Mit frischem Brot von Bäcker frühstücken wir auf unserem großen Balkon. Obwohl mitten im Ort gelegen ist es sehr ruhig hier. Der Schlaf wurde nur durch eine oder zwei Stechmücken gestört – Mistviecher! Das Wetter ist unverändert schön, ein leichter Wind weht.
Wir wollen heute zum Kloster Evangelismou Theotokou in den Inselwesten wandern. Für den Hinweg nehmen wir die nördliche Route, von der Kirche Agios Nikolaos hinauf auf den Hügel Profitis Ilias. Wir haben im Tourismusbüro von Chios ein Faltblatt mit Informationen und Übersichtskarte von Inousses bekommen – nur auf Griechisch allerdings, und die Wege ziemlich vage. Außerdem habe ich mir aus der Terrain-Karte „Chios“ den Ausschnitt mit Inousses herauskopiert und vergrößert – diese Karte wird uns gute Dienste leisten.
Oberhalb der Kirche kommen wir an einem hübschen Platz mit einem Brunnenhaus unter einer Platane vorbei. Ein paar Meter weiter haben wir eine tolle Aussicht nach Süden auf den Ort samt leerem Wasserreservoir, die vorgelagerten Inselchen und die Küste von Chios. Wir bleiben auf der Höhe, passieren die Kaserne, die versteckt in einem Sattel liegt – hier ist der Blick nach Norden auf die Türkei frei.
Während des nächsten Wegstückes auf der Straße ärgern wir uns über den verstreuten Müll am Wegrand – Klopapierstreifen, Plastikflaschen, Flaschen, Papier, Dosen. Sind die Inseln umso unaufgeräumter je weniger ausländische Touristen es dort gibt? Man könnte es meinen - die Griechen scheinen sich in ihrer misshandelten Landschaft wohlfühlen.
Inoussa ist fruchtbarer und grüner als Psara (das ist allerdings kein Kunststück), wir wandern entlang eines flachen Hochtales voller grüner Phyrgana und blühendem Heidekraut. Davon, dass hier fleißig gejagt wird, zeugen leeren Patronenhülsen überall. Vor uns bildet die Kirche Agia Marina eine hochgelegene Landmarke, und die Mülldeponie dahinter erklärt wenigstens teilweise die Müllansammlung am Straßenrand – vom Winde verweht wenn das Müllauto schlecht beladen wurde. :-(
Ein Kiefernhain bietet einem Ziegenpferch Schatten, die Straße führt nun nach Westen. Rechts unten liegt eine schöne Strandbucht, das muss Hochlakas sein. Und dann treten wir auf verbrannte Erde. Im August 2012 hat es auf Inoussa gebrannt, hier im Westen bis zum Kloster. Da müssen wir nun durch. Ich hab ein Video dazu gefunden: http://www.youtube.com/watch?v=DUemRrDeIvE
Darin sieht man, dass die alte Kirche des heiligen Georg quasi einen Totalschaden erlitten hat, und der sie umgebende Hain ebenso. Wir bleiben nördlich davon, hinterm dem Gipfel des Boutouro (mit 182 Metern der höchste Gipfel Inoussas), sehen nur ein paar verbrannte Baumskelette, die Zapfen noch daran wie reife Früchte. Kahler Boden, den die Regenfälle des Winters vollends bloßgelegt haben. Bis hinab zur Südküste erstreckt sich die Brandfläche, und weit nach vorne, wo wir die ersten Klostergebäude erkennen können.
Gegen ein Uhr erreichen wir das vordere Portal des Klosters. Das Schild, das vor dem unachtsamen Wegwerfen von Zigarettenkippen warnt, wirkt wie böse Ironie angesichts der verkohlten und frisch abgeholzten Baumruinen, die einmal ein Wald waren. Aber das Klostergebäude blieb verschont, sicher unter vollem Einsatz der Löschkräfte.
Das Evangelismou-Kloster ist nicht alt, es wurde von einer reichen Reederwitwe (sie war eine Lemos, ihr Mann ein Pateras) im Jahr 1962 gegründet (eröffnet 1965), deren Tochter und Ehemann an Krebs starben. Vorher soll die Tochter den Vater durch ihre Gebete geheilt haben, ehe sie dann selbst an Krebs starb. Die Gebeine der Tochter mumifizierten, was als eine Art Wunder galt. Heute werden sie im Kloster aufbewahrt. Im Reiseführer von Ingeborg Lehmann steht, die Witwe, die sich gleich zur Äbtissin ihres Kloster gemacht hatte, hätte sich mit zwanzig Nonnen wie eine Art Hofstaat umgeben.
Die Felder das Tal hinab zum Klosterstrand sind fruchtbar und wurden von den Bränden verschont – eine grüne Oase!
