Zwanzig nach zwei, mit fünf Viertelstunden Verspätung, fahren wir mit der "Artemis" in den Hafen von Naxos ein. Das Wetter ist hier genau so, wie ich Naxos letzten Mai verlassen habe: Wolken und Wind und kühl. Ich hab dann auch das gleiche Zimmer wie letztes Jahr.
Durch die labyrinthischen Gassen und über zahlreiche Treppen der Altstadt ziehe ich meinen Trolley hoch ins "Anixis", lege auch ein, zwei ungewollte Umwege ein. Als ich das Hotel erreiche, ist mir gut warm. Ich freue mich auf mein windumtostes "Turmzimmer" im oberen Stockwerk, neben dem Frühstücksraum. Dass ich letztes Jahr für das gleiche Zimmer noch zehn Euro weniger pro Nacht bezahlt habe (jetzt 60 Euro, plus zehn Euro fürs Frühstück wenn gewünscht), finde ich schon bedenklich. Aber das Preis-Leistung-Verhältnis stimmt noch, und der Ausblick über die Dächer zur windgepeitschten Küste ist einfach toll. Drei Nächte habe ich hier eingeplant. Zu kurz, ich weiß, aber besser als nichts, nachdem ich mich nicht zwischen Naxos und Tinos und daher (wieder) für beide entschieden habe. Für morgen ist weiterhin starker Wind angesagt, da kann ich meine geplante Tour auf den Fanari knicken. Was mache ich dann morgen? Es ist auch noch Sonntag, also gilt ein eingeschränkter Busfahrplan. Eine Anfrage beim Naxos-Wander-Experten Jörg ergibt den Vorschlag, von Vivlos durch das Kapellental nach Plaka zu wandern. Gucke ich mir mal an.
Nach einer kurzen Pause breche ich zu einem Stadtbummel auf - ich brauche vor allem eine neue Wanderkarte. Die Anavasi-Karte 1:40.000 wandert bei ZOOM in meine Tasche, danach gibt es ein Eis auf die Faust (drei Euro), und einen Kaffee (vier Euro). Bei der Rückkehr ins Hotel treffe ich im Frühstücksraum zufällig Christina, die Frau meines letztjährigem Paddel-Guides Manolis. Sie betreut ja für eine Agentur die britischen Wanderurlauber hier im Hotel. Nachdem sie das für heute erledigt hat, haben wir kurz Zeit für ein Schwätzchen: Eine neue Wohnung für die Kleinfamilie wurde in Engares gefunden. Töchterchen Ariadni geht es gut, mit dem Geschwisterchen hat es nicht geklappt, Manolis Gesundheit könnte besser sein. Aber sie gucken positiv in die Zukunft. Morgen hat Manolis keine Paddeltour - zu windig. Aber die Tage darauf. Immer allerdings im Süden, von Kalantos zur Rina-Höhle, die von den vor allem amerikanischen Touristen stark nachgefragt wird. Mhh, da war ich ja letztes Jahr. Entweder Fanari oder Kajak? Oder beides, wenn ich um einen Tag verlängere? Muss ich mal überlegen.
Am Abend ist es an der Paralia schon ganz schön voll. Ich bin eine Woche später dran als letzten Mai. Aber ob es alleine daran liegt? Oder doch am fortgesetzten Kykladenboom?
Ich entscheide mich fürs "Meze²" und dort für das Salatouri: Fischsalat und Kartoffelsalat, einen spannende Kombination, die ich letztes Jahr hier für mich entdeckt habe. Das Karäffchen Raki (26 Euro alles zusammen) dazu sorgt ausreichend Trunkenheit und guten Schlaf.
Ich mag Naxos.
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Der Wind legt zu, aber der Himmel ist blau. Frühstück auf der Terrasse ist nicht möglich, und drinnen hat es nicht genug Platz wenn die Gäste gleichzeitig frühstücken wollen. Kein Problem. An der Rezeption frage ich, ob mein Zimmer auch bis Mittwoch noch frei ist. Es ist, und ich verlängere um eine Nacht. Wieder auf Kosten von Tinos, wohin ich die Nachricht von der verspäteten Ankunft schicke. Nächstes Mal sollte ich zuerst nach Tinos gehen.
Um elf Uhr nehme ich den Bus nach Vivlos, auch Tripodes genannt. Zwanzig Minuten dauert die Fahrt, die für mich im Dorfzentrum nach den drei Windmühlen auf dem Hügel endet. Ich schlappe etwas desorientiert herum, finde dann einen Übersichtsplan des Dorfes volle Sehenswürdigkeiten, die aber verschlossen sind soweit ich sie ansteuere: die Kirche Kimisi tou Theotokou ebenso wie das volkskundliche Museum. Macht nichts, ich wollte ja wandern.
