Agios Georgios und Panagia Sykiá

Vielleicht hat es geregnet, vielleicht auch nicht. Schwarze Wolken stehen am Himmel, aber momentan ist es trocken.

Der Busfahrplan weist um 12.15 und um 14.45 Uhr einen Bus via Chora zum Strand von Agios Georgios aus. Da der Bus ja auch wieder zurück muss, möchten wir mit dem ersten Bus hinüberfahren, und mit dem zweiten zurück, hätten also zweieinhalb Stunden am Strand. Das sollte reichen. Außerdem beschließen wir, danach von Chora nach Alopronia hinunter zu wandern – das wollte ich schon immer. Man kommt ja irgendwie auch zu Fuß zum Agios-Georgios-Strand, den Weg hatten wir vor Jahren vergeblich gesucht, in der Terrain-Karte ist er eingezeichnet, ist aber an einigen Stellen anscheinend mit Vorsicht zu genießen und nur sehr schmal. Da haben wir keine Lust drauf.

 

Die Straße von der Chora zum Strand ist ziemlich neu, und ich fand es zunächst sehr schade, dass dieses Bauwerk die Insel nun so durchschneidet. Aber mit dem Auto erreichbare Strände auf Sikinos sind rar, und man muss ja etwas tun für den Fremdenverkehr.

 

Vorher gehe ich noch ein wenig von Alopronia die Küste entlang nach Westen, mal sehen wie hier der Weg weiter verläuft. Das Gelände hinter dem felsigen Küstensaum ist eher flach, sieht aber nicht mehr bewirtschaftet aus. Die asphaltierte Piste weicht schnell einer Schotterpiste – wieder einmal ist die Terrain-Karte auf dem neuesten Stand. Ich umgehe ein Tor auf ein privates Grundstück mit einem neuen Steinhaus – schönes Anwesen direkt über der Küste, mit eigenem Anlegeplatz. Dunkle Wolken sorgen für dramatische Beleuchtung.

Santorin erscheint ganz nahe, und Ios erst, das nun östlich hinter Sikinos sichtbar ist. Ein Katzensprung, und doch eine andere Welt.

Zwei Esel parken am Hafen hinter dem Tickethäuschen. Viele der Grautiere haben wir hier gesehen, und es werden noch mehr werden auf den folgenden Inseln Folegandros, Kimolos und Sifnos. So viele wie anderswo in mehreren Jahren zusammen nicht. Die Rückkehr der Esel durch die Krise, oder das Beibehalten der nützlichen Lasttiere in landwirtschaftlich geprägten Gegenden?

 

Am Strand von Alopronia spielen Kinder – der optimale Familienstrand!

 

Der Agios-Georgios-Strand ist dagegen am Ufersaum viel kiesiger. Der Bus bringt uns planmäßig hin, fast alle weiteren Fahrgäste kennen wir auch schon, etwa ein Dutzend Leute. Erst geht es hinauf nach Chora für einen Halt, dann biegt der Bus unterhalb des Ortes auf die Asphaltstraße zum Strand ein. In langen Kurven führt die Straße gemächlich abwärts, keine sehr fruchtbare Gegend, düster wirkend durch die Wolken. Noch eine letzte, enge Kurve, wir sind da: ein etwa hundertfünfzig Meter breiter Strand mit einem halben Dutzend Sonnenschirme, eine (geschlossenen) Taverne, eine Kapelle, im Meer draußen ein markanter Felsen – mehr ist nicht. Ich frage den Busfahrer, wann er wieder kommt. Viertel nach zwei ist die Antwort – völlig unfahrplangemäß. Haben wir eine dreiviertel Stunden weniger Zeit als vorgesehen, schade. Aber nicht zu ändern.

Die Fahrgäste verteilen sich schnell auf die (kostenlosen) Sonnenschirme entlang des Strandes, und danach zügig im Wasser. Dort hat es zunächst einige große Felsenplatten, ich bin froh, dass ich doch meine Badeschuhe dabei habe. Die Meerestemperatur beträgt immer noch 24°C. Anschließend ergiebiges Kieselsteinsammeln und Naxosaugensuchen – zweiteres erfolglos (heißt ja auch nicht Sikinosaugen).

Ein paar dicke Regentropfen fallen doch tatsächlich vom Himmel, wir funktionieren den Sonnenschirm zum Regenschirm um. Gut, dass es sich nicht einregnet!

Der Strand ist wirklich hübsch, und wer zu Fuß oder mit dem Moped kommt, kann ihn auch einsam genießen. Im Sommer, wenn auch die Taverne offen ist, ist hier bestimmt ganz schön was los. Bin mal wieder froh, nicht im Juli oder August reisen zu müssen.

