Im Norden

Endlich Sonne! Ja, tatsächlich Sonne! Dass auch der Wind eine Stufe zugelegt hat (oder zwei), werde ich bald merken.

Das mit den Resten von gestern erweiterte Frühstück vergrößert meine gute Laune. Der Plan: in den Norden fahren, dort etwas wandern. Pyrgos besuchen. Und dann mal sehen.

 

Um zehn bin ich auf der Straße, fahre über Kato Klísma und Aetofoliá mit tollen Aussichten über das Inselinnere. Dann wird es einsamer und windausgesetzter, aber auch üppiger blühend.

Pyrgos lasse ich rechts liegen, biege nach Marlás ab. In diese Ecke von Tinos war ich noch nie. Richtung Küste gibt es Marmorsteinbrüche. Grüner Marmor, und das heißt hier nicht umweltfreundlicher Marmor, sondern tatsächlich in grüner Farbe. Theo hat darüber geschrieben, wie so ziemlich über alles auf Tinos. Ich habe es aber erst danach wieder gelesen.

 

Aber die Straße von Marlas zur Küste hinab ist in schlechtem Zustand und ich möchte sie meinem Leihwagen nicht zumuten. Aber die Füße vertreten möchte ich mir doch, und so parke ich das Auto in Marlas, einem weiteren schmucken, aber wenig belebten kleinen Dorf, wo die Katzen vergeblich auf den Bus warten. Hinüber nach Mamádos und zurück, nur eine kleine Runde. Schnell die Wanderstiefel an.

 

Natürlich gibt es hier auch einen Tinos Trail: E4 - auf dem Weg zu den Steinbrüchen. Er führt westlich aus Marlas hinaus über ein trockenes Hochtal mit Olivenbäumen und felsigen Kanten, vor denen sich die unverputzten Taubenhäuser ausgezeichnet tarnen. Nach zehn Minuten erreiche ich eine Kreuzung. Links geht es nach Mamados, dessen weiße Häuser und rotgedeckte Kapelle man schon auf einem Hügel zur Linken erkennen kann. Ziemlich nah. Der andere Weg führt nach Koumelas. Koumelas? Das liegt unten an der Küste. Eine Stunde vielleicht. Und eine Stunde wieder hoch. Ich bin gut drauf, es ist angenehm zu gehen, und der Wind verhindert Schweißausbrüche. Wasser, Pasteli und Kekse habe ich auch dabei. Also ändere ich schnellentschlossen den Plan und folge dem Weg durch das Hochtal nach Norden. Später geht es um einen Hügel herum, von dem aus ich die grüngrauen Blöcke des Marmorbruches unter mir erkenne kann. Ob ich nachher die Piste wieder hochwandern soll, um mir das von Nahem anzusehen? Sie macht ziemlich viele Kurven.

Der Weg wird unklarer, ist aber zuverlässig mit rot-weißen Zeichen markiert. Hervorragend! Ein dickes Lob den Machern der Tinos Trails!

 

Die Landschaft ist hier anders, kärger, trockener, dem Wind ausgesetzter. Nur vereinzelt verirren Blumen sich zwischen Steine und Kugelbüschen. Jenseits des Steno schiebt sich der windradbestückte Rücken der Nachbarinsel Andros ins Bild, gar nicht weit weg. Morgen werde ich übersetzen. Ein paar Ziegen beleben die Landschaft, die sonst nur vom Wind bewegt wird.

Dann geht der Weg abwärts, und vor mir, fast wie eine Fata Morgana, erscheint eine kastroartige, weißes Siedlung auf einem runden Kap an der Küste. Was ist das denn? Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit. Und links davon auf einem weiteren Vorsprung, noch mehr Häuser. Ich gucke auf der Karte nach und tatsächlich: da ist Malí (auch Malli). Ein richtiges Dorf, mit Kapelle, scheint es. Dass ich da trotzdem falsch liege, werde ich wenig später erkennen.

