Eine Wanderung und ein Wanderversuch

Am Mittwoch lasse ich es ruhig angehen. Um halb zehn gebe ich das Auto zurück. Vorher tanke ich noch für acht Euro. Ich bin doch immerhin 61 Kilometer gefahren, mehr als gedacht. Fast zwei Euro kostet der Liter Benzin - heftig für die Einheimischen, aber mit dem Auto sind hier sowieso nur wenige unterwegs. Und der Besitzer des chicen Daimlers, der gerne entlang der Paralia fährt um sein Auto zu zeigen, kann es sich sicher leisten.

Vorher habe ich die beiden Französinnen verabschiedet, die mit der "Artemis" nach Sifnos gefahren sind. Am Freitagabend könnten wir uns dort treffen, aber ich will mich da nicht festlegen. Viel Spaß im weiteren Urlaub!

 

Nach ein paar Erledigungen esse ich im "Passagio" zu Mittag ein Omelette mit Feta und Oliven. Und nehme dann um 14.30 Uhr den Bus nach Panagiá. Von dort möchte ich über Gyftika/Agios Vlassas nach Chora wandern. Das sind die Wanderungen Nr. 4 und Nr. 2 der Paths of Greece, zusammen 6,2 Kilometer, allerdings in der Gegenrichtung. Ich hab keine Lust, in Panagia auf den Bus zu warten wenn es dort kein geöffnetes Lokal gibt. Und ich bin auch zeitlich ungebunden.

Eine halbe Stunde dauert die Busfahrt, und kostet ein Euro achtzig. Um drei Uhr steige ich in Panagia aus dem Bus, nur ein älteres Touristenpaar ist da noch drin: sie werden mit dem Bus eine kleine Inselrundfahrt machen. Auch eine Idee.

Panagia zeigt sich so verschlafen wie gestern. Der Hund, der auf der Hauptstraße sein Nickerchen macht, wird vom Bus sorgsam umfahren.

Und wo geht nun mein Weg ab? Die Karte ist da leider nicht sehr deutlich. Ich frage einen alten Mann, der in seinem Garten zugange ist, aber der versteht mich offensichtlich falsch, denn er schickt mich bergab auf den Weg nach Sykamia. Ich merke der Irrtum zum Glück schnell, als eine Wegmarke mit der Nummer fünf auftaucht. Also wieder zurück, hinauf.

Das Wetter ist sonnig mit etwas Wind: perfektes Wanderwetter.

 

Beim Weg aufwärts sehe ich dann die Markierung rechts, die mich westlich aus dem Dorf hinausführt. Der Weg führt weitgehend auf einer Höhe durch terrassiertes Gelände, das aber nur noch selten bewirtschaftet wird. Es ist erstaunlich grün hier, Gras und Macchia wachsen hoch, die Kerzen des Akanthus darin, und es ist das reinste Insektenparadies. Schmetterlinge und Heuschrecken, wobei letztere überall raschelnd herumhüpfen und herpetophobe Gemüter nervös machen können. Mich nervt mehr, dass mich die Viecher alle Nase lang anspringen, und auch die eine oder andere Fliege sich mir unverlangt als Nahrungsergänzung anbieten. Besser die Klappe halten. Springt doch den flitzenden Eidechsen ins Maul, die mögen das lieber.

Die Markierungen muss man oft suchen, und wenn der Weg etwas freier geräumt wäre, dann wäre das auch schön. Aber wir sind hier halt nicht auf Sifnos.

Dafür ist die Landschaft sehr schön. Weiße Hütten und graue Taubenhäuser werden von Olivenbäumen umstanden, und in dem Tal von Barsamo fließt sogar ein Rinnsal aus einer nahen Quelle. Es hat üppige Haine von Oleander, Feigen und weinüberwucherten Heckenrosen. Zwei Esel mustern mich neugierig.

 

Dann kommt wieder Ginster, der Weg wird unklarer, der Weg steiniger. Nach einer Stunde erreiche ich eine Piste, die im rechten Winkel nach links bergauf führt. Offenbar der Entsorgungsplatz ausgedienter Weißware: Waschmaschinen und Herde rosten, geschützt von Steinmauern, vor sich hin, garniert mit alten Fernsehgeräten und Kabeln. Etwas abseits eine Autoruine. Ich kehre dem maroden Ensemble schnell der Rücken, wandere auf der Piste nach Süden, leicht bergan, denn es geht nun über einen Sattel des Troullos. Nach ein paar Minuten zweigt der Fußweg links von der Piste ab und mit der Höhe wird der Blick auf die nördlich gelegene Nachbarinsel Kythnos frei. Kea dahinter.

