Um halb zehn treffen Renate und ich uns am "Tselementes". Wir haben reichlich Wasser dabei, und Proviant, denn die Tour ist lange, und es gibt keine Möglichkeit, unterwegs einzukehren. Oder vielleicht doch?
Das Wetter ist wieder hervorragend geeignet zum Wandern: Sonnig und etwas Wind.
Die Wanderung zur Kirche Panagia Toso Nero ist laut Sifnos Trails (Route 6) 15 Kilometer lang und dauert sieben Stunden. Etwa siebenhundert Höhenmeter, verteilt auf zwei Steigungen. Und natürlich auch wieder hinab. Ein ziemliches Brett also, und ich weiß gar nicht, ob ich in Griechenland schon mal so lange unterwegs war. Durch die Samaria-Schlucht vielleicht, aber da geht es ja immer abwärts. Das ist hier anders.
Wir werden gegen die in der Wanderbeschreibung genannte Richtung und in Uhrzeigersinn wandern. Dann geht es nach der Panagia-Kirche zwar knackig rauf, aber das ist besser, als den losen Weg abwärts zu müssen. Meint Renate, und ich bin mit allem einverstanden.
Der Weg geht durch Katavati und ist am Anfang der gleiche, der zum Profitis Ilias führt. In Katavati sind zahlreiche Einheimische in den Gassen unterwegs. Gottesdienst. Es ist ja Sonntag.
Dann geht es aus dem Ort hinaus und durch das grüne Tal südlich des Profitis Ilias. Ein Pfosten mit Wegrichtungen und Entfernungsabgaben weist uns den Weg: 2:45 Stunden und 6,4 Kilometer noch bis zum Etappenziel. Wir biegen rechts ab und lassen wenig später die Abzweigung zum Profitis Ilias rechts liegen. Es geht nun konstant und über eine längere Strecke aufwärts. Die erste Hauptsteigung.
Bei einem Wassertank belädt ein Mann sein Maultier mit zwei großen Wasserkanistern. Wenig später überholt er uns eselreitend. Wohin wir wollten? Zu Panagia? Kalo dromo! Wir lassen ihn ziehen, zunächst ist er der Einzige, der uns begegnet.
Rechts über uns wird immer wieder das breite Gebäude des Profitis Ilias sichtbar. Auch eine schöne Wanderung, die ich vor einigen Jahren im Herbst gemacht habe. Sifnos bietet so viele Routen, und die wunderbaren Sifnos Trails habe ich ja schon erwähnt.
Letztes Wochenende fand hier das "Sifnos Trail Race" statt: Ein Bergrennen auf zwei Strecken: wahlweise zehn oder dreißig Kilometer. Die zehn Kilometer-Strecke führt von Kamares entlang der Nordflanke des Profitis Ilias nach Apollonia. Wir werden ihr heute noch begegnen. Siegerzeit: 00:52:12. Die lange Route über dreißig Kilometer begann und endete in Kamares. Sie führte über Agios Simeon nach Artemonas, dann weiter auf den Profitis Ilias, und von dort hinab zur Panagia Toso Nero, auf unserem Weg nach Fyrogia, dann entlang der Nordflanke und schließlich wieder hinab nach Kamares. Heftig! Die Siegerzeit von Dimitrios Theodorakakos betrug 3:35:05, die schnellste Frau war Dimitra Mpika mit 4:00:56. Respekt!
Wir haben keinerlei sportlichen Ehrgeiz und lassen uns Zeit, stellen aber später fest, dass der Weg für die Rennen offenbar nochmals besser präpariert wurde, was uns jetzt zugutekommt. Ab und zu sehen wir auch noch rot-weiße Plastikbänder in den Büschen hängen.
Auf dem Weg liegen vier Kapellen. Die erste, Agia Marina Flambouro, liegt an einem Tal über der Westküste, wir erreichen sie nach etwa hundert Minuten.
Vorher, beim Hof mit den bellenden Hunden, waren wir plötzlich von Wanderern umgeben: Ein Paar überholt uns, ein anderes taucht plötzlich hinter uns auf. Das eilige Paar macht nur einen flüchtigen Abstecher zur Agia Marina, und das andere Paar ist so schnell wieder weg wie es da war. Flüchtige Erscheinungen.