 

Ich umrunde einen weiteren Hügel, und nun liegt unvermittelt ein zweites solches Dorf vor mir. Es schmiegt sich an eine steile Bucht, die Kapelle darüber sieht aus wie ein Leuchtturm. Dann ist das Koumelás. Beim Näherkommen sehe ich, dass es sich um ein Geisterdorf handelt. Leer die Gestelle der Sonnendächer, kahl die Balkone, niemand zu sehen. Vielleicht nehmen im Sommer ein paar Einsamkeitsbedürftige die schlechte Straße auf sich und ziehen wochenweise ein. Vielleicht wurde das Dorf (oder vielmehr die Dörfer) für die Marmorarbeiter errichtet, die aber inzwischen doch lieber näher an der Zivilisation wohnen. Die schroffen Wände der sich nach Norden öffnenden Bucht bieten vielleicht etwas Schutz vor den Nordwinden. Aber nur etwas.

Ich verzichte darauf, nach Koumelas hinabzusteigen: der direkte Weg ist sehr steil und sehr lose. Und mit dem Mobilfunknetzempfang ist das hier so eine Sache.

Ich wende mich auf der Piste nach links und habe nach fünf Minuten den Felsensporn mit Mali vor mir. Ein felsiger Strand mit Bootshäusern à la Milos zur Linken, dahinter auf dem Hügel simple Häuser mit Flachdach, die Kapelle hat sich angepasst, ihr Dach ist zu einem Hauch Bläue ausgebleicht. Eigentlich hat das Potenzial, auf Milos würde man das längst vermarkten (nachdem die Straße verbessert wäre). Aber selbst die Tinioten scheinen diese Orte vergessen zu haben, die in keinem Reiseführer auftauchen. Echte Geheimtipps also.

 

Aber auch Mali ist völlig verlassen. Einzelne Solardächer und ordentlich weiße Hauswände lassen vermuten, dass das nicht immer so ist. Sogar ein Taubenhaus steht mittendrin. Ich wähle die Kapelle als Rastplatz aus, sie ist nicht verschlossen, hat eine Ikonostase aus weißem Marmor und ist natürlich dem heiligen Nikolaos geweiht. Doch, doch, es gibt Leute, die um die Existenz des Ortes wissen. Sie müssen sehr diskret sein.

 

Auf einem Simsen sitze ich windgeschützt mit der Kapelle im Rücken, esse meine karges Vesper und lasse die Gedanken schweifen. Ich bin froh, dass mich die Wege hierhergeführt haben, zu dieser Überraschung.

Südlich des Hauptdorfes liegt ein schöner Sandstrand mit weiteren Bootshäusern. Netze, Boote, Kisten, ein Tisch mit Stühlen - etwas unaufgeräumt, als würden sich die Einwohner vor dem piratenartigen Überfall der Touristin verstecken.

 

Die rot-weißen Wandermarkierungen enden hier, ich weiß nicht, wo es genau weitergeht. Vom Strand zurück ins Hinterland, oder zu den Häusern auf dem südlichen Felsen hoch? Fragen kann ich niemanden und bei Tinos Trails nachgucken auch nicht: kein Netz. Nein: kein Funknetz. Netze hat es schon. Ich suche hier und dort nach einem Durchgang hoch ins Felsental, wo der Aufstieg verlaufen muss. Schließlich werde ich bei den südlichen Häusern auf den grauen Felsen fündig, und die Markierungen leiten mich dann höchst zuverlässig bergwärts über geschichtetes Gestein. Danke für diesen Weg!

Der führt weiter oben sanft aufwärts entlang eines weiten Tales. Nur ein zarter grüner Schleier überdeckt die weite Felsenwüste gegenüber mit längst aufgelassenen Terrassenfelder. Noch nicht mal Ziegen sind zu sehen. Immerhin Nebelkrähen über mir. Sie nisten in den Felsentürmern weiter vorne. Und immer wieder flitzen Eidechsen aller Größen vor mir in schattige Steinritzen. Keinen Schlangen. Von wegen Tinos, die Schlangenreiche. Macht aber nichts.

 

Wenn der Wind nicht wäre, würde ich ordentlich schwitzen. So geht es mühelos vorwärts, und die Talsohle rechts unter mir wird gepflegter, genutzter. Man könnte hier bestimmt auch jenseits der Tinos Trails gut wandern, wenn man geländegängig genug ist.

Auf einem Kegelhügel liegt mal wieder weiß eine Kapelle (Agios Georgios Ras), und am Horizont hat Andros eine beachtliche Breite eingenommen. Nur eineinhalb Kilometer unruhiges Blau trennen die beiden Inseln.