 

Nur Niedriges wächst hier, aber der Thymian blüht und duftet, der Weg wird zugewachsener und unklar. Gelegentlich eine Markierung an den Masten einer Leitung, ihr entlang schließlich abwärts zum Weiler Gyftika, der eigentlich nur aus zwei Kapellen und drei Bauernhöfen besteht. In der Gegenrichtung wäre der Weg hier wohl schlechter zu finden.

In Gyftika überquere ich die Straße in den Inselwesten, die ich gestern gefahren bin. Dahinter liegt der Hubschrauberlandeplatz der Insel mit breiter Zufahrt, ich lasse ihn rechts liegen und wandere auf einem Monopati entlang eines flachen Hochtales. Mein nächstes Ziel, die auf einem Sattel gelegene Kapelle des Agios Georgios, habe ich schon vor Augen. Ist nicht mehr weit.

 

Einsam, felsig und von den Ziegen abgefressen zeigt sich diese Gegend hier. Auf den Eselsdisteln sitzen Schachbrettfalter in Gruppen. Honig wird auch produziert (der Honig von Serifos soll der beste... na, das kennen wir schon. :-) ).

 

Um halb sechs erreiche ich die Kapelle Agios Georgios. Kein altes Gebäude, sondern ein profaner Eckbau ohne Schnörkel, fast wie ein Stall (es hat auch überall Ziegenköttel). Aber als Rastplatz nicht schlecht.

Und von hier aus hat man nun Blick auf den Inselsüdosten: die Chora mit ihren weißen Häusern liegt einem quasi zu Füßen. Toll!

Das obere Stück des Weges ist noch ein normaler Pfad, aber nach kurzer Zeit macht er einem breiten Pflasterweg Platz. Im 19. Jahrhundert wurde er als Verbindung für die Minenarbeitern angelegt und im 20. Jahrhundert erneuert. Mich erinnert er an den "italienischen Weg" auf Kalymnos, aber der hier ist wesentlich besser in Schuss. Wie eine Mauer an den Felsenhang geklebt.

 

Und dann diese Aussicht, die mit jedem Meter genialer wird! Die Chora, thronend auf ihrem grauen Hügel, dahinter die Bucht von Livadi, das Inselchen Vous, und, im blauen Ozean fast schwebend, Sifnos.

 

Mag man mit wanderischem Ehrgeiz den Weg lieber bergauf wandern, so ist in dieser Richtung die Aussicht besser. Und ganz unanstrengend ist es auch. Ich setze mich etwas weiter unterhalb auf einen Felsbrocken neben dem Weg und gucke einfach nur und genieße.

Ein Paar kommt den Weg herauf, sie nehmen die harte Tour. Guckt euch mal um, ihr verpasst sonst etwas!

 

Von Sifnos her rast, eine helle Linie ins Meer zeichnend, der "Speedrunner 3". Hat was außerirdisches.

Plötzlich ist hier richtig was los: ein Mann prescht bergab vorbei, hält kurz inne zum Fotografieren. Er hat einen riesigen Fotoapparat umhängen und erwähnt in Englisch, dass er auf dem höchsten Inselberg war (eigentlich der Troullos mit 583 Metern, aber vielleicht meint er auch den Petrias, der 13 Meter niedriger ist, aber hier direkt in meinem Rücken liegt). Weglos, aber einfach. Nur die 15 Kilo Fotoausrüstung wären schwer. Und schon rennt er weiter. Und tut mir einfach nur leid, dass er sich nicht die Zeit für dieses Panorama hier nimmt. Aber vielleicht hat er tolleres gesehen, weiter oben.

Und ich bin froh, dass mein neuer Fotoapparat, eine Panasonic Lumix TZ-101, mal gerade 400 Gramm wiegt und in fast jede Tasche passt. Mit den zig Funktionen bin ich allerdings noch gnadenlos überfordert, ich hab mich gerade ins Nötigste eingearbeitet.

Irgendwann wandere ich dann weiter talwärts. Ursprünglich wollte ich in Chora auf ein Getränk einkehren, aber jetzt hab ich so viel Schwung und Lauffreude, dass ich gleich den Treppenweg hinab nach Livadi nehme, wo ein Bier und eine Limo in meinem Kühlschrank warten. Kurz nach sieben Uhr bin ich unten, und meine Terrassenkatzen gucken auch schon wieder ganz erwartungsvoll. Signomi, aber das Radler trinke ich alleine.

