Die ganze Nacht durch hat es gestürmt und geregnet, aber Sonntagfrüh hat immerhin der Regen aufgehört. Prima! Wir frühstücken im Hotel (das Frühstück zum Preis von sechs Euro kostet extra und ist für griechische Verhältnisse umfangreich und lecker). Draußen auf der Terrasse kann man nicht sitzen, es zieht zu sehr und ist auch noch nass. Aber hinter den Glaswänden kann man es aushalten, und auch gleich beobachten, dass die Fähren trotz der Windstärken noch fahren. Ich bin froh, dass ich nicht drauf sein muss – das dürfte ein sehr ungemütliches Geschaukel sein….
Nachdem das Wetter einer Fahrt mit dem Mietauto nicht entgegensteht, gehen wir hinab Richtung Hafen und leihen uns bei Akrogiali Rent a Car an der Straße nach Grotta einen Chevrolet Matiz für dreißig Euro. Die Verleiherin, eine Namensbase, kann sich kaum aufraffen, uns das Auto zu zeigen. Sie zeigt nur hinüber und drückt mir den Schlüssel in die Hand. Den Tank soll ich so bringen wie er jetzt ist (woher will sie das denn wissen?).
Ich fahre heraus und biege links ab, und merke nach hundert Metern: das ist eine absolute Schrottkarre, die wir da haben. Der Tacho zeigt 104.000 Kilometer, die Schaltung greift kaum, die Kupplung und die Bremse auch nicht, alles ist ausgeleiert und ich rühre in den Gängen herum ohne viel Halt zu finden. So drehe ich eine schweißtreibende Runde um die einbahnstraßengeregelte Altstadt von Naxos und parke das Vehikel gleich wieder direkt vor dem Autoverleih. Keinen Widerspruch zulassend rausche ich in das Büro rein – und bekomme umgehend einen andere Wagen zugewiesen, mit der Bitte, vorsichtig zu sein: der sei wirklich neu. Der blaue Flitzer, ein Hyundai i10, hat achttausend Kilometer und fährt sich anständig. So verlassen wir den Ort nun wirklich Richtung Nordosten, entlang der Küste den starken Böen ausgesetzt.
Der Himmel ist grau, und so haben wir keine Lust irgendwo auszusteigen. Bei gelegentlichen Foto-Stopps muss ich die Autotür gut festhalten, sonst wird sie mir aus der Hand gerissen. Und was klappert da hinten eigentlich so nervig? Das ist das Nummernschild, dessen Ecke umgeknickt ist und gegen das Kofferraumblech schlägt. Da kann mit einem Stück Papiertaschentuch abgeholfen werden.
Über Galini - von wegen windstill – und Kinidaros - dort gibt es eine Tankstelle - fahren wir nach Osten. Koronos ist unser Ziel. Auf dem Sattel bei der Stavros-Kapelle bläst es uns beinahe weg (die Windräder stehen hier schon richtig), die Ostkykladen sind im grauen Dunst nicht zu sehen.
Koronos liegt auf ungefähr 500 Metern über dem Meer in einem tiefen Taleinschnitt, und soll das schönste der ursprünglichen Bergdörfer von Naxos sein. Es sieht jetzt von außen aber recht unscheinbar und schmutziggrau aus.
Wir fahren auf der Straße oberhalb vorbei, parken am nördlichen Ortsausgang und gehen dann in den Ort hinab. Der ist ziemlich ausgestorben, aber windgeschützt. Dennoch liegt an der Platia vor der Kirche Agia Marina jede Menge Laub von der riesigen Platane, die den Platz beherrscht. Die Kirche ist geöffnet, so können wir die schöne marmorne Ikonostase bewundern, und die Wand- und Deckenmalereien.
Von der Kirche gehen wir durch labyrinthische Gässchen weiter abwärts. So wie hier sahen wohl viele Kykladendörfer aus ehe sie für Touristen malerisch herausgeputzt wurden. Koronos lebte vor allem vom Schmirgelabbau, die Überbleibsel der Verladestation und die Seilbahn werden wir uns nachher ansehen. Astrid Scharlau hat auf ihrer tollen Naxos-Website auch über Koronos geschrieben, nachzulesen hier. Ob der Namen Koronos etwas mit dem Begriff ‚Korund‘ zu tun hat?
