Monemvasia

Und um neun Uhr sind wir auf der Straße. Wir fahren um die Bucht von Nafplio herum, in der noch morgendlicher Dunst steht und der Szene Leichtigkeit verleiht. Berge zeigen schneeige Gipfel. Das muss der Parnonas sein, immerhin fast 2000 Meter hoch. Und weiter im Norden, der runde, weiße Berg: Das Kyllini-Bergmassiv? Keine Ahnung, aber mit einer Höhe bis 2374 Metern könnte es schon sein.

 

Wir legen einen Fotohalt am palmenbestandenen Ufer an, eher wir hinter Mili in Kurven den Berg hoch klettern und den Dunst in den Tälern von oben bestaunen können.

Es hat kaum Verkehr.

Wir erreichen über einen kleinen Pass eine Hochebene bei Achladokampos. Gräser und Bäume sind mit einem Reifschleier überzogen, der in der aufsteigenden Sonne erst langsam schwindet. Die Landschaft könnte auch in Deutschland sein, auf der Alb oder so. Nur Windmühlenruinen gibt es dort nicht. Barbara fährt jetzt und ich kann hinausgucken. Aber die Navigation nicht vergessen!

 

Vor Tripoli biegen wir nach Süden ab. Vielleicht wäre die Autobahn schneller, aber die Überlandstraße ist kürzer und gut ausgebaut. Wir sind jetzt im Regionalbezirk Arkadia, der nicht wirklich der idyllischen Landschaft entspricht, von der die Philhellenen und Antikenverehrer im 19. Jahrhundert träumten: Et in Arcadia ego - Auch ich (war) in Arkadien. Ob sie so geschwärmt hätten, wenn sie mal da gewesen wären?

 

Egal, wir fahren weiter südwärts über Alepochori (Fuchsdorf - wie nett), und plötzlich wird jenseits des breiten Evrotas-Tales die schneebedeckten Gipfelkette des Taygetos sichtbar. Wow!

Die tiefergelegenen Hügel haben die silbrige Farbe von Olivenbäumen , aber je weiter wird hinab ins Tal kommen, desto mehr dominieren Zitrusfrüchte: Eine fruchtbare Gegend!

Wir tanken bei Sparti und fahren weiter nach Süden. Biegen irgendwann nach Osten ab, durchfahren den überraschend großen Ort Skala, passieren Molai und klettern dann über die Hügel zur Ostküste. Wenden uns nach Süden und haben unvermittelt den mächtigen Felsklotz von Monemvasia vor uns. Es ist gerade Mittag vorbei als wir über die Brücke fahren, die ihn mit dem Landort Géfira (= Brücke) verbindet. Ist Monemvasia eigentlich eine Insel, die zu sammeln wäre? Oder zählt sie wegen der Brücke nicht? Muss ich drüber nachdenken.

 

Es ist Sonntag, und es ist schönes Wetter. So verwundert es nicht, dass die Straße, die entlang der Küste südlich um den Felsen zum Stadttor führt - die Altstadt von Monemvasia ist autofrei - schon ein gutes Stück vorher von parkenden Auto gesäumt ist. Wir fahren bis vors Tor, wenden dort unter den kritischen Augen eines Polizisten (der vermutlich verhindern soll, dass lauffaule griechische Sonntagsausflügler mit ihren Autos alles blockieren), und stellen das Auto am Ende der Parkschlange ab. Zu Fuß gehen wir nun zurück zum Stadttor. Über uns auf den senkrechten Felsen sind die Mauern der Oberstadt zu erkennen. Rechts strahlt das Meer.

 

Die Ausflügler haben sich offenbar alle in die zwei oder drei Restaurants und Cafés verfügt, die zu Beginn der Altstadtgassen einladen - die sind voll. Ein paar Läden haben auch geöffnet, wir lassen sie links liegen und streben weiter in die Unterstadt hinein. Bis zum Hauptplatz mit der großen Basilika Elkomenos Christos. Die älteste Kirche der Unterstadt wird leider restauriert und ist geschlossen.

