Als wir uns auf Psara (und dito Inousses) als Reiseziel festgelegt hatten, hatten wir ein Problem: in Reiseführern gibt es nur sehr wenig Informationen über diese Inseln. Enttäuschend war in dieser Hinsicht der nagelneue Reiseführer „Chios“ aus dem Michael-Müller-Verlag, der gerade mal eine oberflächliche Textseite zu Psara anbietet (der Verlag war nicht bereit dem Autoren diese Seite zu honorieren - entprechend mager ist sie ausgefallen).
Besser ist das Dumont-Reisetaschenbuch „Lesbos, Chios“ von Klaus Bötig, mit dem Erscheinungsjahr 2001 aber schon zwölf Jahre alt. Umfangreicher, aber noch älter (1990) die Seiten in „Griechische Inseln 4“ von Ingeborg Lehmann.
Da war es ein echter Glücksfall, dass Heidi Jovanovic im Vorjahresherbst unter anderem die Inseln Psara und Inousses besucht und diesen Besuch auf ihrer Internetseite http://griechenlanderleben.wordpress.com/ sehr gut dokumentiert hat.
Ene detaillierte Landkarte von Psara (übrigens Ta Psara - sächlich Plural) ist im Terrain-Verlag erhältlich (von 2010, Maßstab 1:15.000). Ich hatte sie auf dem Flughafen Athen für sieben Euro gekauft – im Ticketbüro von Psara an der Paralia bekommt man sie für vier Euro (was ich aber erst am Tag vor der Abreise beim Ticketkauf gemerkt habe – wäre eh zu spät gewesen). Außerdem gibt es im Tourismusbüro von Chios auch eine ganz brauchbare Übersichtskarte.
Am Sonntagvormittag besteigen wir den „schwarzen Rücken“, den etwa 60 Meter hohen Mavri-Rachi-Felsen, der in Psaras Südwesten direkt an den Hafen angrenzt. Wirklich schwarz ist er nicht, oder nur abends - da wird wohl nachträglich die Düsternis der Geschehnisse hineininterpretiert.
Ein breiter gepflasterter Stufenweg führt vom Hafen aus hinauf, auf das nationales Denkmal. Denn hier spielte sich ein besonders blutiges Kapitel des griechischen Freiheitskampfes ab: Die Insel Psara hatte eine große Handelsflotte und war - neben Hydra und Spetses – besonders aktiv im Unabhängigkeitskampf der Griechen gegen die Osmanen.
Nach dem Massaker von Chios im April 1822 (einer Strafmaßnahme der Osmanen als Reaktion auf das Massaker von Tripoli), bei dem zehntausende Griechen ermordet und versklavt wurden, flohen die überlebenden Griechen nach Westen.
Nächstes Fluchtziel war für viele die Nachbarinsel Psara, die schließlich 1824 auch von den Osmanen angegriffen und besetzt wurde. Dabei wurden auf Psara die siebentausend Einwohner und weitere zigtausende Flüchtlinge aus Chios und Kleinasien getötet und versklavt – so sie nicht weiter fliehen konnten (vor allem nach Syros und auf die Peloponnes).
Ein Teil von ihnen – mit Frauen und Kindern - hatte sich vor der feindlichen Übermacht auf den Mavri Rachi geflüchtet, wo es eine Burg (Palekastro) samt Pulverlager gab. Sie sprengten sich am 3. Juli 1824 mitsamt der Felsenkuppe und zahlreichen Feinden in die Luft – was vom griechischen Dichter Dionysios Solomos mit seinem Gedicht „Die Zerstörung von Psara“ verewigt wurde:
Στων Ψαρών την ολόμαυρη ράχη, |
Auf den schwarzen Bergrücken von Psara wandelt allein der Ruhm. Er denkt über seine Helden nach und trägt im Haar einen Kranz geflochten aus den wenigen Halmen die auf dem versiegten Boden wuchsen… |
Der auf Psara geborene Konstantinos Kanaris (sein Denkmal steht an der Paralia) versenkte als Rache für das Massaker von Chios Anfang Juni 1822 ein türkisches Admiralsschiff mit zweitausend Mann vor Chios-Stadt. Was dann wiederum dazu führt, dass die bisher verschonten Mastixdörfer auf Chios nun auch zerstört, ihre Bewohner umgebracht wurden… und auch Psara angegriffen wurde (siehe oben).
„Eleftheria i Thanatos“ - Freiheit oder Tod – dieser Spruch steht dann auch auf der Inselflagge Psaras. Diese Ecke der Ägäis ist blutgetränkt wie wenige andere. Es wird nicht unsere letzte Begegnung mit der griechisch-türkischen Geschichte bleiben.
Heute präsentiert sich dieser Ort so friedlich und einsam, dass es schwer fällt sich die geschichtliche Tragödie vorzustellen.
Oben auf dem Felsen hat es ein gepflastertes Plateau mit einer unverputzten Doppelkapelle (geschlossen – wie wir in diesem Urlaub fast keine geöffnete Kapelle finden werden), geweiht der heiligen Anna und Johannes dem Täufer. Ein Denkmal erinnert an die „unsterblichen Helden des Holocausts“ (ολοκαύτωμα = vollständig verbrannt).
Mindestens acht Eleonorenfalken kurven um uns herum, diese seltenen Flugkünstler, die wir auf abgelegenen Inseln in der Ägäis und auf den Äolischen Inseln schon öfters getroffen haben. Die steile Küste zum Meer bietet ihnen ideale Brutplätze und ein gutes Jagdrevier.