In der neu erworbenen Karte ist der Weg nur weiter unten eingezeichnet, daher habe ich mir einen Track aus dem Internet heruntergeladen, dem ich nun zunächst auf der Straße nach Westen aus Vivlos hinaus folge, und nach zehn Minuten auf einen Feldweg nach links einbiege. Die Gegend wird stark landwirtschaftlich genutzt, schwarzweiße Kühe stehen auf abgeernteten Getreideflächen, ein Mann setzt mit gebeugtem Rücken Zwiebeln. Olivenbäume dazwischen. Mohn blüht am Wegrand.
Ich quere ein flaches Tal, hinter dem wie ein Zacken ein Ruinenrest mit vorgesetzter weißer Kapelle ragt. Es Agios Georgios, eine von vielen Kapellen, die sich entlang des Tales verteilen. Sie ist geöffnet, scheint aber nicht alt zu sein. Der Fußweg muss von hier durch das Tal zu führen, aber ich weiß nicht wo es genau weitergeht. Unten kann ich auf einer Plattform einen weitere Kapelle ausmachen - eine von mehreren Nikolaos-Kapellen hier (Agios Nikolaos Rinido), eine zweite steht nur 50 Meter weiter oben. Mein Track folgt hier nicht dem Tal, er bleibt auf der Straße, mäandert nach Osten und dann nach Süden. Auch ok, ich mag es heute bequem.
Eine weitere Kapelle (Agios Antonios?) lasse ich am Wegrand liegen, erblicke dann als nächstes zwischen hohen Steinmauern ein entzückendes kleines, ziegelgedecktes Kreuzkuppelkirchlein. Agia Kyriaki, und es scheint alt zu sein. Auch unverschlossen, birgt es in seinem Inneren noch Dutzende Ikonen anderer Heiliger, samt Agia-Varvara-Seitenkapelle.
Ein guter Platz für eine kleine Rast. Der Wind hat etwas nachgelassen und ist mit der Sonne vom Himmel gut auszuhalten.
Die nächste alte Kapelle wäre Agios Konstantinos ke Eleni. Auch eine Kreuzkuppelkapelle, aber schlank und schmal, wie ich vom Weg aus in der Ferne sehen kann. Näher komme ich ihr aber nicht, denn die Piste führt südlich vorbei, und ich entdecke keinen Abzweig.
Ich nähere mich allmählich die Küste, wenn auch noch auf den Hügeln des Hinterlandes. Die Bebauung nimmt nun zu. Teure Villen hinter hohen Mauern mit steilen Zufahrten und Alarmanlagen lösen die Kapellen und die Landwirtschaft ab - hier werden andere Kühe gemolken. Jetzt im Mai ist niemand da - reine Sommerhäuser, unvermietet. Die Zersiedlung nicht nur der Westküste, auch des Hinterlandes wird auf Naxos erbarmungslos vorangetrieben. Schade um die schöne Insel.
Noch eine letzte Geländestufe hinab, und ich befinde mich auf einer Straße im flachen Land hinter dem Strand. Noch eine Kurve auslaufen, und ich erreiche die südlichen Ausläufer des Plaka-Strandes. Das Meer ist vom Wind aufgewühlt, ein Kite-Surfer zieht seinen Linien draußen, sonst ist niemand zu sehen. Auch keine Liegen oder andere Bade-Infrastruktur. Ich hatte gedacht, hier ins Meer zu springen, aber der Wind und die Wellen lassen keine rechte Lust darauf aufkommen, meine angeschwitzten Klamotten gegen einen Badeanzug zu tauschen. Und das Meer sieht so kalt aus.
Als wandere ich lieber auf dem Sandstrand nordwärts, vielleicht ist schon irgendwo eine Strandtaverne geöffnet. Meinen Track habe ich beendet, er zeigt 7,5 Kilometer Strecke in einer Stunde 45 Minuten Bewegungszeit an.
Da kann ich locker noch eineinhalb Kilometer addieren, mühsam geht es im tiefen Sand und gegen den Wind vorwärts. Vor Maragas dann die erste Reihe Sonnenliegen - hölzerne Monstergestelle als Schattenspender, die Liegen weit davor, denn im Schatten ist es den durchaus vorhandenen Liegern zu kühl. Aber es ist nur eine Reihe, und der Mindestabstand von vier Metern zum Ufer wird locker eingehalten. Noch - in der Saison wird sich das wohl ändern. Und die Naxos-Urlauber werden das alljährliche Lamento von der Strandausbeutung anstimmen. Vielleicht mal nicht im Sommer kommen? Aber Sonne und Wärme muss halt doch sein im Urlaub.