Vor dem Kloster grüßen zwei Kühe und ein Stall voller Geflügel. Die sehr gepflegte Klosteranlage hat sich noch ein paar Bäume gerettet. Überragt wird sie von einem riesigen Kreuz auf dem kahlen Hügel, weitere Kirchen und Kapellen im Kykladen- und Festungsstil thronen auf den umliegenden Hügeln.
Hoffentlich machen die Nonnen jetzt nicht gerade Mittagspause! Irgendwo hatte ich gelesen, dass das Kloster um die Mittagszeit geöffnet sei, aber so recht glauben kann ich das nicht. Wir suchen den Eingang, finden ihn auf der Westseite, hinter einem prächtigen Vorraum. Das Tor ist zu. Wir trauen uns nicht zu klopfen, dringen dafür in eines der Werkstattgebäude ein, wo eine aufgeschreckte Nonne uns gestenreich auf den Haupteingang verweist.
Gut, ziehen wir unsere mitgebrachten Röcke an (auf Kopftücher wie Sylvia Caviezel verzichten wir) und klopfen an. Schnell öffnet sich die Türe, wir werden von einer kleinen vermummten Nonne schweigend mit einem Hauch Missbilligung hereingebeten. Die Kleiderkontrolle überstehen wir unbeanstandet, Fotografieren ist verboten, auch im wunderschön blühenden Innenhof.
Wir werden direkt in die Kirche geführt, und fühlen uns in dem prächtigen Raum mal wieder sehr fremd und sehr beobachtet. Danach gibt es ein Glas Wasser und Loukoumia in einem Seitenraum des Klosters, eine Pflichtaufgabe für die Nonne, die sehr wenig Herzlichkeit ausstrahlt. Na, wir sind ja auch evangelische Heiden (was sie nicht weiß, aber vielleicht ahnt). Auf die angebotenen Devotionalien haben wir denn auch wenig Lust, kaufen aber wenigstens ein paar Postkarten ehe wir uns verkrümeln.
Wieder zurück zum südlichen Tor, und von dort führt eine Zufahrt zu der strahlend weißen Kirche Agii Pantes (Allerheiligen) auf dem Hügel. Wir suchen einen schönen Rastplatz, möglichst im Schatten, den die Sonne sticht ganz schön. Bei der Kirche finden wir ihn, dort ist auch der Friedhof. Wie dieses Foto auf Panoramio zeigt lag die Kirche früher in einem dichten Hain. Jetzt wurden gerade die verbrannten Überreste abgeholzt, die Doppelkapelle steht nun völlig frei. Auf dem Friedhof zeugen Baumstümpfe von den verbrannten Bäumen.
Nur wenige Gräber hat es hier, im Untergeschoß der Kapelle stehen Särge und Knochenkisten. Ungewohnt für uns die Glasfronten der meisten Kisten, die den Blick auf Schädel und Knochen freigeben. Bei anderen sind die Deckel geöffnet. Ziemlich exponiert….
Gegen halb drei machen wir uns auf den Rückweg, dieses Mal die breite Küstenstraße entlang. Es hat felsige Strände unterhalb, und dann einen flachen Strand (Hatzali), vor dem ein Mann mit seinem Traktor in einer Staubwolke den Boden beackert. Hier war alles verbrannt. Am Rand ist der Strand sandiger, und da stehen doch wirklich auch drei Sonnenschirme. Von der robusten Sorte: Metallgestell mit Korbgeflechtschirm, gut im Boden verankert.
Wir wandern weiter, kommen endlich wieder in unverbranntes Gebiet.
Ich möchte gerne baden, aber die ausgesuchte Stelle am Rande der Fokia-Bucht vor der Mauer eines großen Landsitzes ist im Wasser ziemlich unbequem. So werden nur die Beine nass was als Abkühlung auch genügt. Der Blick hinüber nach Chios ist nicht schlecht, auf die unbewohnte Megali-Vigla-Halbinsel.
Nun wechseln Strände (Fasoli, Bilali) mit umzäunten alarmgesicherten Landsitzen ab. Im Sommer werden hier vermutlich Partys gefeiert. Kastro heißt diese Gegend, was auf eine antike Siedlung schließen lassen könnte. Ist aber nichts zu sehen.
Oberhalb der Straße steht die hübsche Agii-Anargiri-Kapelle, gegenüber ein paar Hausruinen. Ist das Kastro? Ein Marmorschild weist die Straße als „Leoforos Pateras“ aus – als Pateras-Boulevard: Die Straße zum Kloster wurde natürlich von der Pateras-Familie gebaut.
Kakopetria ist der letzte Strand vor dem Stadion. Der Kiesstand mit fünf Sonnenschirmen sieht von oben echt gut aus, leer ist er auch - den werde ich morgen mal ausprobieren.