Der Blick entlang der Küsten von Psara nach Norden und Osten ist toll, aber die Insel präsentiert sich auch in dieser Ansicht vor allem baumlos und trocken. Das muss man schon mögen (wir tun das).
An der Windmühle am Fuße des Felsens vorbei geht es wieder hinunter zum Ort.
Über dem Hafen steht wieder ein sauber gemauertes kanonenverziertes Denkmal, dieses Mal für den psariotischen Freiheitshelden Dimitrios Papanikolis. „Brandstifter“ steht darauf (wie auch bei Kanaris) - ein Ehrentitel in diesen fürchterlichen Zeiten.
Am Nachmittag wollen wir zum Lazareta-Strand. Dieser befindet sich eine Viertelstunde östlich des Ortes. Vom Ortsausgang reiht sich hier Bademöglichkeit an Bademöglichkeit. Zuerst der sandige und breite Katsouni-Strand beim Museum, dann der kleine Spitalia-Strand jenseits des Felsenkaps mit dem ehemaligen Quarantänegebäude. Unterhalb einer Kapelle gibt es noch eine kleine Strandbucht zwischen den Felsen, am Sonntagnachmittag frequentiert von einer Handvoll Einheimischen.
Breit, aber weniger schön ist der Megali-Ammos-Strand vor einem verrottenden Industriegebäude. Von dort geht es über ein flaches Felsenkap bei der Kapelle Agios Athanasios vorbei zum Lazareta-Strand. Ein herrlicher, etwa hundert Meter breiter Strand mit feinem Sand, es geht ganz flach ins Wasser. Außer uns sonnt sich nur noch ein Paar an dem Strand, die nächsten Male werden wir alleine dort sein. Unglaublich!
Ein paar jugendliche Tamarisken-Bonsais mühen sich abseits des Strandes vergebens ums Schattenspenden, hilfreicher sind diesbezüglich die Felsen in der nun schon sinkenden Sonne.
Das Meer hat noch 23°C, und man möchte am liebsten ewig darin bleiben. Minifische knabbern uns an, es könnten junge Brand- oder Geißbrassen sein – charakteristisch ist der schwarze Punkt vor der Schwanzflosse (auf Inousses am Kakopetria-Strand werde ich ausgewachsenen Tiere sehen – da bin ich ganz froh, dass die nicht zugebissen haben). Kleine Gelbstriemenbrassen hat es auch.
Für den Rückweg nehmen wir nicht den gleichen Weg, sondern gehen nach Norden Richtung Inselinneres, wo einige Kapellen sich zerstreuen und es eine Fahrpiste zum Strand für Gehfaule gibt. Ein großes Gebelle hebt an als wir einen Zwinger mit Jagdhunden erreichen – auf Psara ist man fast so jagdfreudig wie auf dem benachbarten Chios.
In einer Senke hat es ein paar kleine Oliven- und Feigenhaine – das gehört hier schon zum „fruchtbaren“ Achladokambos. Die fremd wirkende Zipfelkapelle Agios Elefterios hat erst einen frischen Anstrich erhalten – leider ist sie abgeschlossen.
Im „Iliovasilema“ nehmen wir zum Sonnenuntergang (der Name verpflichtet schließlich) einen Ouzo mit Meze. Danach sind wir dummerweise fast schon satt und mit den großen lauwarmen Portionen Juvetsi und Moussaka im „Delfinia“ überfordert. Die Katzen freuen sich aber.
In Psara-Chora gibt es ein offenes Wlan, und so checke ich mit dem iPhone die ersten Hochrechnungen der Bundestagswahl in der Heimat. Es wird knapp werden. Mit dem unerwarteten Ergebnis einer absoluten Mehrheit der Sitze für die CDU gehen wir ins Bett (am Morgen sieht es dann doch wieder anders aus). Ob das Wahlergebnis in Griechenland für Begeisterungsstürme sorgen wird? Immerhin bleiben uns in diesem Urlaub Beschimpfungen unserer Bundesmutti erspart.
Morgen wollen wir dann zum Kloster – mal sehen ob wir es erreichen. Und wie.
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Gabi (Donnerstag, 07 November 2013 21:09)
Toller Bericht über eine mir (noch) unbekannte Insel, freu mich schon
auf die Fortsetzung.
LG Gabi
raimund reinisch (Montag, 02 Dezember 2013 21:30)
kann fast alles nachvollziehen, waren im juni 2013 auf psara (gleiche unterkunft) inousses und chios, konnten auch erst mit 2 tage verspätung nach psara (montags fähre ausgefallen - ging erst mittwoch) waren so für 2 nächte auf kea
ein tip für längeren aufenthalt in lavrion: kap sounion
(
raimund reinisch (Dienstag, 10 Dezember 2013 17:36)
kleiner nachtrag:
auch AI Stratis (agios efstratios) ist einen besuch wert,
waren 2011 dort, in verbindung mit lemnos
lg raimund
Dietmar (Montag, 16 Dezember 2013 16:41)
Toller Bericht, tolle Bilder
Rodney (Samstag, 11 Januar 2020 00:32)
Bin einer Meinung, der Hafen von Lavrion ist schrecklich aber Lavrion selbst ist gar nicht so garstig, ist sogar recht nett sodass eine Übernachtung keine verschwendete Zeit ist