Noch etwas weiter, beim wimpelgeschmückten Boot von Maragas, sieht es auch noch übersichtlich aus. Ganz übersichtlich ist aber das gastronomische Angebot: nur die Tortuga-Bar hat geöffnet. Besser als nichts, wenn auch nicht gerade preiswert. Für einen griechischen Salat mit Paximadi und weichem Naxos-Käse mittlerer Größe und eine Soda werden 15 Euro fällig. Aber es sitzt sich angenehm im Schatten, wenn ich meinen Jacke wieder anziehe. Oder wird es zu kalt?
Das Busticket für die Rückfahrt (2,30) habe ich schon am Morgen in Naxos am Busbahnhof gekauft. Überall an der Haltestellenschildern weisen Aufkleber darauf hin, dass man keine Tickets mehr im Bus erwerben kann - nur noch an den offiziellen Verkaufsstellen, und in Super- und Minimärkten.
Um 15 Uhr bringt mich der Bus zurück nach Chora, wo ich den Rest des Nachmittages ausruhe.
Am Hafen herrscht starker Abreiseverkehr der Griechen - es ist Sonntag und der letzte Tag der Osterferien. Dafür nimmt die Zahl ausländischer Touristen zu - die Saison beginnt.
Gegen sechs breche ich zum obligatorischen Bummel zum Tempel-Tor auf. Die Brandung hat nachgelassen, der Himmel ist klar. Morgen dürfte ein perfekte Wander-und Gipfel-Tag werden.
Am Tempel-Tor ist noch wenig los, was sich zum Sonnenuntergang ändern dürfte. Aber noch ist die Vorsaison deutlich spürbar. Ich drehe nur eine Runde oben - der Blick auf die Stadt ist einfach wunderschön, und der auf den hellen Rahmen des Tores auch.
Am kleinen Strand nördlich des Tores sucht ein Frau etwas im feinen Kies. Mhh, was dürfte das anderes sein als Naxos-Augen, die in den letzten stürmischen Tagen angespült wurden? Immer wieder wird sie offenbar fündig, pflückt etwas auf und legt es in die andere Hand. Hey, ich wollte doch auch immer mal ein Naxos-Auge finden! Also tue ich es ihr nach. Also was das Suchen betrifft, denn mit dem Finden, das klappt leider gar nicht. Die Frau ist inzwischen weg, hat sie schon alles abgegrast? Oder bin ich zu blind?
Es ist schon sieben Uhr vorbei, als ich mich losreiße und zur Paralia gehen. Wo ich in der Café-Bar von "Diogenis" auf Christina, Manoli und Ariadni treffe. Mein vorjähriger Mitpaddler Platonas ist auch dabei, und Christinas Mutter, die zu Besuch ist. Christina hatte mir vorhin eine Nachricht geschickt, aber ich hatte sie ob der Wellen und des versunkenen Augen-Suchens gar nicht gehört. Wir haben nun bei einem Ouzo Zeit zum ausgiebigen Nachrichtenaustausch, über das Kajaken, Touren, Pläne. Auch auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole: sie sind einfach sehr nett! Vielleicht zu nett für das schwierige Business .... Manolis braucht dringend Unterstützung, und er bekommt sie wohl demnächst von einem alten Ruderfreund. Gut! Und Ariadni ist immer noch so ein süßes und gut zu habendes Kind. Ich erkläre, dass ich einen Tag auf Naxos verlängert hätte, und am Dienstag gerne zur Kajaktour in den Süden mitkommen würde. Fünf Paar Gäste haben gebucht, Platonas wird mich kurz vor halb neun in der Chora abholen. Ich freue mich darauf!
Erst gegen 21 Uhr trennen wir uns, und ich kehre noch ins "Boulamatsis" ein um eine Kleinigkeit zu essen. Es gibt Linsensalat (interessant!) und Keftedes, dazu ein Viertel Wein. Hier gibt es noch bodenständige Küche ohne Schnickschnack, und den Wein natürlich im Viertelliter-Krug wenn gewünscht. Ich bin zufrieden und bezahle 22 Euro. Sinke zufrieden ins Bett. Schöner Tag war das heute.
Erwähnte ich schon, dass ich Naxos mag? :-)