Um Volissos herum: Malagiotis und Agia Markella

 

Es ist ganz schön frisch in der Nacht, das Außenthermometer zeigt gerade mal 13 Grad. Da kommt dann die Klimaanlage zwecks Heizung zum Einsatz bevor wir aus dem Bett kriechen. Fühlt sich immerhin etwas wärmer an. Ich hole Brot beim Bäcker (in einem besseren Verschlag, aber beschildert – wäre sonst nicht zu finden), frisch aus dem Ofen. Leider gibt es wirklich nur Brot dort (eine Sorte), keine leckeren Koulourakia, Tsourekia oder Bougatses. Beim Frühstück auf dem Balkon sind wir froh an der Sonne – der Wind ist immer noch kalt. Gut zum Wandern. Wobei: heute ist Samstag, und überall knallen wieder die Büchsen der wilden Jäger von Chios. Sollten wir uns da in Gefahr und abseits der Straßen begeben? Wir hoffen einfach mal, dass sie uns von dem jagbaren Kleinwild der Insel unterscheiden können.

 

Wir wollen die Wanderung zur Panagia Neromilon im Malagiotis-Tal machen, die im MM-Führer auf Seite 170/171 beschrieben wird. Nichts anspruchsvolles, eher ein Spaziergang von fünf, sechs Kilometern. Wir stellen das Auto eineinhalb Kilometer östlich von Volissos an der Straße und dem Beginn eines Feldweges ab und gehen vorbei an einem Hof durch Olivenhaine. Schon nach wenigen Minuten erreichen wir die Kapelle Agios Giorgios Vassilikon, ein hübsches byzantinisches Gotteshaus mit einem Loggia-Vorbau und achteckigem Kuppelturm. 1817 wurde die Kirche erneuert, und jetzt gerade offensichtlich renoviert.

Die Türe ist mit einer Kette verschlossen, die sich aber lösen lässt, so dass wir ins Innere der Kirche kommen. Die Bauarbeiten sind innen noch nicht abgeschlossen, das Gestühl ist mit Planen abgedeckt, Dreck liegt auf dem Boden. Aber die hölzerne, leere Ikonostase und die verzierte Stuckdecke sind interessant.

Neben der Kirche steht eine wehrturmähnliche Ruine. Was das wohl war?

Dann geht es das flache Tal hinaus, an einem merkwürdigen container-barackenähnlichen Bau vorbei. Immer wieder knallen Schüsse, glücklicherweise weiter entfernt. Ein Pickup mit Jagdhundbox überholt uns. Heia Safari!

Vor uns Bergspitzen jenseits des Tales – der Oros und der Skoni, weiter nördlich die Pelineo-Gipfel. Auf dem Weg zur Neromilon-Kapelle liegen seitlich die Ruinen mehrerer Wassermühlen. Zu sehen ist aber nur bei einer etwas mehr, ein Schild weist auf die Ruine hin. Ein großer Mühlstein liegt in den Mauerresten.

 

Es ist ein schönes und unangestrengtes Gehen. Die Olivenhaine werden jetzt von Frygana abgelöst. Vor einem Ziegenhof verlassen wir die Piste nach rechts zum breiten Bachbett des Malagiotis, ein Pfeil weist uns den richtigen Weg. Der Bach führt Wasser, für Kinder wäre es schön hier zu spielen. Und dann sind wir schon am Ziel, an der weißen Kapelle der Muttergottes von den Wassermühlen. Alt scheint sie nicht zu sein, aber sie hat einen großzügigen Picknickbereich mit hölzernen Tischen und Bänken, alles im Schatten großer Kiefern liegend. Wir suchen aber die Sonne, im Schatten ist es zu kühl. Etwas über eine Stunde haben wir gebraucht. Es ist niemand da, auch keine Jäger, bei denen wir einen Frappé schnorren könnten.

Schön hier.

Auf einer hinter der Kapelle angebrachten Holztafel ist der Weg als Rundweg verzeichnet, nur wo die Abzweigung sein soll erschließt sich uns nicht so ganz. Wenn man das Tal weiter geht, so trifft man nach ungefähr sechs Kilometern und ein paar Höhenmetern auf das Dorf Kipouriés. Das ist uns zu weit, und wie käme man zurück zum Auto?

So gehen wir auf dem gleichen Weg zurück und haben weiterhin Glück, dass sich die Jäger entfernt und uns nicht für Beute halten.

Nach einer Mittagspause auf dem Balkon steht am Nachmittag noch die Wallfahrtskirche Agia Markella auf dem Programm. Agia Markella liegt sechs Straßenkilometer westlich von Volissos an der Küste und besteht aus einer gepflegten Klosteranlage. Die heilige Markella ist die Inselheilige von Chios, und prompt werden wir heute Abend in der Taverne eine leibhaftige Markella treffen – die Tochter der Wirtin des „Pythonas“.

