaker. Rods Truppe? Mhh, eigentlich etwas abseits des geplanten Weges. Außerdem sind es nur sechs, und das blaue Kajak von Rod sehe ich auch nicht. Das müssen andere Kajaker sein.

 

Nach einer halben Stunde Überfahrt legt die Fähre in Psathi, dem Hafen von Kimolos an. Bis 17:15 Uhr habe ich jetzt Zeit, dann findet die letzte Überfahrt für heute statt.

Am (immer geschlossenen) Ticketbüdchen in Pollonia habe ich einen Busfahrplan hängen sehen. Und zwar für den Bus auf Kimolos. Es ist das erste Mal, dass ich in der Saison auf Kimolos bin und mitkriege, dass ein Bus fährt. Da könnte ich es mir jetzt eigentlich bequem machen und mit dem Bus herumfahren. Nach Prasa oder Mavrospilia, oder wenigstens nach Chorio hinauf. Ich hatte ursprünglich überlegt, mir den Strand von Monastiria an der Nordküste anzugucken. Da muss ich aber längere Strecken zu Fuß gehen, und dazu ist es mir heute zu warm. Außerdem möchte ich mir die Mühlen auf dem Xaplovouni-Hügel oberhalb von Chorio ansehen um ein paar Fotos für einen neaFoni-Artikel zu schießen. Nach Chorio hinauf gehe ich dann aber schon zu Fuß, das ist ja nicht weit. Und der Kleinbus, der tatsächlich gerade Psathi erreicht, fährt sowieso zuerst ostwärts nach Prasa.

Schnell bin ich über den Fußweg am Ortseingang von Chorio und komme an meinem Quartier von vor zwei Jahren vorbei. Die Wirtin Aspasia sitzt davor und unterhält sich mit einem Mann. Ich grüße sie freundlich. Sie erkennt mich freudig und fragt mich, ob ich auf Kimolos wohnen würde. Mit der unausgesprochenen Frage, ob ich ein Quartier suche. Ich erkläre, dass ich nur einen Tagesausflug von Milos her mache. So prompt, wie sie nun das Interesse an mir verliert und sich abwendet, das grenzt schon an Unhöflichkeit. Da bin ich eigentlich von den Kimoliern anderes gewohnt. Na, egal.

 

Chorio liegt in stiller Ruhe, Besucher und Gäste sind heute offenbar lieber am Strand. Weil mir vom Aufstieg ordentlich warm geworden und das Frühstück auch schon etwas her ist, gönne ich mir an der Eisdiele "Stavento" ein schönes Eis. Kaufe dann etwas von dem köstliche Ziegenkäse in dem Laden rechts in der Hauptgasse, die nördlich aus Chorio herausführt. An deren Ende zweigt rechts eine Straße auf den Windmühlenhügel Xaplovouni ab.

 

Steil geht es aufwärts, vorbei an einigen Häuser, die zunehmend in ärmlichere Wohnstätten übergehen. Schnell erreiche ich das Plateau, auf dem sich zwei halbwegs intakte Windmühlentürme präsentieren. Dazwischen graue Steinkegel, die einmal Mühlen waren. Halbrunde Wände stehen manchmal noch wie Schalen an den Südseiten, die hölzernen Wellen und Stockräder liegen wie Gerippe herum. In einer steht der Mühlstein senkrecht wie ein Rad. Traurig, diese ausgeweideten Mühlen, aber sie sprechen für die reiche agrarische Vergangenheit von Kimolos.

Die intakten Mühlen sind natürlich auch längst ohne Flügel, werden aber noch als Lager oder Stall benutzt. In einer liegt ein Eselsattel, offenbar noch in Gebrauch.

Das Xaplovouni-Plateau ist weitläufig, ich erkunde es bis zum östlichen Rand. Die Piste ist mit Zäunen aus Paletten, Holz und anderem Sperrmüll begrenzt. Hier wirft man nichts weg, kann alles noch brauchen.

 

Ein älterer Mann kommt mir entgegen, er grüßt freundlich und überlegt jetzt wohl, was im Himmel diese Touristin hier oben macht. Er hat vielleicht nach seinen Ziegen geguckt, oder nach der trächtigen kleinen Eselin, die mich senkrückig aus einem Pferch anguckt. Oder er wohnt in dem gepflegten Würfelhaus, das fast schon wie eine Kapelle aus der Stein- und Dornenöde herausragt. Aber eine Kapelle (Pantokratoras) gibt es auch, mit aufgesetzten blauem Glockentürmchen. Erstaunlich, dass doch jede Insel ihre ganz eigene Gotteshausarchitektur pflegt. Daneben eine Hausruine mit nacktem Wandregal. Man hat hier schon bessere Zeiten gesehen.

