Der Strom ist weg im Viertel. Mein Handy-Akku bleibt unaufgeladen, die Kaffeemaschine kalt, das Frühstück wird improvisiert. Heißes Wasser für Nescafé gibt immerhin die Gasflamme her. Schade, heute hätte ich mal genug Zeit, denn ich nehme erst um 9.45 Uhr den Bus nach Lefkes.
Man kann das Ticket vorher am Schalter kaufen oder direkt im Bus. Dann kostet es etwas mehr. 1,80 bezahle ich am Schalter. Der Bus ist gut belegt und fährt über Kostos. "Kóstos!" - das hab ich noch im Ohr von vor vielen Jahren.
Kurz nach zehn Uhr sind wir am Ziel in Lefkes. Das hübsche Bergdorf liegt auf einer Höhe von knapp 200 Metern über Meer und war in früheren Zeiten die Inselhauptstadt. Es ist ein beliebtes Ausflugsziel, und hier beginnt auch der sogenannte "byzantinische Weg", ein alter Fußweg, der nach Prodromos führt. Den möchte ich gerne gehen, aber vorher schlendere ich noch durch Lefkes.
Lefkes ist ein typisch kykladisches Bergdorf mit vielen Stufen, also nicht behinderten- oder kinderwagengerecht. Die verwinkelten Gassen sind mit weiße Linien verziert, blühende Bougainvillea gibt es ebenso wie die unvermeidlichen Katzen. Und verzierte Pforten, vergammelnde Häuserfassaden und weiße Kapellen. Postkartenmotive ohne Ende. Oder sind das heute alles Instagramm- und Selfie-Motive? Noch verlieren sich die Besucher im Ort.
Die gestrigen Wolken haben sich verzogen, die Sonne scheint aus einem blauen Himmel, ich fühle mich müde. Ich brauche dringend ein belebendes Kaltgetränke. Es gibt da doch eine schmucke Platia mit Kafenio im unteren Ortsteil? Ich schaffe es, sie versehentlich zuerst zu umgehen, finde sie dann aber doch.
Huch, ich hatte den Platz viel größer in Erinnerung. Und das farbige Giebelhaus gepflegter. Die Türe ist zu, die Beschriftung " Kafeneion" unter dem Giebel verwittert. Das Kafenio ist jetzt im Nebengebäude, und ein zweites am oberen Platzende. Sie teilen sich die bunten Tische und Stühle auf dem schönen Platz unter einer großen Kiefer. Noch sind sie leer.
Ich wähle den kleine Tisch direkt am Eingang des oberen Kafenio "Agiazi" (Eiseskälte, Rauhreif?) und bestelle ein Frappé. Von hier aus haben ich alles bestens im Blick und kann die nun folgende Aufführung genießen. Und muss an das Schauspiel "Die Stunde da wir nichts voneinander wußten" von Peter Handke denken, eine Open-Air-Aufführung auf dem Rottenburger Marktplatz in einer lauen Sommernacht vor vielen Jahren.
Denn ein Schauspiel ist das schon, was her in der nächsten Stunde hier so vorbeizieht, und ich sitze in der ersten Reihe. Da kommt das asiatische Paar mit Kinderwagen und Kleinkind. Den Buggy (ohne Kind darin) über die Stufen bugsieren ist schon nicht so einfach, aber dabei noch das - zugegeben süße - Kind in allen Positionen zu fotografieren ist schon für Fortgeschrittene. Die Umgebung wird aber kaum wahrgenommen. Schade eigentlich um den Urlaub.
Dann die beiden hübschen jungen Frauen, die sich eisschleckend bei den Katzen auf der Schwelle des alten Hauses niedergelassen haben. Eine große französische Wandergruppe hat keine Zeit zum Aufenthalt, sie poltern über den Platz dem byzantinischen Weg zu. Und dann kommt noch der Straßenkehrer vorbei, der seine Müllkarre auch über die Stufen zerren muss. Hoffentlich gibt es da Erschwerniszulage.