In einem Kafenio sitzen Männer, als wir vorbeilaufen wird die Türe zugezogen. Man will hier lieber unter sich bleiben. In der grünen Talsenke liegt die Taverne von Stavros und Matina, die in einigen Reiseführern als eine der besten von Naxos gepriesen wird. Die Tische auf dem Platz sind alle leer, dennoch liegt Essensduft in der Luft. Aber es ist noch zu früh zum Essen – gerade zwölf Uhr vorbei.
Wir steigen wieder aufwärts, gelangen auf einem schmalen Weg in die grünen Gärten. Nein, so kommen wir zu weit abseits, und die Wanderschuhe haben wir auch nicht an. Also wieder zurück, wo uns dann erneut der köstliche Essensduft in die Nase steigt. Pfeif auf die Uhrzeit, da gehen wir jetzt essen!
Wir betreten die Gaststube. Rechts unterhält sich ein Mann, der mir bekannt vorkommt, mit zwei Touristen, Schweizer offensichtlich. An einem anderen Tisch sitzen vier Holländer. Was es zu essen gibt fragt ich die Bedienung. Es gibt allerlei, aber so richtig viel wollen wir ja nicht essen, dazu ist das Frühstück noch nicht lange genug her. Aber Fassolada ist im Angebot und immer gut, und wir ordern zwei Portionen. Die dauere etwas, wird uns von der Chefin Matina beschieden, aber das macht nichts.
Gemütliche Gaststube, und ich lausche dem Gespräch des Mannes mit den Schweizern. Da fällt der Namen Kostas Antoniadis, und jetzt weiß ich auch wieder woher ich den Mann kenne: es ist der Bouzoukispieler Kostas Antoniadis, den ich vor einigen Jahren bei einem Konzert in Böblingen erlebt habe. Er wohnt im Nordschwarzwald und geht gelegentlich mit Hermann Richter auf Musik-Wanderreise. Deshalb ist er auch da: die Richter-Wandergruppe ist auf Naxos, stationiert in Moutsouna und gerade per pedes unterwegs. Kostas hat einen Abstecher nach Koronos gemacht. Natürlich kommen wir ins Gespräch. Wieder mal ist die Welt klein…
Die Bohnensuppe kommt dann auch, sehr schmackhaft und serviert mit einem Teller Hartkäse, Oliven und frischem Brot. Geht es uns wieder gut! Bei Matina kann man auch Zimmer mieten, vielleicht wäre es hier im Bergdorf schöner als im rummeligen Naxos-Stadt. Wenn man es lieber ruhiger hat wie wir. Und die Straßenkilometer nicht scheut (ohne Mietwagen wird es hier schwer).
Als wir wieder beim Auto zurück sind, kommt gerade ein Ausflugsbus und lädt seine Passagiere aus. Wir waren wohl einfach zur richtigen Zeit da – auch Koronos ist mit einer organisierten Ausflugsfahrt zu buchen. Naxos ist längst entdeckt, überall.
Unser nächstes Ziel ist die Mine und Schmirgelverladestelle Stravolangáda außerhalb von Koronos an der Straße nach Lionas. Ein Freilicht-Industriemuseum soll hier entstehen und den Schmirgelabbau dokumentieren, der den Ort einst wohlhabend gemacht hat.
Hier gibt es einen guten Artikel darüber: http://www.scharlau-online.de/DOKS/Schmirgel.pdf
Von hier wurde der Schmirgel mit einer neun Kilometer langen Seilbahn nach Moutsouna gebracht und dort auf Schiffe verladen. Die Motorstation der Seilbahn ist hier noch zu bewundern, die Dieseltanks, einige Häuser der Arbeiter und besonders fotogen sind die in der Luft hängenden rostigen Gondeln. Aber das Museumprojekt stockt, auch wenn neulich irgendwo zu lesen war, dass es weiter gehen soll. In Krisenzeiten gibt es wichtigeres. Und so verfällt dieses Industriedenkmal der besonderen Sorte langsam vor sich hin.