Eine Dreiviertelstunde nach Mali erreiche ich dann die Felder von Mamados auf einer Hochebene. Die Odigitrias-Quelle gibt es hier, und eine Evangelistria-Kapelle mit Nebennamen "Ras". Für diese Gegend.

 

Über mir nun Mamados. Ein steiler Weg führt hinauf. Ich will das Dorf schon rechts liegen lassen, entscheide mich dann aber um. Ein nur bedingt lohnenswerter Abstecher, aber im Dorf treffe ich immerhin eine Einwohnerin mit Hund an. Es gibt hier also Leben.

Ich könnte auf der Straße in einer weiten Schleife nach Marlas gehen, aber der Fußweg ist interessanter, und so steige ich wieder vom Berg hinab und gehe durch die Eben zurück nach Marlas, wo ich um halb drei eintreffe. Die App gibt die Daten: 8,7 Kilometer, zweieinhalb Stunden reine Gehzeit, 310 Meter hinab und hinauf. Und es war eine echt schöne Tour bei perfektem Wanderwetter. Ich bin sehr zufrieden.

 

Am Parkplatz hat es ein kleines Mezedopolio namens "Me Raki....Tinos", das jetzt geöffnet ist, auch wenn noch keine Gäste da sind. Ich wage mich an einen der Tische draußen und bestelle eingelegte Artischocken und eine Limo. Die Artischocken-Portion dürfte etwas größer sein, und ich muss nochmals Brot nachbestellen. Zehn Euro bezahle ich zusammen, und weil es mir dann trotz Sonne doch zu frisch wird, suche ich zügig das Weite.

Natürlich geht es jetzt nach Pyrgos, das für mich eines der schönsten Dörfer der Ägäis ist. Und die schönste Platia hat (da lege ich mich jetzt einfach mal fest). Hier ist schon mehr los, ich stelle den Wagen auf dem Platz unterhalb der Bushäuschens ab, weil oben belegt ist.

 

Das Bildhauer- und das Chalepas-Museum schenke ich mir, dafür sind einige Läden geöffnet und ich kann einen Einkaufsbummel machen. Allerdings bieten die Boutiquen hier fast identische Dinge wie auf Naxos an (und die ich noch auf Andros sehen werde). Kein Ramsch, sondern durchaus gehoben und auch geschmackvoll, aber halt trotzdem austauschbar. Außerdem brauche ich eigentlich nix. So wandert letztendlich nur ein Glas Honig (Thymian, der Beste!) für meine wohnungshütenden Nachbarn in meinen Rucksack

 

Der Bummel endet an der Platia. Eine riesige Platane (1859 gepflanzt wie ein Schild erklärt), jede Menge Marmor, auch im schönen Brunnenhaus, und einige Lokale gestalten diesen stimmungsvollen Platz, der sehr belebt ist. Viele junge Griechen, vielleicht aus der nahen Bildhauerschule, sitzen an den Tischen, die ausländischen Touristen sind eindeutig in der Minderheit.

Pyrgos und Platia - das bedeutet für mich zwingend: Galaktobureko. Sollte beim Leser der Eindruck entstanden sein, ich sei ein Galatobureko-Freak, so täuscht das mitnichten. :-) Aber in welchem der drei offerierenden Lokale, die zudem ineinander übergehen? Ich wähle ein rundes, marmorgeschnitztes Tischchen unter der Platane und einen Elliniko glyko zum Grießpudding-Blätterteig. Beides kommt schnell, begleitet von einem Glas Brunnenwasser. Schmeckt köstlich und lässt mich die lebendige Atmosphäre dieses Wohnzimmers von Tinos doppelt genießen. Das nächste Mal doch wirklich ein Zimmer hier? Nachdem ich fünf Euro bezahlt habe, gehen ich noch zum Friedhof hoch, einer Grabmal-Ausstellung der besonderen Art. Und das Memento Mori des Schädels am oberen Rand ist auch noch da. Danach noch einen Runde durch die eher leeren Gassen abseits.

Es ist jetzt fast fünf Uhr - was tun mit dem Rest des Tages? Zuerst nach Ormos Panormou hinab. Das nette Dorf samt Strand liegt verschlafe in der Nachmittagsruhe, sympathisch die Schar Enten, die von einer Taverne mit Zuneigung und Futter versorgt werden. Zum Baden lädt hier aber auch nichts ein.