Direkt an der Ecke hat eine Frau ihren Malblock herausgezogen und aquarelliert. Hinein in die Gasse, während sich die schwarze Katze hinter ihr auf dem Stuhl eines kleinen Ladens mit lokalen Spezialitäten niedergelassen hat.
Alles im Blick hat die alte Wirtin des unteren Kafenio "I Orea Platia". Als eine Gruppe Deutsche sich im oberen, schattigen Bereich der Cafés niederlässt und sich einen der Stühle vom Nachbartisch und damit aus dem Konkurrenzcafé herzieht, schreitet sie umgehend ein und nimmt ihnen den Stuhl wortlos, aber vielsagend wieder weg: Diese Touristen immer. So ignorant. Man lebt ja gut von ihnen, aber zum Ende des Saison ist man auch erschöpft. Jeden Tag das gleiche.
Ich könnte hier noch ewig sitzen, aber ich will ja weiter. So bezahle ich drei Euro für den Frappé und wende mich dann der Hauptkirche von Lefkes Agia Triada zu. Sie liegt am unteren Ortsrand und hat zwei Glockentürme mit filigranen Aufsätzen in grauem Marmor. Sie ist die zweitgrößte Kirchen von Paros nach der Panagia Ekatontapiliani in Parikia, aber nicht annähernd so alt, sondern erst 1835 fertiggestellt. Das Interieur beeindruckt mit viel Marmor und Weite, aber ich bin schnell wieder draußen. Unterkühlte Atmosphäre.
Vom Friedhof nebenan hat man einen guten Blick hinüber nach Naxos, das heute ganz nah scheint.
Der große Platz vor der Kirche kann auch mit einem Café aufwarten, aber dort sitzt noch niemand - zu sonnig. Gegenüber säugt eine Katze ihre Jungen. Herbstkätzchen haben schlechte Karten im Winter, aber vielleicht erbarmt sich ein Anwohner. Eine Fußmatte als Unterlage hat die Katze immerhin schon.
So, nun aber los! Es hat reichlich Wegweiser, die zum byzantinischen Weg führen, der unterhalb des Ortes beginnt. Kein Wunder, ist dieser Weg doch zum Massenwanderpfad mutiert wie ich wenig später merken werde.
Der teilweise gepflasterte Weg - er soll über tausend Jahre alt sein - führt durch hügelige Landschaft entlang eines Tales von Lefkes nach Osten. Es ist jetzt das dritte Mal, dass ich auf ihm wandere. Vor 16 Jahren war er durch Unwetter recht demoliert, jetzt ist es ein Premium-Wanderweg, verlaufen unmöglich.
Man sieht Lefkes schön hinter und über sich liegen, und dahinter den höchsten Berg von Paros, den 771 Meter hohen, mit vielen Masten gekrönten Agii Pantes. Es gibt eine Straße (oder Piste) hinauf, die oberhalb von Lefkes beginnt. Vielleicht mal eine bequeme Gipfelvariante mit dem Mietwagen?
Noch bin ich aber zu Fuß unterwegs. Ich überhole zwei Wanderer, einige kommen mir entgegen. Dann schnappe ich die nächste Gruppe, um schließlich auf die vielköpfige französische Wandergruppe aufzulaufen. Im Pulk wandern ist doof, ich lasse sie ziehen. Und nur wenig später wieder auf die Nachhut zu treffen, die die Gelegenheit nutzen wollte, sich am Wegrand zu erleichtern. Und dann ist da noch der Solo-Grieche, der mit seinen Wanderschuhen kämpft, die drücken weil sich im Zehenbereich eine Naht selbständig macht. Es geht doch nichts über gutes Schuhwerk.
Der Blick auf die Ostküste mit dem breiten Hügel Antikefalos und dahinter Naxos, dessen Berge in Wolken liegen - echt schön! Weiter rechts liegt auf Paros der spitze Hügel mit der Kapelle Agios Antonios. Da war ich bei meinem Paros-Erstbesuch 1994 oben, alles mit Zäunen verrammelt. Gewohnt haben wir damals, meine Kollegin und mein Bruder, in Piso Livadi, wo die alte Scopelitis noch auf ihrem Weg von Katapola nach Naxos hielt. Zweimal die Woche fuhrt sie sogar bis Mykonos. Lange ist's her.