Weiter südlich noch eine Kapelle, Agios Simeon, ein breites Gebäude und nun ganz in weiß, und abgeschlossen.

Ich schlendere noch über den Xaplovouni (= ausgestreckter Berg?) und finde schließlich bei der einen Mühle einen andere Weg hinab, der steil in die Hauptgasse Chorios hinab führt.

Es ist halb zwei Uhr vorbei und die Sonne brennt.

Ich erfrische mich mit einem Frappé im "Kali Kardia" und beobachte dabei das mittäglich sehr verhaltene Treiben auf der Gasse. Nachdem ich abgeschwitzt und mich erholt habe, steht mir den Sinn nach einem Bad im Meer und etwas zum Essen. Zu Beidem werde ich hinab nach Psathi gehen. Vorbei an der hiesigen Krankenstation, die neulich Schauplatz einer Dokumentation im "Auslandsjournal" war: der Weg von Kimolos zur covid-freien Insel, indem man alle Einwohner (oder fast alle, denn zwingen kann man auch in Griechenland niemand) in einer großen Aktion an einem Tag impfte.

Unten am Strand von Psathi lasse ich mich in der Taverne "Kymata" nieder, gut schattig beschirmt . Die Tische sind fast alle belegt, es klingt überwiegend griechisch und vereinzelt französisch. Ich erinnere mich an das ausgezeichnete Kapernomelette, das hier serviert wird. Passt. Begleitet von einem Viertel Weißwein stellt sich tiefe Zufriedenheit ein.

 

Die drei älteren Griechinnen vom Nachbartisch gehen reihum baden, schamhaft unter dem Handtuch umgekleidet. Vielleicht sollte die Gemeinde ein Umkleidekabine installieren. Eine junge Frau, eine zierliche Französin, hellbraun gebrannt und mit beneidenswerter Figur, badet oben ohne. Ist das Bikinitop defekt? Womöglich, denn später werde ich sie in der kleinen Boutique fünfzig Meter weiter sehen, wie sie einen glitzernden Bikini anprobiert, in dem sie hinreißend aussieht.

 

Ich werde mich für mein Bad im Meer doch etwas weiter abseits halten, weniger kritischen Blicken ausgesetzt. Im Schatten der Ferienhäuser auf der anderen Buchtseite ziehe ich mich um und schwimme im Meer, das sich inzwischen auf 22 Grad Celsius erwärmt hat. Der Strand ist hier allerdings steinig und das Wasser nicht ganz seeigelfrei, also aufpassen.

Am Hafenanleger gegenüber treffen nun zwei große Yachten ein, eine weiße mit griechischer Flagge namens "Invader", die andere in Dunkelblau und maltesisch beflaggt. Es ist Freitagnachmittag, vielleicht der Wochenendetrip reicher Athener? Es wird nicht die letzte Superyacht sein, die ich in diesem Urlaub zu Gesicht bekomme.

 

Gegen drei Uhr ist die Fähre "Osia Methodia" von Pollonia herübergekommen und heute stehen weder Wind noch Wellen der Rückfahrt um Viertel nach fünf Uhr entgegen. Und ich bin ganz froh, dass ich dieses Jahr nur den Tagesausflug nach Kimolos gewählt habe, und nicht den längeren Aufenthalt. Es ist der 11. Juni, und es wird nun definitiv zu warm zum Wandern.

Der Sonnenuntergang in apricot und bleu von meinem Balkon verdient sich heute fünf Sterne. Gut, ein paar Stromleitungen durchschneiden die Ansicht, und so gehe ich schließlich hinab zu Ufer und freiem Blick.

 

Erst um zwanzig Uhr vierzig versinkt die Sonne im Meer, und erst nach neun Uhr bin ich vorne in Pollonia zum Abendessen. Heuet im "Gialos", wo ein halbes Dutzend maskierter und weißhemdiger Kellner um den grauhemdigen Oberkellner herumtanzt, der alles im Blick hat und die Menschen an die Tische dirigiert. Ich habe Glück, dass ich noch einen bekomme, allerdings nicht am Ufer, sondern auf der anderen Seite der Gasse. Ganz ungriechisch bestelle ich einen Salat Niçoise, dazu ein Glas Moschofilero. Ich bin ja offen für Experimente, und mit dem Ausgang von diesem auch leidlich zufrieden.