Wir schauen uns die Agia-Marina-Kapelle natürlich an. Von der Terrasse hat man einen schönen Blick in ein tiefes Tal mit blühendem Oleander und hinüber nach Kimolos mit seinem weißen Steinbruch bei Prassa. Dahinter Milos, rechts Antimilos. Das Meer ist heute von einer tiefen Bläue.
Die Kapelle ist geöffnet, und auch das Nebengebäude, in dem offenbar jemand wohnt: Musik kommt aus dem Raum hinter der voll eingerichteten Küche, Essen liegt offen da. Ein Hirte vielleicht. Wir wollen nicht stören.
Renate trägt uns ins Gästebuch ein, in jeder der Kirchen gibt es eines. Für sie ein liebgewonnenes Ritual. Anhand der Einträge kann sie noch die Wandertermine der letzten Jahre nachvollziehen.
Die nächste Kapelle Agios Konstantinos ist nicht weit weg, nur gut zwanzig Minuten. Sie ist kleiner, aber auch hier sind Kirche und Küche geöffnet. Und die Küche ist, wie so oft auf Sifnos, mit allem ausgestattet was ein durstiger Wanderer für einen Kaffee braucht. Aber auch Ouzo und Wein. Wasser hat es in der Zisterne. Hier einen Elleniko zuzubereiten gehört ebenfalls zu Renates Ritual, und es gibt keinen Grund, davon abzuweichen. Allerdings hat das sonst immer ihr Bekannter gemacht, mit dem sie hier gewandert ist. Ich versuche mich statt seiner daran, bringe den Kaffee samt Pulver, Zucker und Wasser zweimal zum Kochen und kann nicht verhindern, dass das Briki überläuft. Erst kommt mir der so produzierte Elleniko etwas dünn vor, aber er schmeckt und regt an. Wobei wir letzteres gar nicht brauchen, denn die Landschaft stimuliert uns auch so schon. Total schön hier!
Im azurblauen Meer tuckert die "Artemis" nach Milos. Ich schreibe eine SMS an Lothar und seine Parea, die sich darauf befinden. Aber kein Netz, die SMS geht nicht raus.
Er hat auf dem Schiff Dimitrios Mastoras getroffen, der heute von Syros nach Sifnos gewechselt ist um morgen seinen hiesigen Sprachkurs zu beginnen. Es gibt nur weniger Fährverbindungen von Syros auf die Westkykladen, aber dafür zuverlässig und preiswert. Ob ich Dimitrios noch sehen werden? Erst vor drei Wochen haben wir uns in Hamburg anlässlich "100 Jahre DGG Hamburg" und der VDGG-Mitgliederversammlung getroffen, aber es wäre trotzdem nett.
Auch Konrad und Margarete Langer, die ich gerne mal kennenlernen würde, kommen erst morgen Nachmittag an, wenn ich schon weg bin. Am Dienstagabend wäre auch ein Konzert von Pantelis Thalassinos in Apollonia. Pech.
Ich hab zu wenig Zeit für Sifnos dieses Jahr.
Auch die hiesige Pause wird ausgedehnt, und natürlich wird alles sauber und ordentlich hinterlassen, ebenso wie ein Gästebucheintrag.
Der Weg verläuft weiter mehr oder weniger auf der Höhe mit Blick aufs weite Meer. Blumen sind rar geworden, niedriges Wacholdergebüsch und Steine prägen hier die Landschaft.
Nach zwanzig Minuten können wir dann unser Hauptziel, die Kirche der Panagia Toso Nero, sehen. Bis wir dort sind, müssen wir aber noch durch einen Taleinschnitt. Ein einzelner Wanderer kommt uns entgegen, der einzige, der in der Gegenrichtung unterwegs ist.
Um dreiviertel zwei erreichen wir die große Anlage der Panagia Toso Nero. Geschafft!
Na, erst den halben Weg.
Ein Grieche verschließt gerade die Kirchentüre, er wandert auch in unserer Richtung, nun bergauf. Kurzer Informationsaustausch.
Im schattigen Innenhof ist schön sitzen.