Und der Weg ist auch schön, aber nichts, was es auf Sifnos oder Amorgos nicht auch gäbe. Und deutlich länger, denn das alte Stück endet in Prodromos nach gerade mal drei Kilometern und nicht mal einer Stunde Gehzeit. Ab gibt es dann Asphalt. Da lacht des Wanderers Herz. :-(
Prodromos, benannt nach Johannes dem Täufer (πρόδρομος = Vorläufer, Wegbereiter), ist aber ein nettes und sehr gepflegtes Dorf, das vom Tourismus nur gestreift wird. Der Weg geht unter typisch kykladischen Bogen durch, es gibt ein paar Kapellen am Weg, und als ich an einem hübschen Platz hinter einen Torbogen ein geöffnetes Lokal sehe, macht sich Hunger bemerkbar. Es ist Viertel vor eins.
Das Lokal offeriert als Tagesessen Erbseneintopf mit Feta - eine ungewöhnliche Kombination, die aber ausgesprochen gut schmeckt. Mit einer kleinen Flasche Wasser und Brot werden 7 Euro 50 fällig. Kann man nicht meckern.
Der Platz ist eine Art Mini-Lefkes: auch hier kommen immer wieder Menschen vorbei, zögern und gehen weiter. Oder wählen einen Platz unter den üppig blühenden Bougainvillea. Zwei ältere Griechen sitzen in meinem Blickfeld an einem der typischen Tavernentischchen und schwätzen. Ihr Tisch ist leer, sie dürfen auch sitzen ohne etwas zu verzehren. Und die junge Wirtin ist eh drinnen sehr beschäftigt, guckt nur sporadisch nach den Gästen. Ich muss hinein um zu bezahlen.
Es ist warm geworden und so zieht es mich an den Strand. Piso Livadi scheint mir da genau richtig. Aber zuerst muss ich hinkommen.
Weil der byzantinische Weg in Prodromos endet und auf meiner Karte von Terrain Editions auch kein weiterer Fußweg Richtung Küste eingezeichnet ist, nehme ich halt die Straße. Die ist nicht nur weitgehend schattenlos, sondern auch vielbefahren. Die Auto rasen ungebremst und nahe an mir vorbei, Mitnahmeangebote Fehlanzeige. Willkommen auf Paros! Ich hätte den Bus nehmen sollen ...
Ich streiche den Gipfel des Agios-Antonios-Hügels ebenso wie einen Gang durch Marpissa, das ich als hübsches Dorf in Erinnerung habe. Nach einer halben Stunde ab Prodromos erreiche dann schließlich Pivo Livadi. Und erleide einen Schock: das beschauliche und idyllische Hafendörfchen mit einem kleinen, aber netten Strand hat sich zu einem trubeligen Touristendorf entwickelt. Café reiht sich an Taverne, Anreißer sind auch gleich da. Nur die Kulisse mit den Kaikia, aber auch vielen Motorbooten und Segelbooten ist noch hübsch.
Ich ziehe mich erst mal an den Strand zurück, wo die Schattenplätze unter den Tamarisken aber belegt sind. Es gibt keine Umkleidekabine (ist doch eigentlich inzwischen fast überall in Griechenland Standard) oder einen versteckten Winkel zum Umziehen, und weil es nicht schnell geht, mich aus meinen verschwitzten Klamotten zu schälen, kann ich das Bad im Meer streichen. Die Badelust ist mir sowieso vergangen, mit den Füßen im flachen Wasser reicht auch.
Beim Versuch, mir danach auf einer der Stufen unterhalb der Tavernenparalia die Wanderschuhe wieder an die halbwegs sandfreien Füße zu ziehen, schüttet einer der Kellner von oben einen Krug Wasser samt Eiswürfel in meine Richtung. Danke für die Abkühlung ...
