Donnerstag, der Himmel ist noch grauer geworden, und der Wind fast völlig weg. Dieses Südwetter ist nicht so mein Fall, eine schwüle Wärme. Dann doch lieber den kalten Nordwind, der die Wolken vertreibt.
Zum Frühstück probieren wir die kleinen süßen Tiropitakia vom nahen Bäcker, die es auf Tinos nur um Ostern herum gibt (behauptet der Reiseführer) - sie schmecken gut, leicht nach Orange, sind aber etwas trocken. Im Gegensatz zu den mit Myzithra gefüllten Lichnarakia von Chania - mmmhhh....
Gegen halb elf Uhr fahren wir wieder los. Zunächst zum Heldendenkmal an Südostende des Hafens von Tinos: von hier hat man einen schönen Blick auf Tinos-Stadt. Und das kunstrasengrüne Fußballstadion, das eingequetscht zwischen Hügel und Hafenbecken liegt. Nach Osten hinaus verlassen wir Tinos-Stadt, biegen dann in Agia Varvara nach links ab.
Unser Ziel ist Tinos' höchstgelegenstes Dorf, Arnados, und der Grund für die Dorfbesichtigung ist die Aktion "unser Dorf soll schöner (und lebendiger) werden", von der Theo mir erst letzte Woche geschrieben hatte und über die er auch einen Artikel auf seiner Website verfasst hat.
Solchen Initiativen sollten ja schon gewürdigt werden, und weil ich nicht unbedingt einem wildfremden Dorf Geld spenden möchte, sind wir jetzt hier, parken das Auto an der Straße unterhalb des gezwungenermaßen autofreien Ortes und nehmen die erste Treppe aufwärts in den Ort hinein.
Einige Arbeiter sind tatsächlich schon zugange, es riecht nach Zement und frischer Farbe. Von Einwohnern ist aber nichts zu sehen. Und es gibt auch noch viel zu tun: schmucke Tordurchgänge wechseln sich mit verwahrlosten Hausruinen ab, frisches Grün und bunte Blumen setzen Farbtupfer in den typischen verwinkelten Kykladengassen. Sehr schön gepflegt ist das neue Brunnenhaus in Marmor und Schiefer, während ein weiter westlich gelegenes, in den Hang hinein gebautes, altes Brunnenhaus grün-vermoost vor sich hingruftelt und die Hornissen in Scharen anzieht. Es sieht trotzdem benutzter aus als der neue Brunnen.
Auf einem "Baugerüst" an einem Neubau hoch über der Dorfgasse turnen Handwerker. Ob hier jemand dauerhaft wohnen wird, oder ob es nur ein weiteres Urlaubsdomizil gibt? Die Aussicht von hier auf die terrassierten Hänge - im Mai in Saftgrün - ist zumindest nicht schlecht, auch wenn Mykonos heute im Diesiggrau verschwindet. Oder vielleicht besser so?
Sehr gepflegt ist die Platia an der Hauptkirche Analipsi (Christi Himmelfahrt, daher das Fest immer vierzig Tage nach Ostern), und das Kafenio dort hat die Stühle und die Deko (Europalette!) frisch gestrichen. Ein paar Stufen hinauf ist ein zweites Lokal, das Kafemezedopolio von Kyria Stella. Die Stühle sind aus Plastik, aber die Tischen sind originell dekoriert und so lassen wir uns wenigstens auf eine Limo nieder. Wie meinte Theo: "Wenn auch keiner was spendet, dann kommt bestimmt irgendeiner ins Dorf und trinkt 'ne Limo..."
Erledigt. :-)
Aber eine Quittung gibt es nicht.
Am Kloster Kechrovouni und östlich am Exombouro vorbei (da würde es heute bestimmt nicht so stürmen wie beim letzten Besuch, aber Aussicht hat es auch keine) kurven wir nun nach Falatados. Hier auf Tinos ist es noch viel grüner und blühender als auf Ios - die Nordkykladen sind deutlich wasserreicher als die Südkykladen.
Nördlich von Falatados an einer Abzweigung parken wir das Auto und ziehen die Wanderschuhe an. Durch die Landschaft der überdimensionierten Granitkugeln wollen wir nach Volax wandern. Das ist nicht weit, eher ein Spaziergang. Wanderbeschreibung haben wir kein, aber auf der Terrain-Karte ist der Fußweg eingezeichnet, der zwei Pisten verbindet. Und Theo (ja, wieder Theo) ist da auch irgendwo herumspaziert. Allerdings nicht nach Volax.