Und dann erreichen wir das Stadion-Amphitheater. Über das wird in einem Spiegel-Artikel aus dem Jahr 2011 hinreichend hergezogen. Es wurde 1998 gebaut, soll fünf Millionen Dollar gekostet haben und Platz für tausend Zuschauer bieten (zur Erinnerung: die Insel hat nur 800 Einwohner). Der Reeder John Diamantis Lemos (bzw. dessen Stiftung) hat es bezahlt, und dort kann man nicht nur sportlichen Aktivitäten wie denen des einheimischen Fußballvereines „Panoinoussios“ zuschauen, sondern auf der Freilichtbühne auch Konzerte und Theaterstücke miterleben.
Wir können nur über den Zaun spicken. Ehrlich gesagt: so groß sieht das Stadion gar nicht aus. Aber der Kunstrasen ist sehr gepflegt, wie überhaupt alle öffentlichen Spenden der Superreichen auf Inousses. Schade, dass die „normalen“ Dinge eher vernachlässigt aussehen.
Wenige Meter später nehme ich das wieder zurück: zwischen dem Stadion und der Paralia liegt oberhalb der Straße auf einem bewaldeten Hügel recht versteckt der Friedhof von Inousses. Auf diesem Friedhof wird geprotzt: Marmormausoleen im traditionellen oder modernen Stil, mit Bogen oder Stufen, Häuschen oder Kapelle, Büste oder Obelisk. Die vorherrschenden Namen sind – mal wieder – Lemos und Pateras. Tröstlich, dass der Tod dann doch wieder gleich macht. Wenn auch nur unter der Erde.
Einfachere Gräber hat es natürlich auch, trotzdem ist Marmor Standard. Nicht so kunstfertig wie auf Tinos in Pyrgos, aber gepflegt.
Vom Hafen herauf dringt laute Musik. Das muss live sein, mit Bouzouki, traditionelle Lieder. Wir gehen hinab, wollen sowieso etwas trinken wenn wir ein geöffnetes Lokal finden. Immer der Musik nach, und da kommen wir genau richtig: vor der Imbissbude beim Kiosk an der Promenade hat sich an den Tischen eine Parea zusammengefunden, ein gutes Dutzend Männer und Frauen, wobei die Frauen eher im Hintergrund sitzen. Einer der Männer spielt Baglama, ein anderer Laouto. Sie singen und spielen, der Alkohol fließt. Wir werden herbeigewunken, sollen uns setzen. Das tun wir dezent im Hintergrund, werden von einer der Frauen gefragt was wir trinken wollen. Mia bira, mia lemonada. Die Männer, überwiegend im Rentenalter, stehen auf Hochprozentigeres – einer bringt vom nahen Kiosk eine Flasche Whisky. Das löst dann schon die Zunge beim einen oder anderen, und es gibt nette Komplimente für uns (die wir uns in unserer Wandererkluft komisch fühlen).
Wir sitzen einfach dabei und genießen den Augenblick. Ich frage ob es etwas zu feiern gäbe. Nein, man hätte sich einfach so zusammengefunden. Es sind diese spontanen Momente um die ich die Griechen beneide…. Nach kaum einer halben Stunde packt der Baglama-Spieler sein Instrument wieder ein, die Parea löst sich auf. So mancher Senior, der jetzt auf seinem Moped davon fährt, dürfte in keine Alkoholkontrolle kommen. Kapitäne im Ruhestand? Wir dürfen unsere Getränke nicht bezahlen, ziehen gemächlich bergwärts und sind kurz vor sechs Uhr wieder in unserem Quartier.
Die heutige Wanderung auf der Straße war länger als gedacht, wir sind ziemlich müde.
Nicht unbedingt eine spektakuläre Wanderung, aber mit interessanten Ein- und Ausblicken. Inoussa ist wirklich mehr als einen Tagesausflug wert.
Wir werden, wie geplant, bis zum Sonntag bleiben. Schließlich wollen wir ja noch ins Schifffahrtsmuseum, und die Fähre verlässt Egnoussa immer nur am frühen Morgen.
Nach dem erneut tollen Sonnenuntergang – da werden wir in diesem Urlaub echt verwöhnt – finden wir uns zum Abendessen wieder im „Tsoumpari“ ein. Die Wirtin empfiehlt uns einen frittierten Käsefladen, der dann mit dem bestellten, eigentlich kleinen griechischen Salatoula und den leckeren Soutsoukakia unsere Aufnahmekapazität übersteigt. Na, heute haben wir noch nicht so viel gegessen, und in Griechenland ist es ja keine Schande wenn man Essen auf den Tellern lässt….