 

Die Zeit drängt, ich gehe noch schnell zu der namensgebenden Kapelle zum heiligen Georg hinauf. Schön der Blick auf die Bucht und Ios. Die ursprünglich 1653 erbaute Kapelle sieht renoviert aus, ist geöffnet und innen beinahe leer – nur nackte Wände und Boden, eine einfache blaue Ikonostasi. Bisschen überrenoviert? Der Zahn der Zeit wird schon daran nagen.

Der Busfahrer hupt, was für ein Hektiker auf dieser beschaulichen Insel! Wieder durch die Einöde hinauf nach Chora, wo wir aussteigen. Wieder Regentropfen. Hätten wir einen Schirm mitnehmen sollen? Susanne hat sich beim gestrigen Baden einen leichten Hexenschuss zugezogen, will aber trotzdem mitwandern. Keine gute Idee, wie sich kurz darauf herausstellt.

 

Der Wind bläst den Regen weg, wir brauchen keinen Schirm. Zwischen Friedhof und Schule führt der anfangs breite Weg bergab Richtung Alopronia, ein Taubenhaus grüßt von rechts. Später kommen so viele Abzweigungen, dass man schon die Landkarte braucht um immer richtig zu gehen. Leider wird der Weg schmaler und unebener – kein Problem wenn man fit ist, aber mit Rückenschmerzen ist man nicht wirklich geländegängig, fährt jeder schräge Tritt ins Kreuz. Ich tippe auf eine Blockierung der Iliosakralgelenke, da hab ich selbst reichlich Erfahrung mit – schade, dass mein Doktor mit den heilenden Händen so weit weg ist!

Im Minimaltempo schleichen wir abwärts entlang terrassierter Hänge und Trockenmauern. Wieder Esel und ihre Sättel am Wegrand. Beeindruckend der Blick hinauf zum Kloster Zoodochos Pigi. Gegenüber an der Straße die Disco „Themonies“ – anwohnerschonend weit außerhalb möglicher Ortschaften. Aber hier ist nur im Sommer etwas geboten.

 

Auf gute halber Strecke quert ein Feldweg die Route, der zur Straße führt. Susanne und die Mutter biegen hier ab – es hat keinen Sinn, auf dem Weg weiterzugehen, der ab hier auch wieder sehr schmal ist und aufwärts führt. Auf breiter Piste geht es sich rückenfreundlicher, und vielleicht findet sich auch ein mitnahmebereiter Autofahrer. Ich will aber weiter, um einen Hügel herum, und zur Kapelle Panagia Sykia, die hoch über Alopronia liegt. Nun ungebremst presche ich los, der Weg ist aber sehr zugewachsen, ich garniere meine Waden mit weiteren Kratzern.

Nach gut zehn Minuten erreiche ich eine steile Schotterpiste, einen tollen Blick auf die Bucht von Alopronia hat man von hier! Und auf Santorin kann man sogar einzelne Häuser sehen, die weißen Häuserreihen von Oia sowieso. Aber wo ist die Kapelle, mein eigentliches Ziel? Die Schotterpiste führt links hinab zum Hafen, und rechts, da geht es zur Kapelle. Kann eigentlich nicht mehr weit sein, auch wenn ich sie nicht sehe. Aber die Piste ist so bestialisch steil, da wird mein Laufschwung beträchtlich ausgebremst. Dieter Graf gibt in seinem Wanderführer bei der Tour 50 als reine Gehzeit 25 Minuten von Alopronia bis zur Kapelle Panagia Sykia an. So lange werde ich später für den Rückweg brauchen, bergab. Aufwärts völlig illusorisch! Aber ich will ja auch keine Rekorde brechen, hab die reine Freude am Gehen, am Gucken, an der Aussicht.

 

Weitere zehn Minuten später sehe ich die Kapelle links am Hang liegen, der Weg führt jetzt eben hinüber. Ich komme näher, und bin überwältigt: das ist eine der schönsten Kapellen, die ich in Griechenland je gesehen habe!

Der hohe schmale Glockenaufsatz mit zwei Glocken und drei Zacken darauf, die gebrochene Steinstruktur, mehrmals erweitert, geweißelt, wie Würfelzucker wirkend, oder frischer Schnee. Sykiá – Feigenbaum? Ich sehe keinen. Ich verweile ein wenig im Hof der Kapelle, genieße den Blick hinunter auf Hafen und terrassierte Hänge, und hinüber nach Thira. Schnaufe durch.

Dann probiere ich, ob die Kirche geöffnet ist: sie ist. An den Wänden befinden sich Reste von Malereien, kaum mehr erkennbar. Ein frischer Basilikumzweig steht in einer Vase vor der einfachen hölzernen Ikonostase, der Boden ist auf typisch kykladische Weise mit unregelmäßigen Steinplatten gefliest, aber nicht bemalt. Ob ich eine Kerze anzünden soll? Ich tu es, denke an U. und meinen Chef – wie es ihnen wohl geht?