Vom morbiden Charme der Verladestelle fahren wir nach Apiranthos (auch Aperathos oder Apirathos), einem schmucken Bergdorf, das sich für den täglichen Besuch der Tagesausflügler mit einigen Museen, zahlreichen Läden mit inseltypischen Produkten, und Cafés herausgeputzt hat. Die Kirche an der Straße ist interessant und erinnert uns mit dem reliefverzierten Glockentürmchen an kretische Kirchen. Zufall, oder hat das damit zu tun, dass sich in Apiranthos im 17. Jahrhundert kretische Familien ansiedelten?
Nach der Ruhe und der Ursprünglichkeit von Koronos überfordert uns die Geschäftigkeit von Apiranthos, wo wir mitten in eine große sächsische Reisegruppe geraten. Vielleicht wäre es in einer Stunde schon wieder viel ruhiger, aber wir warten nicht so lange, sondern fahren die gut ausgebaute Serpentinenstraße nach Moutsouna hinab.
Unterwegs treffen wir wieder auf die Seilbahn, und auf halber Höhe stehen die verrostenden Barken, mit denen der Schmirgel von der Seilbahn auf große Schiffe verladen wurde. Diese umständliche und teure Verladung – ein Einzelner verhindert aus persönlichem Interesse den Bau einer effektiven Verladestation – führte auch zum Ende des rentablen Schmirgelabbaus. Wobei der aus rententechnischen Gründen auch heute noch in kleinem Maß betrieben werden soll.
Wer sich für das Leben in dieser Ecke von Naxos im 20. Jahrhundert interessiert, dem sei das Buch „Zwei Türen hat das Leben“ von Astrid Scharlau an Herz gelegt. Kein Buch, das man in einem Zug ausliest – dazu erschlägt einen fast die Fülle der Details. Aber es gibt interessante Einblicke in das Dorfleben samt Viehdiebstähle, über das Leben der Bergarbeiter, über den Zweiten Weltkrieg, den Bürgerkrieg und vieles mehr.
In Moutsouna strahlt die Sonne vom blauen Himmel, in den die rostenden Verladekräne ihre Arme strecken. Hohe Wellen brechen sich dekorativ am Sandstrand und bereiten den dort stehenden Stühlen und Tischen ein Fußbad. Der Ort ist eine Streusiedlung ohne erkennbaren Ortskern, aber mit einem relaxten Charme. Dazwischen verlieren sich die Ruinen des Schmirgelverlades, Boote stehen auf Rädern auf den Schienen der ausgedienten Lorenbahn.
Wir trinken einen griechischen Kaffee in einer Café-Bar, bekommen noch leckeren Marmorkuchen dazu. Es gefällt uns hier, und müsste man nicht jedes Mal die elf Kilometer hinauf ins Inselinnere nach Apiranthos gurken (und noch weiter je nachdem wo man hin will), wäre das hier ein herrlicher Standort für einen Naxos-Urlaub. Aufs Baden verzichten wir angesichts der hohen Wellen aber doch.
Es ist schon vier Uhr vorbei, als wir wieder bergwärts fahren. Viel können wir jetzt nicht mehr unternehmen, wir fahren über Apiranthos und entlang des Zas nach Filoti und weiter nach Chalki.
Hätte ich da schon gewusst, was ich dummerweise erst am Tag darauf erfahren habe, hätte ich die Augen (und Ohren) offengehalten: an diesem Wochenende findet auf Naxos (in Filoti und anderen Dörfern) das jährliche Dudelsacktreffen „Festival tis Tsambounas“ statt. Zwei Videos von dem Treffen, das immer wieder auf einer anderen Ägäisinsel stattfindet, finde ich später bei youtube, witzigerweise von den Olymbiten (Karpathos) auf Naxos:
https://www.youtube.com/watch?v=SkmF4ICM2fc
https://www.youtube.com/watch?v=kBQxMPqdr7o
In Chalki parken wir am Ortsrand und folgen den Wegweisern zur Kreuzkuppelkirche Agios Georgios Diasoritis. Sie ist eine von zahlreichen byzantinischen Kirchen auf Naxos, die bekannteste ist die Panagia Drossiani.