Geöffnet ist die darüber liegende Panagia Myrtidiotissa mit einem unverputzten Tonnengewölbe und schmucklosem Inneren, aber einer prächtig geschnitzten Ikonostase. Der Kult um die Muttergottes Myrtidiotissa stammt von Kythira, die Kirche wurde aber im 17. Jahrhundert von Flüchtlingen aus Kreta gegründet.

Auf dem Stufenweg dahinter steigen wir zügig aufwärts. Bald ziehen wir unsere dicken Jacken aus, genießen kurz darauf aus halber Höhe den Blick über die Ziegeldächer und Kuppeln der Altstadt und auf ruhig-glitzernde Meer. Was für einen schönen Tag haben wir hier erwischt! Der Eisvogel gestern war ein gutes Zeichen.

 

Ursprünglich hatten wir erwogen, uns hier in Monemvasia für eine, zwei Nächte einzuquartieren, hatten dann aber keine Lust auf einen zusätzlichen Quartierwechsel. Die sehr ruhigen hinteren Gassen der Unterstadt, in der das mögliche Hotel Malvasia gewesen wäre, bestätigen unsere Entscheidung. Restaurants hat es hier keine, und ob die vorne abends noch geöffnet sind oder nur auf Tagesausflügler aus?

 

Von den 22.000 Einwohnern der zum Bezirk Lakonien gehörenden Gemeinde Monemvasia, die sich über den ganzen südöstlichen "Finger" der Peloponnes erstreckt und bis zum Kap Malea reicht, wohnten nur 2011 nur 19 in der Stadt auf der Insel, 1.200 dagegen aber im Festlandsort Gefyra. Da kann es im Winter schon mal sehr ruhig werden.

Egal, wir sind jetzt hier und haben ein paar Stunden Zeit. Weiter aufwärts auf der Treppe in die Oberstadt auf dem Hochplateau, die wir durch das obere Stadttor betreten.

Einige griechische Touristen tun es uns gleich, aber alles verläuft sich hier oben.

 

Wunderschön nun der Blick von der Aussichtsterrasse auf das Ensemble der ockerbraun-beigen Gebäude. Nur eine Kirche leuchtet weiß am östlichen Rande, die Panagia Chrysafitissa. Die mittelalterlichen Häuser zeigen aber auch gelegentlich Schäden: hier ein Loch im Dach, dort eine baufällige Mauer. Auch wenn in den Häusern mehr und mehr hochpreisige Fremdenzimmer und privaten Wochenenddomizile entstanden sind, ist es teuer, hier zu renovieren, da es keinen Zufahrt für schweres Gerät oder zum Baustofftransport gibt. So waren viele Häusern noch vor 40, 50 Jahren dem Verfall preisgegeben ehe der Athener Geldadel damals Monemvasia wiederentdeckte und sich hier einrichtete. Bei der Ernennung zum UNESCO-Welterbe ist Monemvasia aber bislang nicht über den Bewerberstatus hinaus gekommen.

 

Von der Oberstadt sind hinter dem Tor noch ein wenige Hausruinen übrig. Vom 7. Jahrhundert bis 1911 war die Oberstadt bewohnt, im 17. Jahrhundert waren über 500 Häuser hier oben. Ein paar Infotafeln geben ausführliche Erklärungen.

 

Vollständig erhalten und auch geöffnet ist die Kirche Agia Sofia, die um das 12. Jahrhundert erbaut wurde. Sie steht ganz oben auf dem Plateau mit weitem Blick über das Myrtoische Meer. Ein paar unbewohnte Felseninselchen verlieren sich darin, die nächste größere Insel ist Milos, gut hundert Kilometer entfernt und folglich nicht zu sehen, da nicht hoch genug. Während man klaren Tagen den Taygetos von Milos aus sehen kann.

Die Agia Sofia ist geöffnet und enthält einige schöne Freskenreste und andere hübschen Details. Die durch kleine Fenster hereinscheinende Sonne beleuchtet warm die hellen Wände und die unbemalte Kuppel und ihre Steinstruktur. Schön!

Danach bummeln wir über das mal mehr, mal weniger hoch und grün bewachsene Hochplateau, das von schmalen und breiten Pfaden durchzogen ist. Die oft überwachsenen Mauerreste lassen nur noch erahnen was hier mal stand, geben aber in Kombination mit der abwechslungsreichen Flora gute Fotomotive ab.