 

Fazit: Wandern lohnt sich, die Landschaft ist echt schön. Aber die Wege könnten besser sein, und die fehlenden Busverbindungen schränken den Wanderradius ziemlich ein. Ob ich nochmals ein Auto leihe um im Westen zu wandern? Überlege ich mir morgen.

Heute bin ich zum Abendessen bei "Stamatis" und werde nicht enttäuscht. Das Moschari kokkinisto und der kleine Maroulisalat (der so klein gar nicht ist) schmecken ausgezeichnet, zusammen mit dem Viertelliter Wein beträgt die Rechnung äußerst günstige elf Euro. Und man sitzt so schön ruhig abseits am Strand (was für das Lokal selbst natürlich ein Manko ist). Uneingeschränkte Empfehlung.

 

Die beiden nächsten Tage lasse ich es ruhig angehen. Ich war jetzt zehn Tage aktiv und meist unterwegs, nun ist Zeit für etwas Ausruhen und Abhängen. Der nahe Strand ist wunderschön und wenig besucht um diese Jahreszeit, und meine Terrasse ist es auch. Das Wlan funktioniert zwar nur auf dem kleinen Balkon so richtig, aber ich brauche es auch kaum.

 

Nein, keine Lust, nochmal mit dem Auto herumzufahren. Faulenzen. Und ein bißchen in der näheren Umgebung herumstreunen. Friedhof, Marina, Lavadakia und so.

Ein weiterer Wanderversuch scheitert: auf meiner Landkarte ist ein Fußweg von Livadi nach Westen eingezeichnet, ab der Straßenkreuzung bei der Brücke via Agia Ekaterini zu Panagia-Kapelle, dann vielleicht bis Agios Panteleimonas und weiter nach Gyftika.

 

Von der Straßenbrücke führt die Piste entlang eines breiten, trockenen Bachbettes vorbei an einem Baustofflager. Allerlei ausgediente Fahrzeuge zieren den Weg. Zur Ekaterini-Kapelle durchquere ich das unwegsame Bachbett und finde jenseits einen Weg hinauf. Die Kapelle ist natürlich geschlossen, aber immerhin hat sie einen recht fotogenen Innenhof.

Für den weiteren Weg muss ich aber wieder hinab ins Bachbett, das durch Schilf, Oleander, Gestrüpp und Spinnennetze unüberwindbar zugewachsen ist. Der Weg führt wohl auch rechts vorbei, aber hier versperren ein Zaun und Mauern den weiteren Weg. Weil das Wetter heute schwül ist, und ich nach den wenigen Metern schon völlig verschwitzt bin, gebe ich auf. Komme mir blöd vor, wie ich hier in unmittelbares Nachbarschaft zu dem Baustoffhof herumstolpere.

 

Auf dem Rückweg nach Livadi nehme ich dafür einen Fußweg durch den Schilfwald, der das Hinterland der Paralia bedeckt. Darin versteckt zahlreiche Ferien- und Privatdomizile mit hübschen Gärten und grünem Gras. Bestimmt gibt es hier viele Mücken....

Und der Frappé im "Yacht Club" ist - trotz der improvisiert wirkenden Möblierung - mit 3,20 Euro nicht gerade preiswert.

 

Westkykladenpreise - Serifos und Sifnos waren schon immer etwas teurer. Dem steht auch "Takis" nicht nach, wo der durchschnittliche Bakaliaros mit Skordalia, Salat und Wein sich auf 22 Euro läppert.

An einem Nachmittag unternehme ich einen zweiten Versuch, das Kloster Taxiarches zu besichtigen. Weil ich nicht besonders optimistisch bin, dort jemand anzutreffen, mache ich das mit Bus um halb drei und verbinde es mit einer Spazierfahrt. Während der Bus von Taxiarches nach Kallitsos und zurück fährt, habe ich ungefähr eine Viertelstunde Zeit am Kloster. Das reicht nicht wenn jemand da ist - dann muss ich für den Rückweg improvisieren - per pedes oder Anhalter.

Aber sonst hab ich Zeit für ein paar Fotos, und sehe noch etwas von Serifos.

 

Der Busfahrer hält mich für bescheuert - er wäre in zehn Minuten wieder zurück, und das würde nicht lohnen. Na, die spinnen ja oft, die Touristen. Schicksalsergeben lässt er mich einsteigen. Nein, das Ticket für die Rückfahrt will er mir noch nicht verkaufen.