 

Also wieder auf den Berg, nach Isternia, wo wie immer der Wind über die Passhöhe tobt und das Aussteigen auf dem Auto nahezu verunmöglicht. Er bleibt auch auf der Panoramastraße ein treuer Begleiter. Nikos, der Autoverleiher, hatte die Bucht von Agios Romanos als nordwindgeschützt in der Karte markiert. Dann müsste doch eigentlich auch die weiter westlich gelegene Giannaki-Bucht geschützt sein, denke ich, und kurve die steile Straße hinab. Um unten zu erkennen, dass dem mitnichten so ist, im Gegenteil: die Böen wirbeln die Meeresoberfläche aufs Heftigste auf und lassen mich schnell Deckung vor dem Standstaub suchen. Flucht ins Auto. Aber in der Kurve ist die Taverne "Dinos" (Ntinos), die Nikos ebenfalls als empfehlenswert markiert hat. Ist zwar noch etwas früh fürs Abendessen, aber wenn ich schon mal hier bin.... Ein Parkplatz ist noch frei, durch das Tor gelange ich auf die plastikgeschützte Terrasse über dem Meer. Eine griechische Großfamilie besetzt einen langen Tisch, sie sind aber schon fertig mit Essen (Mittagessen vermutlich). Kaum habe ich mich gesetzt, steht eine Glasflasche mit Wasser vor mir, aus der mir der Kellner flugs einschenkt. Dazu reicht er die Speisekarte. Der Blick darauf ergibt: recht gehobene Preisklasse. Und so wahnsinnig hungrig bin ich ja noch gar nicht. Also bestelle ich nur eine Portion Sardinen vom Grill für 16 Euro, mit Brot. Getränkemäßig bin ich mit dem Wasser auch versorgt, und kann nun bestaunen, wie die beiden jungen Kellner sich dabei überschlagen, mir nachzuschenken kaum dass ich mehr als zwei Schlucke aus dem Glas getan haben. Das erfolgt eher ungeschult und heiter, aber sehr sympathisch.

 

Ob ich eine Kakavia, eine Fischsuppe vorab wolle, fragt nun der eine. Die ginge aufs Haus. Da sage ich nicht nein, und habe schnell einen gar nicht so kleinen Teller köstlicher Suppe vor mir stehen. Die Sardellen folgen prompt nach Verzehr der Suppe, und zum Abschluss gibt es noch eine Kugel Eis, ebenfalls aufs Haus. Eine derartige Großzügigkeit bin ich von den Kykladen nicht gewohnt, und habe fast ein schlechtes Gewissen angesichts meiner sparsamen Bestellung. Die Rechnung beträgt schließlich 22 Euro (die Kakavia taucht mit einem Cent darauf auf, das Wasser mit 3,50, Brot mit 2,50). Bei drei Gängen kann man da eigentlich nicht meckern.

Wieder hinauf zu windigen Panoramastraße, und hinüber nach Tarambados. Eine Kapelle steht in einem wogenden Getreidefeld, die zersiedelte Küste von Mykonos im Hintergrund ganz nah. Näher noch der Exomburgo hinter einem vom Wind gestriegelten violetten Feld.

 

Das Taubenhaustal liegt nun in wunderbarem Abendlicht, und ich möchte für einen Fotobummel nochmals halten. Aber die Zufahrtsstraßen sind alle zugeparkt, weit über das normale Maß hinaus. Rush-Hour am Freitagnachmittag? Ein kulturelles Event? Ich zwänge den Nissan noch an eine Ecke, gehe ins Dorf. Als mir die ersten Menschen in gesetzter Kleidung begegnen, weiß ich, dass es ein trauriger Anlass ist, der sie hier zusammengeführt hat: eine Beerdigung. Nein, da will ich nicht auffallen oder stören, und eile zum hinteren Ortsausgang, lichte die Taubentürme in fast schon herbstlich wirkender Stimmung ab.

Die Taverne "San ti Gi" ist jetzt geöffnet, die Tische eingedeckt. Für den Leichenschmaus? Gibt es das in Griechenland?