Die Heiligengeschichte der Markella erinnert uns an die Inselheilige von Kythira, Elesa. Auch sie wurde (um 1500) vom eigenen christenhassenden Vater verfolgt weil sie gläubige Christin war, die Erde tat sich auf ihr flehendes Gebet hin auf um sie zu verbergend zu schützen. Leider war der Spalt nicht tief genug (shit happens), und der Kopf der (noch nicht heiligen) Markella ragte heraus, woraufhin sie (also beide Heilige, Markella und Elesa) vom wütenden Vater enthauptet wurden. Auf Kythira wurde an Ort und Stelle eine Kirche gebaut, auf Chios wurde der vom Vater ins Meer geworfenen Kopf Jahre später an der Steilküste angespült, und ein Stück entfernt ein Kloster gebaut. An der Anschwemmstelle ist eine kleine Kapelle, und das Wasser soll sich dort immer wieder rot färben. Das jährliche Panigiri findet am 22. Juli im Kloster statt, und da müssen sehr viele Pilger hierher auf den Beinen sein. Wobei auch sonst im Sommer viele griechische Wallfahrer nach Agia Markella kommen.

 

Als wir am Samstagnachmittag gegen drei Uhr in Agia Markella eintreffen, sind aber nur eine Handvoll Besucher da. Die Kirche ist von außen schmucklos und unauffällig, so dass wir sie zwischen den ausladenden Platanen erst gar nicht ausmachen können. Ein Mann, der den Garten pflegt, weist uns den Weg. Er freut sich als er hört, dass wir aus Deutschland kommen – da hat er mal gearbeitet.

 

Das Kircheninneren hat bei mir keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen – da fehlt es wohl am Glauben. Und danach sind wir erst mal ganz irdischen Dingen zugetan: wir haben Hunger. Am schönen schwarz-grauen Agia-Markella-Strand gibt es eine Taverne, und auch hier lässt die Größe darauf schließen, dass man auf Menschenmassen eingestellt ist. Weil jetzt außer uns nur noch ein Touristenpaar da ist, haben wir die freie Platzwahl, setzen uns außen in den windgeschützten Bereich und bestellen gebratene Sardellen und Tomatensalat. Beides schmeckt gut, und bei einem Preis von vierzehn Euro inklusive einem Viertele Wein und Wasser kann man nicht meckern.

Der Himmel knallt in einer Bläue runter, dass es eine wahre Freude ist - was ein schöner Tag.

Den angedachten Badeversuch ziehe ich des kühlen Windes wegen aber doch nicht durch. Außerdem wollen wir zunächst zum Fundort des Markella-Kopfes. Über den Strand geht es nach Norden zum Beginn der Steilküste, wo ein betonierter Weg entlang des Ufers zum Pilgerziel führt. Die heute starke Brandung hat den Weg überspült, und nach wenigen Metern sehen wir, dass es bei einem Fußbad nicht bleiben wird falls wir weiter wollen: hoch gischtet das Meer über den Weg. Da der Weg um den Felsen biegt und den Blicken entschwindet, können wir auch nicht sehen wie weit es zur Märtyrerstätte ist und wie lange man sich den Meerduschen aussetzen muss. Mhh, wir sind ja keine Pilger, und so verzichten wir leichten Herzen auf die Fortsetzung des Weges. Setzen uns lieber in die verwaisten Strandliegen – kein einziger Badegast am langen Markella-Strand - und genießen den Meerblick. Noch zwei Tage bleiben uns auf Chios ehe wir nach Athen zurück müssen.

Auf der Rückfahrt halten wir noch im Hafen Limiá. Es wird ein kurzer Halt – die Cafés sind leer, eine Handvoll Kaikia dümpeln innerhalb der weit ausgreifenden Molenarme. Draußen an einem Felsen irgendein Baustellenfloß. Ein paar Wochenendfischer (die stillere Alternative zu den knallenden Artemis-Jüngern an Land?) beim Smalltalk auf ihren Motorbooten. Und die obligatorischen Enten sind auch da. Sonst aber wenig Leben. Ob man hier abends etwas zu essen bekommt?

Eher nicht. In die „Fabrika“ wollen wir nach dem gestrigen Hühnerbeinerlebnis heute nicht. Aber in Volissos war ja noch die Taverne unserer Zimmervermittler an der zentralen Platia bei der Hauptkirche Metamorphosis Sotiros Christou, und an der Platia Pythonas hatte ich auch ein Lokal gesehen.

Wir werden schon nicht hungern.

 

Im Restaurant des hilfsbereiten Wirtes findet eine Hochzeit oder Taufe statt – geschlossene Gesellschaft. Also doch in das an der Platia Pythono bei der Kirche Kimisi tis Theotokou. Das Lokal heißt „O Pythonas“ (nach diesem Viertel von Volissos) und im Gastraum ist es dunkel. In der kleinen Stube rechts davon hat es aber Licht, und als wir uns nähern und vorsichtig hineingucken sehen wir einige Leute sitzen und auf den Fernseher gucken. Wir fragen ob es etwas zu essen gibt, und werden hereingebeten. In die mäßig warme Gaststube, wo schnell Licht gemacht wird. Man hat offensichtlich nicht mit fremden Gästen gerechnet. Die Einheimischen gucken, bleiben aber lieber im gemütlichen Kafenio-Bereich. Die Wirtin hat nur eine kleine Essensauswahl, trifft mit der Bohnensuppe und dem Auberginen-Tomaten-Schafskäse-Auflauf, an dessen griechischen Namen ich mich nicht erinnern kann, ins Schwarze. So lecker! Und dann kommt ihr Töchterchen Markella herein mit seiner Freundin, zappt durch das Fernsehprogramm. Das Nachtleben von Volissos ist auch am Samstagabend für Heranwachsende nicht der Bringer. Für uns sowieso nicht – in der kühlen Gaststube bleiben wir nicht viel länger als nötig.

Und morgen ist ja wieder ein Tag.