Die Piste führt sanft bergab durch Steinkugelgebiet. Das kontrastiert schön mit den Wiesen und der Macchia in ihrem üppigen Grün, und wenn jetzt die Sonne scheinen würde, wäre es perfekt. Tut sie aber nicht. Nach ein paar Metern liegt unter uns eine steinfreie saftgrüne Ebene. Sieht mehr nach Ir- als nach Griechenland aus..... Hier waren sicher mal Felder, aber jetzt scheinen sie nur noch Weideland für Ziegen zu sein. Unvermeidlich eine Kapelle am Ebenenrand.
Am Horizont sind die Konturen von Meer und Himmel verwischt.
Noch ein paar Meter, und wir sehen unser Ziel Volax jenseits des Tales liegen. Und über uns am Hang die Kapelle Panagia Theoskepasti, das Schutzdach Gottes. Eine beeindruckend unter einem riesigen Felsenplatte liegende Kapelle gleichen Namens gibt es auf Ikaria, aber die Steine sind hier zwar auch gigantisch, aber nicht so flach, und so ist die Kapelle nur daran gebaut, und nicht darunter. Hübsch ist sie trotzdem, und im Gegensatz zu den iotischen Kapellen auch geöffnet. Wird auch Zeit, endlich Kerzen anzuzünden.
Draußen wächst der blühende Thymian direkt auf einem Granitkissen.
Vierhundert Meter weiter, vorbei an Steinen, die zum Unterstand für Ziegen umfunktioniert wurden, zweigt links ein Monopati von der Piste ab, das wir nehmen. Zunächst ist es sehr deutlich und bequem, dann führt es über einen Hang hinab ins Tal und wird etwas beschwerlicher und schwerer zu finden. Aber da sind wir ja Schlimmeres gewohnt.
Unten im Tal treffen wir dann wieder auf eine Piste, die hinauf nach Volax führt. Fünf Minuten noch bis zur geöffneten Taverne "Volax" am Ortseingang. Gegenüber ist ein Stand, an dem man Kräuter, eingelegte Kapern und diverse Marmeladen kaufen kann. Der Verkäufer spricht uns auch gleich an - die Kundschaft ist noch überschaubar. Na, vielleicht auf dem Rückweg.
Wir sind gemütlich gegangen und haben mit Kapellenbesuch etwas über eine Stunde vom Auto aus gebraucht.
Bevor wir etwas essen wollen - ich möchte lieber zu "Rokos" - drehen wir eine Runde durch das Dorf. Es gibt hier einige Familien von Korbflechtern, und so treffen wir gleich auf den ersten Laden, vor dem zweifarbige Körbe stehen. Drinnen schneidet ein Mann die Ruten für das nächste Flechtwerk zu, seine Frau bietet uns Rakomelo an. Die Korbwaren sind nicht teuer, ich kaufe eine kleine umflochtene Flasche für neun Euro. Nettes Souvenir, und nicht so sperrig wie ein Korb.
Fast in ganz Volax hat jemand Wände und Fensterläden mit Gedichten verziert. "Mikri Patrida" von Paraskevas Karasoulos (schön vertont von Giorgos Andreou und gesungen unter anderem von Pantelis Theoharidis oder Giorgos Dalaras) oder "Stavros tou Notou" von Nikos Kavvidias sind zu lesen. Mhh. Braucht Volax diese poetische Aufwertung? So in seiner steinschweren Lage hat das Dorf schon etwas sehr melancholisches, aber die Lyrik macht es nicht leichter.
Wir gehen bis zur Kirche, aber das kleine landwirtschaftliche Museum ist geschlossen, und auch sonst ist niemand hier im Ort unterwegs. Auch nicht die Dame mit dem ausladenden Gesäß, die wir letztes Mal getroffen haben. Dafür stoßen wir oberhalb des Theaters auf einen zweiten Laden mit Korbflechtereien, und noch auf einen weiteren mit Büchern, Geschenken und Souvenirs. Der Besitzer ist sehr gesprächsfreudig, wir reden über Gott und die Welt, und er erzählt auch von dem Freund, der überall die Gedichte aufgemalt hat. Ein Künstler wohl.