Ich schlendere auf und ab, hab überhaupt keine Lust, hier irgendwo einzukehren und esse schließlich ein Eis auf die Faust. Immerhin die "Anchorage Bar" gibt es noch. Da haben ich vor 25 Jahren damals meinen Bruder getroffen. Wir - meine Kollegin Stefanie und ich waren von Amorgos mit der Fähre gekommen, er mit dem Bus nach einer kurzen Nacht in Parikia aus Athen. Er hat dann auch prompt die beiden einzigen griechischen Wörter, die er konnte, verwechselt und Kalimera statt Efcharisto gesagt, was der Mann aus der Bar lediglich mit einem irritierten Heben der Augenbraue quittierte.
Hier werde ich heute nicht glücklich. Dummerweise fährt der nächste direkte Bus nach Naoussa erst nach 16 Uhr und es ist gerade 15 Uhr. So werde ich eben nach Parikia und von dort nach Naoussa fahren. Geht nicht wirklich schneller, aber ich sehe noch ein bißchen was von Paros.
Es warten schon viele Leute auf den Bus, der mit etwas Verspätung kurz vor halb vier Uhr kommt und 2 Euro 50 bis Parikia kostet (der Ticketautomat ist defekt, also wird der Tarif im Bus fällig).
Über Lefkes und Marathi - dort sind die antiken Marmorsteinbrüche - erreichen wir nach 16 Uhr Parikia, wo ich gleich in den Bus nach Naoussa umsteige, der um 16.10 Uhr abfährt.
Oder hätte ich Parikia einen kurzen Besuch abstatten sollen? Puh, ich mag diesen Ort nicht so recht. Trotz der wunderschönen Panagia Ekatontapiliani.
Das Busticket von Parikia nach Naoussa kostet 1,80 und die Fahrt dauert zwanzig Minuten. Schnell heim und bei mir vor dem Haus ins Meer hüpfen. Wunderbar! Es ist eigentlich wie in Karystos - warum in die Ferne schweifen wenn doch das Gute (in diesem Fall das Meer) so nahe liegt?
Den Rest des Nachmittages genieße ich auf meinem Balkon. Der Blick über die Bucht ist zu jeder Tageszeit schön und ich bin froh, mich für dieses Quartier und den oberen Stock entschieden habe. Die unteren Zimmer sind quasi im Tiefparterre, da kann nicht nur jeder von der Straße aus reinsehen, man hat auch nicht diesen wunderbaren Blick.
Erst um halb acht gehe ich hinein in die Stadt und sehe noch die Reste eines glutroten Sonnenunterganges hinter dem Korakas-Berg (242 Meter hoch). Der Ortsbummel durch Naoussa ist stimmungsvoll. Fast schon ein bißchen zu nett.
Die Tische am alten Hafen sind gut belegt, ich entscheide mich nach einer Lokalrunde für "Mitsi", eine Taverne am Ufer östlich des alten Hafens (Agios-Dimitrios-Strand). Von der Speisekarte lacht mich die Fischsuppe an und während ich auf sie warten, kann ich das Gespräch meiner deutschen Tischnachbarn - zwei ältere Paare norddeutscher Herkunft - belauschen. Oder muss es - sie reden ziemlich laut (und geschwollen). Da sie die lokalen Ortsnamen falsch benennen und eher teurer tafeln, tippe ich auf Segler. Und muss in mich hinein grinsen als ich sehe, dass eine der örtlichen Katzen es sich in der auf den Boden gestellten Tasche einer der Frauen bequem gemacht hat. Was von der Taschenbesitzerin völlig unbemerkt bleibt. Hoffentlich hat sie keine Katzenhaarallergie.
Meine Suppe ist reichlich und mit viel Fischeinlage ausgestattet. Dazu Brot, Zitronen und Weißwein - passt. 17 Euro werden für die Rechnung fällig, das ist völlig in Ordnung.
Morgen muss ich früh aufstehen.
Für die Paddeltour ab Antiparos treffen wir uns schon um 8.10 Uhr an der Bushaltestelle.