Beim Abstieg hinab zur Unterstadt können wir nochmals die Aussicht genießen. Ich möchte mir noch die östliche Unterstadt ansehen, wir verlieren uns zunächst im Gassenlabyrinth. Sehr ruhig ist es hier, und nur ein Mann, der Müllsäcke wegträgt, lässt erahnen, dass hier Menschen wohnen. Wo ist denn nun das Malvasia Hotel, das wir als Quartier erwogen hatten? Es tarnt sich offenbar gut, wir finden aber ein paar Schilder. Nein, keine Träne dass wir hier nicht übernachten.

 

An der östlichen Stadtmauer gibt es noch ein kleines Stadttor, das aber ins Nirgendwo führt. Ein Kaiki knattert lautstark vorbei, auch der Besitzer hat das Sonntagswetter für einen Ausflug genutzt. Zum Fischen? Oder nur zum Spaß?

Weiß leuchtet die Kirche Panagia Chrysafitissa aus dem ockerfarbenen Häusermeer heraus. Ein kompakter Bau mit Kreuzkuppel, aber auch geschlossen. Am Ostermontag wird hier gefeiert. Der Platz unterhalb ist groß, von einer Baumreihe gerahmt und ermöglich den Blick auf die senkrechten Felsenwände und gleichfarbigen Häuserreihen nördlich von uns. Eine Frau gießt ihre Blumen auf einer kleinen Terrassenanlage, im Sommer vielleicht ein Café. Ein blonder Kater rammelt eine langhaarige Katze. Sonntagsvergnügen aller Art.

Aber es ist schon (noch) ein Idyll hier. Im Sommer bestimmt knallvoll.

 

Wir sind inzwischen hungrig und suchen ein Lokal. Landen auf einer schmalen Terrasse im "Enetiko" mit hübschem Ambiente. Ambitionierte Preise lassenTouristennepp ahnen, und tatsächlich bezahlen wir für einen Salat mit Feigen (13,50), zweimal Brot (je 1,90, aber nur zwei mickrige Scheiben), Wasser und zwei einfache griechische Kaffee (je 3 Euro) 25 Euro. Egal.

Bevor wir Monemvasia verlassen, gucke ich mir noch das Geburtshaus von Giannis Ritsos (1909 - 1990) an, das direkt am Stadttor liegt. Seine Bronzebüste davor guckt übers Meer.
Ich kenne eigentlich nur seine von Mikis Theodorakis vertonten Gedichte und Zyklen, "Romiosini" etwa, oder den beeindruckende "Epitafios", in dem Ritsos die blutige Niederschlagung des Streikes der Tabakarbeiter 1936 in Thessaloniki thematisiert. Das Foto einer Mutter, die auf der Straße um ihren getöteten Sohn trauert, gab ihm die Anregung für den Gedichtzyklus. Natürlich wollte die faschistische Obrigkeit solche Lyrik nicht lesen, verbot und verbrannte die Gedichte. Später, während des Bürgerkrieges landete der Kommunist Ritsos auf verschiedenen Straf- und Verbannungsinseln wie Makronisos und Agios Efstratios, und auch während der Junta wurde er wieder inhaftiert und auf Gyaros und Leros festgesetzt. Stand danach unter Hausarrest auf Samos. Seiner Schaffenskraft tat das keinen Abbruch - im Gegenteil. Ich sollte mich mal näher mit seinen Werken beschäftigen. Wenn der Tag 48 Stunden hätte ...

 

Inzwischen ist es Viertel vor vier. Wir rechnen etwa eineinhalb Stunden Fahrtzeit bis Gythio, wo wir uns aber erst für 18 Uhr angesagt haben. Können wir es entspannt angehen, und noch einen letzten Fotostopp machen als wir Monemvasia hinter uns lassen. Der Blick auf diesen, von hier aus unbewohnt wirkenden Felsenklotz ist schon imposant.