Inzwischen knurrt unser Magen beträchtlich, und es trifft sich gut, dass "O Rokos" geöffnet hat. Wir sind allerdings die einzigen Gäste, und mir fällt gerade noch rechtzeitig ein, dass doch jetzt Artischockenzeit ist. Es gibt zwar nur Artischocken mit Öl und Zitrone, aber zusammen mit einem Kapernsalat und einer Ladung Knoblauchbrot passt das, und schmeckt ausgezeichnet. Der Kapernsalat ist übrigens völlig anders als wir gedacht haben: kein eingelegtes Kapernkraut, sondern ein pikant-kapriges Püree.
Ein Mann und eine Frau kommen noch, ich glaube, sie wollen Anzeigenkunden für "Tama" rekrutieren. Zumindest haben sie das Heft dabei, und auch andere. Ich spitze neugierig die Ohren, aber sie sitzen zu weit weg.
So, und jetzt wäre ein Mittagsschläfchen nett. Dafür ist aber angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit keine Zeit, zumindest nicht für mich. Für die Mutter schon, weil ich nämlich alleine zum Auto zurückwandern werde und sie dann damit abholen werde.
Zügig marschiere ich los, hinab ins Tal. Und verpasse dort prompt den richtigen Einstieg, irre am Hang zwischen den Steine umher und komme mächtig ins Schwitzen (hat ja keinen Wind heute). Hilft nichts, ich muss zurück - nur auf dem richtige Weg kommt man hinauf ohne sich Hals oder Beine zu brechen oder zumindest saumäßig zu verkratzen.
Oben auf der Piste ist dann plötzlich richtig was los: zuerst eine Frau in einem Kleinwagen, die wohl glaubt, sie müsste diesen einem Unterbodentest aussetzen. Dann ein paar neugierige Ziegen sowie zwei unter einem Stein angekettete und wütend bellende Jagdhunde. Als nächstes eine Schlange, die sich in die Büsche schlägt ehe ich sie identifizieren kann. Und schließlich ein Einheimischer mit seinem Pickup, der nach seinen Schafen guckt.
Ich glaube, ich krieg gleich Stresssymptome....
Kurz vor vier Uhr bin ich wieder am Auto und kurve auf langen Umwegen zum Luftlinie so nahe gelegenen Volax. Ich habe noch Lust, schwimmen zu gehen, und so fahren wir nach Kolymbithra. In der Hoffnung, nicht wieder so ein Teer-Desaster zu erleben wie vor Jahren.
Erst noch ein Käffchen in der Taverne über dem östlichen Strand, der gepflegter ist als der breite Weststrand. Dafür wird man dort nicht von allen Tavernenbesuchern (und das sind überraschenderweise einige) beobachtet, was mir jetzt missfällt. Also rüber zum anderen Strand, die Treppen an den grünen Steinen (Marmor oder Schiefer?) runter. Kein Teer. Und keinen Schildkröten im Flusslauf im Hinterland. Dafür ist das Meer so kalt, dass ich es auch mit viel Überwindung nicht schaffe, mich hineinzustürzen. Gut, kein letztes Bad. Muss ja nicht, ist schließlich Urlaub.
Über Agios Romanos und Kionia fahren wir wieder zurück nach Tinos-Stadt.
Kaufen unsere Fährtickets für morgen und erhaschen einen Blick auf die neue, alte Fähre "Aqua Spirit" von Seajets, die wir vor Wochenfrist auf Amorgos schon von weitem gesehen haben.
Zum Abendessen brauchen wir den Mietwagen dann nochmals, denn wir fahren nach Kionia ins "Maistrali". Das Lokal befindet sich in dem Knick zu Beginn der Paralia beim Poseidontempel. Es gibt noch eine zweite Taverne dort, das "Tsambia", das etwas dahinter liegt und in dem es uns auch schon geschmeckt hat. Nun hatte Theo aber das "Maistrali" empfohlen, und auf der weitläufigen Terrasse sitzt man schön und hätte Blick aufs Meer wenn es nicht schon dunkel wäre.
Für die abgelegene Lage ist die Taverne sehr gut besucht, es sind mehrere Gruppen da.
Wir bestellen Keftedakia und eine Artischocken-Pitta, die hervorragend schmeckt. Dann geht plötzlich ein Regenguss nieder, die Belegschaft schwärmt aus und räumt Tischen und Stühle ins Trockene. Bis das erledigt ist, hat der Regen aber schon wieder fast aufgehört.
Schade, dass wir morgen schon nach Athen zurück müssen weil am Samstagnachmittag unser Flugzeug in die Heimat startet. Schade auch, dass es samstags kein Vormittagsfähre nach Rafina gibt, dann hätten wir einen Tag länger hier.