Nach einem Vesper sehen wir uns die Gebäude an: neben der hübschen Kirche, über dem Portal mit 1845 datiert, gibt es zahlreiche Nebengebäude: ein Schlafzimmer mit Betten und einem Gasofen, ein fahnengeschmückter, langer Speiseraum, eine sehr gut ausgestattete Küche mit einer großen Feuerstelle. Auf den Schränken eine ganze Reihe Tonkrüge - natürlich made auf Sifnos - und in einem Schrank Essen: getrocknete Aprikosen, Rosinen, Nüssen, Knabbergebäck, Spaghetti. Auch Alkoholisches steht bereit. Man könnte sich hier gut über Nacht einquartieren und die Einsamkeit mit Sternenhimmel genießen.
Das Panigiri hier findet übrigens am 17. August statt, und die feiernden Einheimischen ziehen es vor, mit dem Boot zu kommen - unten an der Küste befindet sich ein Anleger. Sind dann aber auch noch 180 Höhenmeter in der Sommerhitze zu überwinden.
Wie die Panagia Tóso Neró zu ihrem Namen kam? Die Muttergottes mit dem vielen Wasser? Viel Wasser können wir nicht ausmachen, aber es gibt natürlich auch hier eine Zisterne. Vielleicht liegt diese günstig und füllt sich schnell? In der Küche hängt ein langer griechischer Text, den ich aber nicht verstehe, und versäume, zwecks späterer Übersetzung zu fotografieren.
Wir rätseln noch ein wenig, und machen uns nach einstündiger Pause dann an den Anstieg hinter der Kirche. Es ist schon dreiviertel drei, Zeit, weiterzukommen. Der Wegweiser zeigt ab hier 3 Stunden fünf Minuten Rückweg (6,6 Kilometer).
In einem schmalen Zickzackweg geht es nun steil hinauf auf den Sattel an der westlichen Flanke des Profitis Ilias. Umdrehen nicht vergessen und das Panorama genießen! Die Panagia Toso Nero liegt schon weit unter uns auf ihrem Plateau.
Der Weg ist von losen Steinen weitgehend befreit, die den Abstieg so ungemütlich machen würden, dass Renate nach einmaliger Erfahrung die Gegenrichtung vorzieht. Heute würde es, dank Sifnos Trail Race, gehen, aber diese Richtung hat auch den Vorteil, dass man am Ende des fünfzigminütigen Anstieges auf dem Sattel unvermittelt den Blick auf die Bucht von Kamares hat, mit der Bergkette Profitis Ilias Troulakiou und Agios Simeon dahinter. Sehr genial, und für die Mühen des schweißtreibenden Aufstieges entschädigend.
Der "Speedrunner 3" hat bei der Weiterfahrt nach Milos noch eine dünne weiße Spur in der tiefblauen Hafenbucht hinterlassen, die in sonntagnachmittäglicher Ruhe daliegt.
Das Monopati führt nun weitgehend auf einer Höhe bleibend entlang der Nordflanke des Profitis llias. Es gibt Abzweigungen nach Kamares hinab, vorbei an stillgelegten Bergwerken. Wir bleiben oben und wandern ostwärts.
Vor der Kapelle Agios Eleftherios/Lefteris geht es nochmals abwärts. Die vierte Kapelle heute, auch hübsch und mit geöffneten Nebengebäuden und Küche. Und die vierte Rast, der vierte Gästebucheintrag.
Die Agglomeration Artemonas–Ano Petali–Apollonia–Katavati ist inzwischen ins Blickfeld gerückt, noch ein ganzes Stück entfernt. Zig Kapellen und Häuschen davor verstreut. Hoch über uns ist wieder das Kloster des Profitis Ilias zu sehen, das auf dem felsig-kahlen Bergrücken thront. Bald ist die Umrundung geschafft. Eine gute Stunde noch.
Von Agios Lefteris ab geht es steil hinab auf einem zickzackenden Treppenweg. Das geht in die Knie, und so allmählich merkt mein Körper die Tageskilometer. Ich freue mich auf ein Kaltgetränk bei Lakis.
Die Landschaft ändert sich wieder, die Vegetation wird höher, es hat mehr Felder und Ställe zwischen den hohen Steinmauern und Terrassen.