Gegen halb acht bin ich wieder im Quartier in Krokos. Ein langer Tag voller Eindrücke war das. Den Sonnenuntergang erlebe ich auf dem Balkon, heute gehe ich nicht mehr aus. Schade eigentlich, dass ich morgen schon weiter reise.

 

*

 

 

Um neun Uhr habe ich gefrühstückt und gepackt. Meine Fähre geht erst um 15 Uhr, aber ich will noch etwas von der Insel und von Tinos-Stadt sehen. Der Wind hat etwas nachgelassen und die Sonne scheint. Endlich hat sich der Mai auf seine meteorologischen Aufgaben besonnen und kommt ihnen nach. Wird auch Zeit!

 

Über Skalados steuere ich den Nissan bergwärts, lege eine kurzen Fotostopp in Koumaros ein. Die Beleuchtung ist heute sehr schön ohne langweilig zu sein, und der Wind sorgt für ausreichend Bewegung.

Um den Exomburgo herum, dann die Stichstraße hoch zum Kloster Ieras Kardias, dem Herz-Jesu-Kloster. Wenig überraschend ist es geschlossen. Aber ich erfreue mich einfach nur an diesem frischen Morgen mit der schönen Aussicht.

Weiter über Mesi, mein Ziel ist Dyo Choria. Aber da komme ich doch am Kloster Kechrovouni vorbei, und da war ich doch ewig nicht mehr. Wenn es geöffnet wäre, würde sich ein Besuch lohnen. Wo doch sogar der Klosterhasser Theo zuletzt mir gegenüber freundliche Worte darüber gefunden hat.

 

Ich parke an der Straße gegenüber vom Klostereingang. Ein älterer Mann verkauft vor dem Koster Kräuter und Lokales. Das Kloster ist geöffnet, aber der Zerberus am Eingang besteht auf einer Maske. Hallo, wir haben Mai 2023, Corona und der damit verbundene Maskenzwang ist überall (vorerst) vorbei. Und sollte nicht in einem Kloster sowieso genug Gottvertrauen vorhanden sein? So hatten es zumindest die Rechtsausleger unter den Metropoliten während der Hochzeiten von Covid behauptet, und manche der betagten Männer hatte das Virus dann auch prompt direkt in den Himmel befördert. Die Frauen - Kechrovouni ist ein Nonnenkloster - sind offenbar gescheiter. Und ich habe ja auch eigentlich immer eine Maske dabei. Nur hatte ich die heute Morgen in den Tiefen meines Trolleys verstaut. Brauch ich ja nicht mehr. Falsch gedacht. Fällt der Klosterbesuch eben aus, den pirasi.

 

Der Kräutermann bietet mir dann tatsächlich eine Maske an, aber inzwischen ist mir die Lust aufs Kloster vergangen. Lieber investiere ich das Geld in eine Tüte getrockneter Tomaten. Und das war auch gut so, denn nun entlässt ein großer Reisebus eine Schar Leute. Keine griechischen Pilger, sondern internationale Wanderer, aber natürlich besuchen sie zuerst das Kloster. Ob sie vorgewarnt sind und alle Masken dabei haben, kann ich nicht mehr überprüfen - schnell mache ich Platz und sause davon.

 

Arnados ohne Stopp, dann die Gegend um Triandaros und Dyo Horia, die ob ihrer Beliebtheit bei Immobilienbesitzer inzwischen auch ganz schön zersiedelt ist. In der Kurve zwischen Dyo Choria und Triandaros halte ich an und gehe zu Fuß ein paar Schritte zum Bildhaueratelier von Theos Mülheimer Bekannten Monika, ihres Zeichens Bildhauerin. Ihre Werkstatt hat sie im Freien (der Wind staubt gleich ab, wie praktisch), und ich treffe sie weißüberstaubt und gehörgeschützt beim Schleifen einer kleine hellgrauen Skulptur mit organischer Form an. Zeit für ein Schwätzchen, und sie zeigt mir dann auch das Innere der Werkstatt, die sie sich mit einem einheimischen Bildhauer teilt. Und ich erinnere mich, dass es einige Jahrzehnte her ist als ich erwog ob Bildhauerin eine Profession für mich wäre. Damals habe ich den Textilstaub aber lieber gegen Bücher- als gegen Steinstaub eingetauscht. Ob das eine weise Entscheidung war? Körperlich weniger beanspruchend sicher.