Wieder hinaus ins helle Licht. Nochmals Rundum-Gucken, dann geht es bergab Richtung Alopronia. Vorsicht, im schnellen Schritt kommt man auf dem losen Schotter leicht ins Rutschen! Da kommt mir doch tatsächlich ein Auto entgegen, ganz langsam, prima Übung für Anfahren am Berg. Wie lange der Weg wohl schon zur Fahrpiste ausgebaut ist? Die Stuttgarterin hatte sich mokiert, dass ihr niemand Auskunft darüber geben konnte wie lange man zur Fuß zur Kapelle brauche (klassischer Anfängerfehler) – hier ist die typisch griechische Antwort: me ta podia? Poté! Wo man doch mit dem Auto rauf kann.

 

Gegen 17 Uhr bin ich dann in Alopronia und treffe die (zeitweise Nicht-)Begleiterinnen bei Loukas. So, das Radler ist verdient, und Susanne bekommt ein Ibuprofen, das ich für den Notfall verrenkter Glieder dabei hab – ein Apotheke habe ich auf Sikinos nicht gesehen.

 

Dann noch ein wenig Ferry-Spotting – die „Artemis“ kommt, ein auffällig schnittiges Schiff, langnasig - kein Vergleich zu den lahm wirkenden „Aquas“ von NEL. Bringt nochmals neue Gäste, die bei uns auf der Landseite einziehen. Franzosen.

Als Aperitif trinken wir heute den gestern erstandenen einheimischen Weißwein – so gemütlich auf dem Balkon sitzend, mit Blick auf das sich allmählich violett färbende Meer, die dunkel werdenden Inselberge, schmeckt er ausgezeichnet. Morgen werden wir weiterziehen, ob die folgenden Quartiere auch so einen schönen Ausblick bringen werden?

Die Gästegesellschaft bei Loukas am Abend ist geschrumpft, einige Stammgäste sind heute abgereist. Ein kühler Wind kommt auf, einige Regentropfen fallen - nun scheint sich doch der Herbst anzukündigen. Uns kann es nur recht sein, die große Hitze lieben wir nicht, schon gar nicht beim Wandern. Solange es nicht richtig schüttet!

 

Und am Morgen steht ein Regenbogen über der Insel, überspannt das Panorama, das sich uns vom Balkon aus bietet. Wunderschön!

Wir haben für die Weiterreise nach Folegandros die Wahl zwischen der „Express Pegasos“ um zehn und der „Artemis“ um elf Uhr. Da Susanne nach Naxos will wohin nur die „Artemis“ fährt, weil ich mit der „Artemis“ noch nicht gefahren bin, und weil MartinPuc so von diesem Schiff geschwärmt hat, entscheiden wir uns für die „Göttin der Jagd“.

Susanne ist knapp an Bargeld, muss das Zimmer mit EC-Karte bezahlen, das ist tatsächlich möglich. Allerdings fällt, während unser Wirt den Geldtransfer abwickelt, der Strom aus! Genau während der Datenübertragung! Nicht, dass ein Stromausfall hier die Regel wäre – es ist der erste, den wir mitkriegen. Nach zehn Minuten ist der Strom wieder da, unser Wirt muss in Athen anrufen und nachfragen ob die Abbuchung geklappt hat. Sie hat – das war kein Abzockversuch, den wir auch nicht vermutet hätten. Dazu sind die Leute hier viel zu freundlich.

Unser Gepäck wird zum Hafen gefahren, wir kommen zu Fuß nach. Fünf Euro pro Person kostet die Überfahrt nach Folegandros, ein bisschen hat die Fähre Verspätung, kreuzt noch fotogen ein Segelschiff. Der kleingewachsene, kreuzlahm wirkende Leinenempfänger ist auch schon da, sitzt auf dem Poller.

Mit uns gehen nur wenige Leute an Bord, wir stellen das Gepäck an der Seite ab, nicht in die Boxen. Schnell legt das Schiff wieder ab, hinter uns wird der Blick auf Ios frei, könnte man auch mal wieder besuchen, jetzt, in der Nachsaison. Aber wir fahren in der Gegenrichtung, entlang Sikinos‘ Küste. Haben einen kurzen Blick auf das in der Sonne liegende Heroon auf den felsigen Hügeln.

 

Widmen uns kurz der an der Bar hängenden Speisekarte – tatsächlich: der Nescafé kostet nach wie vor nur 1,60 Euro. Auf der „Express Pegasos“ haben wir mehr als das Doppelte bezahlt…. Das Schiff ist nur mäßig belegt, die meisten Reisenden scheinen nach Folegandros zu wollen. Die Insel zieht auch in der Nachsaison noch größere touristische Massen an – anders als das zurückhaltende Sikinos.

 

Aber eines wissen wir ganz genau: Nach Sikinos werden wir zurückkehren.