Kloster Theologos tou Mongou lassen wir links liegen, die letzten hohen Stufen durch ein Bachbett nahe der Straße schaffe ich fast nicht mehr. Am Ortseingang grüßen zwei Taubenhäuser. Sie sind schlichter als auf Tinos, aber es gibt doch einige davon auf Sifnos.
Kurz nach halb sechs schließt sich der Wanderkreis bei Lakis, der angesichts unseres Durstes neugierig fragt, wo wir waren, und bei meiner Antwort anerkennend nickt. Irgendwie ist es schön, wenn man als Wanderfreund nicht gleich die Kategorie "Verrückt" einsortiert wird.
Etwas über acht Stunden waren wir unterwegs.
Und ich kann mir dann ein paar Tage später überlegen, was anstrengender ist: 15 Kilometer wandern, oder 15 Kilometer paddeln. Ich glaube fast, ersteres.
Zurück bei Flora finden ich zwei Portionen Revithia im Schatten meiner Terrasse stehend vor. Sie hatte sie am Morgen angekündigt (Revithia sind ein traditionelles Sonntagsessen, und heute ist Sonntag), eine Portion für die Mitwandererin Renate, die aber die Dusche vorgezogen hat. Außerdem wollen wir ja noch ins "Drakakis", später. Ich vertilge also die eine Portion und hebe die andere fürs Frühstück auf. Schmeckt sehr gut!
Erst um halb neun sind wir dann wieder bei "Drakakis", mit Bärbel und Elmar. Aufs Theos Empfehlung vom letzten Jahr nehmen wir den Lammspieß mit Tabouleh, auf meine die Spinat-Hühnchenklöße. Dazu noch gegrillter Haloumi und gebratene Auberginenscheiben. Alles mundet ausgezeichnet, wieder sind wir (inklusive reichlich Wein und Wasser) mit etwas über 50 Euro dabei.
Eine nette Parea, diese Wiedergänger. Nächsten Mai bin ich auch wieder dabei, beschließe ich im Stillen. Ostern vielleicht.
Auch wenn es nur zwei Tage auf Sifnos waren - es hat sich gelohnt.
Das schöne Wetter bleibt mir treu, und am Montagmorgen bin ich besonders froh über die Windstille. Ich muss nämlich mit dem ungeliebten "Seajet 2" fahren, der planmäßig um zwanzig nach neun in Kamares ablegen soll. Das ist angenehmer wenn es wenig Wind und Wellen hat.
Nach dem Kichererbsenfrühstück bezahle ich das Zimmer (40 Euro die Nacht) und verabschiede mich von Flora und ihrem Mann Petros. Ein Taxi (wieder 10 Euro) bringt mich und ein französisches Paar, das in der Nachschaft gewohnt hat, um halb neun hinab nach Kamares.
18 Euro kostet das Ticket mit dem kleinen "Seajet 2" nach Milos, aber ich habe noch etwas Zeit, um Dimitrios Mastoras im "Boufounis" einen schnellen Besuch abzustatten. Ich erwische ihn im Frühstücksraum, wo in einer halben Stunde der Unterricht beginnt. Schön, sich wiederzusehen! Schade, dass es nur so kurz ist. Aber auf Milos wartet Lothar mit seiner Parea, und später Rod mit den Kajaks.
Ich eile wieder hinab zu Hafen, und hätte mir Zeit lassen können: der "Seajet 2" ist verspätet. Das ist er eigentlich immer: der Fahrplan ist zu straff gestrickt. Mit zwanzig Minuten Verspätung legen wir endlich in Kamares ab. Lothar, der mich in Adamas abholen wird, wird per SMS informiert und kann länger frühstücken.
Für einen Montagsvormittag ist die Schnellfähre gut belegt, die ungeliebte Unterbringung in der schlechten, aber klimatisierten Luft des gelb besesselten Fahrgastraumes ähnelt einer S-Bahn-Fahrt. Durch die verspritzen Scheiben kann man kaum hinausgucken, die Sitze sind tief. Das einzig Gute: es geht schnell. Nur vierzig Minuten bis Milos. Sechs Tage dort zum Abschluß des Urlaubes.
Ich freue mich!