Der Bus ist fast leer, nur zwei alte Griechinnen sitzen darin, und die beiden steigen in Chora aus. Wo dafür eine andere alte Frau einsteigt. Schüler heute Fehlanzeige.

In Panagia steigt die Frau aus und ich sitze alleine im Bus. Der Himmel ist trüber geworden. Schirm habe ich keinen dabei - das wäre jetzt blöd wenn der erste Regen seit Februar sich jetzt hier ergießen würde wenn ich am Kloster stehe. Fünf nach drei setzt mich der Bus dort ab, die Uhr läuft. Wie unentspannt.

Aber die Klostertüre ist verschlossen, wer weiß ob es den Mönch dort überhaupt noch gibt.

Ich kann ein paar der Fotos nachholen, die ich vorgestern vergessen habe und überlegen, ob ich auf der Straße entlang der Ostküste zurückwandern möchte. Sind schätzungsweise acht, neun Kilometer, aber kürzer und flacher als auf der Straße, auf der ich gekommen bin. Nö, möchte ich nicht, auch wenn sich der Regen auf fünf oder sechs Tropfen beschränkt und damit diesen Ausdruck nicht verdient.

Kythnos liegt heute ganz nah, während die Berge hinter mir von grauem Himmel eingerahmt sind und abweisend wirken.

 

Und um zwanzig nach drei kommt der Bus wieder. Er ist immer noch leer, der Abstecher hat keine Passagiere gebracht. Ich grinse den Fahrer an, er kassiert wortlos.

Am Ortseingang von Panagia steigt ein Paar Wanderer ein, Holländer offenbar. Komischerweise fährt der Bus aber nicht auf der Straße oberhalb vom Ort vorbei, sondern biegt vorher auf eine Stichstraße ab, die in den Ort hineinführt. Dort wendet ziemlich diffizil auf einer schmalen Fläche.

Die alte Frau von vorhin steigt ein, aber der Bus wartet weiter. Und dann kommen acht, zehn Schüler im Grundschulalter, vor allem Jungs, aus einer Gasse, begleitet von einer jungen Frau. Alle steigen in den Bus, die Frau verteilt sie über den Bus, so dass alle einzeln sitzen. Dann geht die Fahrt weiter, nun nicht mehr so still, sondern von Wortspielen und Hänseleien unterbrochen. Die Lehrerin greift einmal resigniert ein, ermahnt einen Jungen.

Eines der Kinder steigt schon oberhalb von Panagiá aus, wird von seiner Mutter direkt empfangen und an die Hand genommen. Die anderen fahren weiter mit, wobei an der Schule auf halber Strecke zwischen Chora und Livadi nochmals ein Schwung Grundschüler einsteigt, erneut mit Lehrerin.

In Livadi werden die Kinder von den Eltern im Empfang genommen - auf dem Pickup, mit dem Auto, auf dem Motorroller oder zu Fuß.

 

Und ich bin verblüfft. Das sah nicht nach Schulausflug aus, sondern nach Alltag. Müssen die armen Kinder täglich mit dem Frühbus nach Panagia in die Schule und am Mittag zurück? Warum? Ich frage die nette Monda, das Zimmermädchen im "Areti". Ja, die Kinder gingen dort zu Schule, und ja, das wäre total blöd, weil es manchen im Bus wegen der vielen Kurven übel würde. Aber warum das Ganze, das kann sie mir nicht sagen. Vielleicht ist die Schule zwischen Livadi und Chora zu klein für alle Schüler, vielleicht will man den Norden damit aufwerten und es gibt es Zuschüsse wenn man die Dorfschule in Panagia betreibt. Aber die Leidtragenden sind die Kinder, und so wirklich will mir das nicht einleuchten. Oder sind das die "bösen" Kinder, die "strafversetzt" werden? Verbannung hat in Griechenland ja Tradition.... Ich werde es nicht erfahren.

Meine Fähre am Abreisetag nach Sifnos, der "Speedrunner 3", geht erst am Abend um sieben Uhr. Ich darf so lange auf dem Zimmer bleiben wie ich möchte, das ist echt nett. Überhaupt ist die Atmosphäre hier noch unglaublich entspannt.

 

Ein bißchen fällt mir der Abschied von Serifos schon schwer. Ich werde wiederkommen, hab ja die Westkykladen so richtig als mein Lieblingsterrain entdeckt.

Aber Sifnos lockt, mit seinen schönen Wanderwegen.