 

An einer langen Tafel nebenan findet sich nun aufgebrezelte Menschen ein, Blumensträuße werden überreicht, Küsschen gegeben. In diesen elenden Virenzeiten erschrickt man ja schon beim Anblick solcher Nähe. Ein Geburtstagsfest? Oder gar eine Hochzeit? Ich werde es nicht eruieren. Müde falle ich wenig später ins weiche Bett.

 

Morgen heißt es Abschied nehmen von Pollonia.

 

*

 

Zum Frühstück hole ich mir heute eine frische Ladenia beim Bäcker. Das ist eine Art Pizza, eine mit Tomaten und Zwiebeln belegter Teigfladen, eine Spezialität von Kimolos und Milos. Schmeckt köstlich.

 

Am Nachmittag werde ich nach Triovassalos umziehen. Aktuell fährt nur zweimal täglich ein Bus von Pollonia nach Adamas, am Morgen und mittags um halb drei. Letzteren werde ich nehmen, und habe so noch den ganzen Vormittag in Pollonia.

 

Nach einem letzten Bad unten am kleinen Strand packe ich meine Sachen und genieße meinen Balkon. Hier und auch im Zimmer ist es kühl, fast kalt. Dafür sorgt die frische Brise, die von Norden weht. Dass das nur wenige Meter weiter anders ist, merke ich, als ich gegen Mittag noch eine Runde durch Pelekouda drehe. Schon etwas abseits der Küste ist vom Wind nichts zu spüren, dafür knallt die Sonne mit Vehemenz herab. Die Arbeiter, die an den Baustellen neuer Ferienquartiere mit viel Muskelkraft in der Sonne schuften, sind zu bedauern. So peu à peu werden die Lücken im Viertel geschlossen, vor allem entlang der kleinen Nordbucht von Pelekouda wird es eng. Klar, wer möchte nicht in erster Reihe am Meer wohnen? Aber auch die zweite und dritte Reihe sind gefragt. Ich bin froh, dass meine "Anemoessa" noch abseits und jenseits von Baulärm steht. Aber Platz für weitere Pensionen wäre schon noch da, vor allem weiter westlich.

Ich bezahle mein Zimmer und verabschiede mich von Georgios und Areti, die am letzten Tag auch aufgetaucht ist. Georgios ist heute als Klempner im Nebenzimmer tätig, Abflüsse reinigen. Die Saison beginnt ja vielleicht bald.

 

Gegen zwei Uhr ziehe ich meinen Trolley vor zur fast schattenlosen Bushaltestelle. Der Bus erscheint pünktlich, eine Handvoll Passagiere möchte nach Adamas. Die Fahrt kostet ein Euro achtzig, und kurz vor drei Uhr sind wir dann im Hafenort Adamas. Ich werde nicht sofort weiterfahren, sondern hier einen kleinen Halt einlegen.

 

Zuerst unternehme ich einen neuen Versuch, im Café "Angeliki" an einen Galaktobureko zu kommen. Wieder vergeblich. Ich weiche auf ein Gianduia-Kugel-Törtchen aus, begleitet von einem Frappé. Nach dieser Überdosis Zucker ist mir schlecht. Ich könnte es ja allmählich besser wissen. :-)

Nun besuche ich Katerina in Büro des Autoverleihs "Happy Ride". Sie war sehr hilfsbereit als ich im Vorfeld meines Urlaubes klären wollte, ob und wo man auf Milos Coronatests machen kann. Glücklicherweise muss ich als inzwischen Vollgeimpfte diese Tests nun nicht in Anspruch nehmen, aber ein persönlicher Dank muss sein, und ein wenig Plaudern über die aktuelle Situation auf Milos. Die ist jetzt, Mitte Juni, mäßig.
Wer einen Bootsausflug um die Insel machen möchte, benötigt einen negativen Schnelltest. Den kann man in zwei Teststationen in Adamas und Triovasalos machen lassen, aber er kostet zwanzig Euro pro Person. Bei diesem Aufpreis sind die Bootstouren verständlicherweise weniger gefragt, fast alle Schiffe liegen auch tagsüber und bei bestem Wetter vertäut entlang der Paralia. Im Laufe der Woche wird diese Beschränkung zum Glück für Anbieter und Touristen wegfallen.

 

Um halb fünf fahre ich dann mit dem Bus hinauf nach Triovassalos.

Teil zwei meines Milos-Urlaubes beginnt. Auf dem Wasser. Und praktischerweise benötigt mal im Kajak auch keinen Negativ-Test.