Monikas Mann Günter ist in der Stadt unterwegs. Er schwimmt jeden Tag im Meer wenn sie auf Tinos sind, erzählt Monika. Auch im Winter. Respekt!

 

Schnell ein Selfie für Theo, dem vielleicht in der letzten halben Stunde die Ohren geklungen haben. Nein, natürlich nie würden wir unseren zeitweiligen, aber anspruchsvollen Reisebegleiter lästern.
Zu lange will ich sie nicht von der Arbeit abhalten, außerdem zieht es mich ebenfalls in die Stadt. Kalo Kalokeri, Monika! Ke kali doulia!

Noch ein, zwei Fotostopps, dann erreiche ich Tinos. Nikos vom Autoverleiher Dellatolas hat empfohlen, am Hafen zu parken. Ganz den optimalen Zeitpunkt habe ich mit dem späten Samstagvormittag aber gerade nicht erwischt: zwei Fähren haben gerade einen großen Teil ihrer menschliche Fracht auf Tinos entladen, und so wimmelt der weiß Gott großzügige Hafen von Menschen. Die meisten streben der Stadt zu, und ich tue es ihnen nach nachdem ich den Wagen ordnungsgemäß geparkt habe. Wallfahrerinnen und Besucherinnengruppen auf Wochenendbesuch - die Insel der Panagia wird mehr von Frauen besucht als von Männern. Und die Panagia ist auch nicht so misogyn wie die Mönche auf dem Athos glauben, die allem weiblichen den Zugang verwehren.

 

Ohne Frauen wäre auch die "Kriechspur" verwaist. Der schmale Streifen mit abgewetztem Teppichbelag, der schnurgerade von der Paralia hinauf zu Wallfahrtskirche Panagia Evangelistria führt und auf dem Bittende und Büßende sich demütig auf allen Vieren der Prachtkirche nähern. Heute sind es nur vereinzelte, aber ich kann keine Mann darunter entdecken. Der Laden könnte zumachen wenn er auf Männer setzen würde. Die tun lieber unbeteiligt, wenn sie dabei sind.

 

Ich habe nichts zu bitten und bleibe zweibeinig. Wechsele hinüber in die Bazargasse, auch Devotionaliengasse genannt. Hier ist mehr Leben als in der Parallelstraße und ich genieße diese lebendige Mischung aus Rummel und Religion. Auch Wallfahren ist vor allem ein Geschäft. Ein äußerst lukratives. Immerhin hält sich die Schlange auf der Kirchentreppe heute in Maßen. Ich spähe vom Seiteneingang aus ins Kircheninnere, zögere zu Fotografieren. Aber die Menschen im Inneren befleißigen sich weniger Zurückhaltung: gezückte Handys überall. Nur ein korpulenter Pappás dazwischen, mit Weihrauchampel und kritischem Blick.

 

Schnell wieder hinaus, wo sich nun auch Familien drängen. Herausgeputzte Mädchen, junge Frauen mit Kinderwagen, coole Hipster in wattierten Jacken. Nur die Senioren sind weniger geworden.

Ich streune noch etwas um die Kirche und zum Friedhof. Noch zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt.

 

Im "To Koutouki tis Elenis" ergattere ich einen der raren Tische draußen, bestelle eine Froutalia. Das diskusgroße Omelette mit Kartoffeln und Wurst wird mich auf Stunden sättigen. Schwerfällig rolle ich mich dann zum Viertel nahe der Uferpromenade hinab, kaufe mein Ticket nach Andros und an den Ständen des mickrigen Wochenmarktes eine große Tüte Salzkapern für sieben Euro.

 

Um halb drei liefere ich meinen Mietwagen bei Dellatolas ab, werde mit Gepäck zum Hafen gebracht.

Die klassischen "Pferche" für die einzelnen Fähren. Und die Sonne ist schon wieder so, dass man den Schatten sucht. Aber auch den Windschatten.

Die "Superferry" erscheint pünktlich, und kurz nach ihr noch die "Blue Star Paros". Fast synchron legen wir um drei Uhr ab, die Blue Star nach Piräus über Syros, unser Kurs ist Rafina über Andros, entlang der Küste von Tinos. Und Andros.