Es geht wieder über die Berge bis Skala, wo wir die Abzweigung nach Süden verpassen (Barbara fährt und ich bin keine so gut Navigatorin wie sie) und eine Ecke über Krokees ausfahren. Trotzdem sind wir schon um 17 Uhr in Gythio. 264 Kilometer sind wir ab Nafplio gefahren.

 

Wir gönnen unseren Vermietern noch eine halbe Stunde Sonntagnachmittag, stellen den Wagen am Ortseingang ab und bummeln entlang der noch weihnachtsgeschmückten, aber schon schattigen Paralia zum Hafen und der netten quadratischen Platia Petrobey Mavromichali (das war der, der Kapodistrias ermorden ließ - auf der Mani, und an deren Rand sind wir ja schon, ein gefeierter Held). Im Restaurant "9 Moires" findet ein Familienfest statt, es wird zu Live-Musik getanzt. Geschlossene Gesellschaft. Aber die Versorgung in der hiesigen Gastronomie scheint gesichert - es ist einiges geöffnet. Und das Städtchen gefällt uns auch.

Nun eine Mail an unsere Gastgeberin Kalliopi vom "BillMar Luxury Apartment", dass wir in einer halben Stunde da wären. Prompt ruft mich Kalliopis Gatte John/Giannis an und entschuldigt sich - sie wären im Funkloch gewesen. Keine Problem, ich habe mich doch gerade erst gemeldet. Wir können in einer Viertelstunde kommen. Passt.

 

Ich hatte verschiedene Quartiere in Gythio im Auge, aber bei zwei getrennten Schlafzimmern wird die Auswahl klein. Das BillMar - der Name setzt sich aus aus den Namen der beiden Kinder zusammen - hatte ich bei booking gefunden, und die Adresse samt Mail und Telefonnummer auf dem zweiten Foto als Aufforderung verstanden, dort direkt zu buchen. Was nicht nur einen deutlich günstigeren Preis von 80 Euro die Nacht ergab, sondern auch einen sehr netten und schnellen Kontakt mit unseres Gastgeberin, wehlab ich das immer vorziehe. Eine Anzahlung war nicht nötig, und es passte auch sonst alles. Das Apartment liegt im Erdgeschoss eines Hauses im ruhigen nördlichen Stadtviertel nahe der Kaserne und dem antiken Theater. Läden und Bäcker hat es in wenigen Minuten Gehentfernung, und ein Parkplatz findet sich vor dem Haus auch immer.

 

Kalliopi empfängt uns und zeigt uns die sehr neue Wohnung - erst seit Mitte 2022 wird sie vermietet. Sie ist mit reichlich High-Tech ausgestattet: Zig Lichtschalter zum Dimmen und Teilschalten der Beleuchtung, Flat-TV in jedem Zimmer mit Spielekonsole (brauchen wir nicht) bis zur Heizung (fürsorglich volle Pulle an - wir schwitzen erst mal bis wir sie zurückregulieren können). Auch in Küche und Bad hat es alles was man braucht, unter anderem Spül- und Waschmaschine - die werden wir benutzen. Eine Terrasse gibt es hinter dem Haus auch noch, aber für die wird es uns zu kühl sein - sie geht nach Norden. Im Kühlschrank und den Schränken hat es sogar etwas Proviant - danke Kalliopi! Auch für die Tavernentipps, die sie uns umgehend schickt.
Wir richten uns dann erst mal gemütlich ein. Versuchen, die Heizung zu drosseln und die Lichtschalter passend zu betätigen. Beides wird ein paar Tage Einspielzeit brauchen, aber wir bleiben ja fünf Nächte hier.

Das empfohlenen Fischrestaurant "Saga" an der Paralia hat im Winter abends nicht offen, und so gehen wir zwei Stunden später in die Taverne "9 Moires", wo das Fest vorbei ist. Wir bestellen eine ausgezeichneten Lachano-Karoto-Salata, dazu Skordalia, Taramosalata und eingelegten Chtapodi. Der nette Wirt bringt uns einen halben Liter offenen Weißwein vom eigenen Weinberg, der nach mehr schmeckt - akomi ena tetarto, parakalo! 34 Euro bezahlen wir für unser Menu.

 

Und freuen uns nach den argolischen nun auf die lakonischen Tage.