Die unverputzte Georgskirche ist leider abgeschlossen, so können wir die Fresken aus dem 11. Jahrhundert nicht ansehen. Aber verständlich, dass man so einen Schatz unter Verschluß hält. (Auf der Azalas-Seite gibt es einige Abbildungen, http://azalas.de/blog/?page_id=5809) Und das Gebäude wirkt durch seine „knuffige“ Architektur auch von außen, und durch seine schöne Lage in den Gärten und Olivenhainen von Chalki.
Ein schöner Spaziergang zum Abschluss unseres Naxos-Sonntages.
In Chalki selbst ist dann nur wenig los, ein kleiner Laden mit Souvenirs hat geöffnet, und in einem Café an der Platia sitzen junge Einheimische. Das Kitron-Museum müssen wir nicht mehr besichtigen (das haben wir früher schon gemacht), und das entsprechende alkoholische Getränk ist auch nicht unser Geschmack, egal in welcher Farbe und welcher Zusammensetzung.
Irgendwie hab ich dann doch die falsche Ausfahrt aus dem Ort genommen, so dass wir statt über die Potamia-Dörfer über Sagri Richtung Chora fahren. Und dann möchte ich noch schnell einen Abstecher nach Agia Anna machen, die Proteste der Mutter ignorierend, die diese Straße noch vom letzten Mal in mäßiger Erinnerung hat. Die Straßenqualität hat sich nicht wesentlich gebessert, und die landwirtschaftliche Streusiedlungen hier sind auch nicht wirklich schön. Sie gehen in Ufernähe in touristische Siedlungen über, die auch nicht viel besser sind. Wenn hier wirklich größere Flächen privatisiert werden, ist das dann so dramatisch? Komischerweise hört man jetzt nichts Diesbezügliches mehr nach den Aufschreien und Petitionsaufrufen des Sommers. Alles schon über die Bühne? Oder nur die obligatorische Netzaufgeregtheit, die sich nach einigen Tagen lieber einer anderen Sau zuwendet, die durch das virtuelle Dorf getrieben wird?
Der Strand von Agia Anna ist von der tiefstehenden Sonne in goldenes Licht getaucht. Paros wirkt recht nah. Müsste man auch mal wieder hin, es gibt noch so viele zu sehen dort. Aber nach den aktuellen Naxos-Erfahrungen wird es dort noch touristischer sein – zu viel für uns.
Hinter dem Linienbus her zuckeln wir nach Naxos-Stadt zurück und geben das Auto ab. Erneut macht sich die Vermieterin nicht die Mühe, es in Augenschein zu nehmen. Und wir haben mal wieder zu viel Benzin drin gelassen, weil wir eigentlich weiter hatten fahren wollen. Aber so war es schon in Ordnung.
Das Meer ist immer noch stürmisch, aber kein Vergleich zum Morgen. Bei einem Ouzo schauen wir den Anlegermanövern von Blue Star Paros und Highspeed 4 zu. Verspätet sind sie, aber gefahren. Immerhin. War der Sturm vielleicht doch nicht so heftig wie mancherorts prophezeit.
Zum Abendessen gehen wir ins „Metaxi mas“ im Gassengewirr nördlich des Kastro. Wir haben Glück und bekommen noch einen Tisch – das Lokal ist klein und voll. Angesichts der Speisekarte ist unser Appetit größer als unser Magen – nach der Vorspeise, einem leckeren Käsesalat, sind wir eigentlich schon satt. So dass wir von Zicklein und Rindfleisch ziemlich viel übrig lassen müssen. An der Essensqualität hat es nicht gelegen, die war einwandfrei.
Jetzt haben wir morgen noch einen Tag auf Naxos. Ich wäre ja gerne noch auf den Zas, aber dafür ist der Wind doch noch zu stark. Außerdem fahren keine Busse mehr bis Agia Marina, von wo aus ich loswollte. Es wird Herbst.
Mal sehen, was wir dann morgen unternehmen werden.